Hans-Martin Esser / 22.05.2016 / 06:00 / Foto: Nevit Dilmen / 1 / Seite ausdrucken

Der Produktivitäts-Vergleich, er lebe hoch!

Wer meint, es gäbe in der westlichen Welt heute keine Tabus mehr, der irrt. An meinem Artikel über Pfingsten und die Ausbreitung des heiligen Geistes in den politischen Bereich konnte ich an den Leserbriefen sehen, dass es ein großes Tabu ist, Produktivität zu thematisieren.

Nun habe ich selbst „Volkswirtschaft“ studiert und sehe allein schon in der Nomenklatur das Potential für einen Skandal. Alles, was mit „Volk“ beginnt, ist weitgehend verpönt. Rückkehr zum Nationalstaat, völkisches Denken, dies könnte man ja Volkswirten unterstellen, allein schon aufgrund der fachlichen Bezeichnung. Derlei Kritik äußert sich leicht.

Weit gefehlt. Volkswirte waren die ersten, die den Freihandel, die Globalisierung thematisierten und ihre Funktionsmechanismen analysierten, was oft zu eifersüchtigen Schmähungen anderer, benachbarter Fachrichtungen führte, indem man neoliberale Ideologie und Kapitalismus unterstellte. Rangreihung scheint am Ego zu kratzen

Vor ein paar Tagen war ich auf der phil. Cologne, einer wirklich bemerkenswerten Debatten-Messe, wenn man so will. Was mich aber stört, ist, dass man sich an Begriffen wie Neoliberalismus oder Kapitalismus abarbeiteten muss, es ist ein bisschen altmodisch. Überhaupt beschäftigen sich dezidiert linke Denker viel mehr mit liberal-konservativen als anders herum, was die Liberal-Konservativen, zu denen ich mich rechne und die Mehrzahl der Ökonomen sich zählen, als Kompliment sehen können.

Rangreihung scheint am Ego zu kratzen

Zur Sache: Das Tabu, an dem sich linke Intellektuelle und viele Leserbriefschreiber abarbeiten, ist die Verwendung des Begriffes Produktivität. Es unterstellt, dass man erstens Unterschiede hinsichtlich individueller Fähigkeiten sieht, diese zweitens wertet und drittens bei aggregierten Produktivitäten sogar nationale oder gruppenspezifische Unterschiede herausarbeitet. Man könnte es gar als 4. Kränkung sehen, wenn man die 3 von Freud Benannten annimmt, wonach die Welt nicht im Mittelpunkt steht, der Mensch ein Glied der Evolution und nicht immer Herr seiner selbst ist. Die Bewertung von Menschen und Rangreihung scheint am Ego zu kratzen.

Es gilt als chauvinistisch, menschenverachtend und zynisch und dennoch erklärt es die momentane Migrationsbewegung nach Europa und speziell Deutschland geradezu perfekt. Schaut man sich die PISA-Studie an und sieht, wie dort Syrien und Indonesien abschneiden, sieht man, dass die Normalität in diesen Ländern – und in afrikanischen und vielen arabischen Ländern sieht es nicht besser, eher schlechter aus – dann versteht man, warum in diesen Ländern mehr als die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos sind, schließlich können sie nicht lesen und schreiben, was selbst in Niedriglohnländern zu gar nichts reicht.

Génération désenchantée könnte man im Duktus Mylène Farmers sagen. Man ist enttäuscht und perspektivlos. Dahingehend ist die Analyse einig. Wenn aber in diesen Ländern Kleptokraten und Diktatoren der verschiedensten Couleur über Generationen ihr Unwesen treiben und nach einem Putsch wieder ein Diktator folgt, liegt das auch an der Demokratieunfähigkeit der Normalbevölkerung in diesen Ländern.

Demokratie setzt Bildung voraus

Demokratie setzt Bildung voraus. Die Unterstellung, wonach Deutschland als Ostgrenze des Westens im Kalten Krieg besonders unterstützt worden sei, ganz anders als Afghanistan, ist falsch. Sie dient eher dazu, die 4. Kränkung nicht wahrhaben zu wollen, wonach es ganze Länder und nicht nur einige wenige Individuen auch beim Angebot von Bildung gegen diese entscheiden, was direkt zu deren Wettbewerbsversagen in der Globalisierung führt.

Bildung als Rohstoff zur Erlangung dieser Produktivität ist schlichtweg in der Breite dieser Länder nicht vorhanden. Nun könnte man sagen, dass die Diktatoren ein Interesse an einer dummen, ungebildeten Bevölkerung haben, weil diese dann weniger selbstbewusst ist. Das stimmt auch. Aber es ist eben nicht nur das Angebot an Bildung, sondern auch die Nachfrage nach Bildung, die ein solches fatales Gleichgewicht aus dem Ruder bringen und die Diktatoren zum Handeln zwingen könnte.

Schaut man sich die führenden Universitäten der Welt an, sind diese fast durchweg in den USA und Europa sowie zunehmend in Ostasien. Ostasien hat auch eine lange Tradition von Diktaturen, aber diese haben einlenken oder aufgeben müssen, zu sehr verlangte die damals perspektivlose Bevölkerung nach Teilhabe, Bildung und Wohlstand. In Arabien und Afrika ist dies bis heute nicht der Fall.

Ostasien steigt auf und Arabien ab - warum?

Die in Ostasien stark ansteigende individuelle, aber auch aggregierte Produktivität ist steil angestiegen, die Bevölkerung hingegen nicht mehr so angewachsen, was zum Fortschritt der Länder führte. Genau andersherum sieht es in Arabien und Afrika aus. Dort verdoppelt sich die Bevölkerung – auch infolge der Unterdrückung der Frau und der Monopolstellung des Mannes – alle 20-30 Jahre.

Die Männer haben weibliche Konkurrenz nicht zu fürchten. Genau dieses männliche Monopol hat Schuld an der miserablen Produktivität. Monopolisten werden faul. Steigt die Bevölkerung, muss die Wirtschaft auch wachsen. Tut sie dies nicht, sind Verteilungskämpfe und Kriege die logische Konsequenz, ebenso Fluchtbewegungen bis hin zur Völkerwanderung. Die mangelnde Produktivität und Unattraktivität der arabisch-afrikanischen Wirtschaftsräume ist also auch Anlass für die Wanderung. Nicht die Ausbeutung, wie häufig behauptet, trägt Schuld an den Wanderungen, sondern die Irrelevanz in der Globalisierung.

Ein Land, das nur von Rohstoffen lebt, hat etwas falsch gemacht. Unterstellt man den dort allgegenwärtigen Diktatoren die alleinige Verantwortung, begeht man einen Fehler. Ein Diktator kann die Bevölkerung nur dann dumm halten, wenn diese sich dies gefallen lässt. Wenn Analphabetismus Normalität ist, muss sich jeder Einzelne fragen, was er falsch gemacht hat.Wenn uns Kant sagt, dass Aufklärung der Ausbruch aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit ist, gilt dies für jedermann auf der Welt. Wenn man diesen Satz hier nicht anwendete, würde man diese Menschen nicht für voll nehmen.

Wer andere nur als Opfer sieht, nimmt sie nicht für voll

Leider scharen sich besonders idealistische Menschen hierzulande ehrenamtlich in den Unterkünften, die die Ankommenden nur als Opfer widriger Zustände sehen. Sie nehmen sie erstens durch ihr Tun nicht für voll, und zweitens schaffen sie damit die Voraussetzung, dass die Kommenden sich nicht nach Kräften bemühen, den ungeheuer großen Produktivitätsrückstand aufzuholen.

Jetzt werden einige Leser sagen, dass die Jugendarbeitslosigkeit ja auch in Südeuropa, besonders Griechenland, Kalabrien und Andalusien groß sei, obwohl viele der jungen Menschen dort ein Uni-Diplom in der Tasche haben. Aber auch hier bestätigt sich das Gesagte. PISA-Studie und Universitätsstudien bestätigen die schlechte Qualität der dortigen Einrichtungen, die nicht hinreichend für einen anspruchsvollen Arbeitsmarkt in einer harten Währung wie dem Euro ausbilden.

Genau dies ist die große Kränkung, das große Tabu: Menschen, die aggregiert bewertet werden und im Zweifel für zu leicht für die hohen Anforderungen durchgehen. Man mag das zynisch nennen, aber es gewährt den Aufstiegsbereiten, die sich ins Zeug legen, große Möglichkeiten, wenn sie nicht zu viel Energie darauf zu verwenden, sich nur als Opfer widriger Umstände zu gerieren.

Ein guter Freund von mir, der seit 17 Jahren in Spanien lebt bestätigte mir, dass man mit Multiple-Choice-Tests, bei denen man einen Bekannten antreten lässt, online Magisterprüfungen ablegen kann in Spanien, wobei spanische Unis noch besser sind als solche in Arabien und Afrika, sofern es die überhaupt dort gibt. Von außen kann man sehr wenig ändern. Solange die Notwendigkeit nicht gesehen wird, produktiv zu sein, in den jungen Menschen verankert ist, wird sich an dem Marsch nach Europa nichts ändern.

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Thomas Weidner / 22.05.2016

Wenn diese ideologischen Scheuklappen nur nicht wären - dann hätte dieser Artikel eine wesentlich höhere Aussagekraft. “Männer ohne weibliche Konkurrenz” sind .... Auch wenn die Gleichberechtigung aus Menschenrechtsgründen nötig ist - haben Rechte oder Aktivitäten von Frauen sicher keinen Einfluss auf das Selbstverständnis von Menschen im Allgemeinen. Eine Kultur, welche jedoch jede Eigeninitiative als sinnlos erklärt, weil ja sowieso alles von außen, von einer höheren Macht, von “Gott”, bestimmt ist, also gegeben oder eben nicht gegeben ist oder wird, wird sich kaum je entwickeln können. Denn sie ist gelähmt durch das Warten auf etwas, was kommen oder auch nicht kommen mag. In Kulturen mit Eigeninitiative hingegen krempelt man (ohhhhh, sexistisch!!!) die Ärmel hoch und wird selbst aktiv…

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