Wolfgang Röhl / 27.01.2016 / 14:00 / 12 / Seite ausdrucken

Flüchtlinge. Über die Karriere eines Wortes

Deutschlands Linke waren lange Zeit darin führend, Wörter und Begriffe in Umlauf zu bringen, die einen Sachverhalt genial verzerrten oder listig auf den Kopf stellten. Die Älteren erinnern sich noch an die grandiose Kreation „Berufsverbot“. Dabei handelte es sich de facto um den so genannten Radikalenerlass von 1972. Unter diesem Etikett lief der in der Ära Brandt unternommene Versuch, das massenhafte Eindringen von Verfassungsfeinden in den öffentlichen Dienst - vor allem in den Schuldienst - zu deckeln. Dank einer volksfrontmäßig organisierten Langzeitkampagne gegen „Berufsverbote“ (das Wort knüpfte an die tatsächlichen, gegen Juden und andere Verfolgte verhängten Berufsverbote der Nazizeit an), wurde das SPD-Projekt nach ein paar Jahren versenkt. Von der SPD.

„Nachrüstung“ war eine ähnlich wirkungsmächtige Umtopfung von Tatsachen. Die westdeutschen Kommunisten und ihre Vorfeldorganisationen, Teile der SPD, der Gewerkschaften, der Kirchen und der Kulturmilieus benutzen dieses Wort, wenn es um den Nato-Doppelbeschluss von 1979 ging. Wer genau das Copyright daran besitzt, ist leider nicht bekannt. Aber es entstand sicherlich im Dunstkreis der „Friedensbewegung“ (ihrerseits ein Euphemismus für eine kurzzeitig kritische Masse nützlicher Idioten, deren Aktivitäten objektiv darauf hinausliefen, Lenins Erben beim Wettrüsten im Kalten Krieg einen Vorteil zu verschaffen).

In „Nachrüstung“ schwang so etwas wie Nach-Tarocken oder Nach-Treten mit. Das Wort suggerierte, der imperialistische Westen wollte dreist noch einen drauf legen, rüstungstechnisch. Doch handelte es sich bei der Aufstellung von amerikanischen Pershing II-Raketen mit Atomsprengköpfen Anfang der 1980er lediglich um die Wiederherstellung eines militärischen Gleichgewichtes. Welches durch die Installation der modernen russischen SS-20-Atomraketen nicht mehr gegeben war.

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde die semantische Verschleierung und begriffliche Vergrützung mehr und mehr zur Disziplin derer, die im englischen Sprachbereich „do-gooders“ genannt werden, was ungefähr unseren Gutmenschen entspricht. Sie ließen wundervolle Sprachblumen erblühen, etwa den „sauberen Strom“ (für die Verschandelung von Landschaften mit Monsterspargeln, deren erratische Stromlieferungen weitgehend sinnlos sind). Oder die „sanfte Medizin“ (für esoterische Scharlatanerie, Kügelchenverabreichung und Bach-Blüten-Hokuspokus).

Doch ein Wort hat sich schneller durchgesetzt als alles, was je zu Propagandazwecken ersonnen wurde: „Flüchtlinge“.

Der Sammelbegriff Flüchtlinge für ausnahmslos alle, die von draußen reinkommen, hat in den Medien eine Penetration von schätzungsweise 90 Prozent erreicht. Vereinzelt ist von „Asylbewerbern“ die Rede (das Anfang der 1990er gebräuchliche Wort „Asylanten“ nimmt kaum jemand mehr in den Mund; es steht mittlerweile schwer unter Naziverdacht). Auch „Migranten“ oder „Zuwanderer“ tauchen hier und da noch in den Nachrichten auf.

„Schutzsuchende“, gern von PastorInnen verwendet, konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Möglicherweise, weil die gefühlige Wortpinselei nicht so recht mit manchen Bilddokumenten über erlebnisorientierte Jungmännerkohorten korrespondiert. Die sich dauernd irgendwo mit anderen Schutzbedürftigen prügeln und dabei ihre Schutzräume zerlegen.

In Rekordzeit eingebürgert - gewissermaßen ruckartig integriert - hat sich dagegen „Flüchtlinge“, dank ständiger Präsenz im allergrößten Teil der Berichterstattung. Selbst der oft zitierte, manchmal sogar interviewte Mann auf der Straße, dem die permanent eingeforderte Willkommenskultur erkennbar am Wertesten vorbeigeht, spricht wie selbstverständlich von Flüchtlingen. Wahrscheinlich liegt das Wort sogar dem einen oder anderen Pegida-Mitläufer auf der Zunge.

Versuche der äußersten Rechten und der Rechtsextremisten, Kampfbegriffe wie „Asylforderer“, „Invasoren“ oder „Rapefugees“ außerhalb ihrer Szenen populär zu machen, sind hingegen kläglich gescheitert.

Den Flüchtling kriegt keiner mehr raus. Auch nicht aus dem Sprachgebrauch.

Für die meinungsbildende Klasse, welche den Topos fast unisono einsetzt, ist das ein erstaunlicher Erfolg. Umso mehr, als sich jeden Tag abbildet, dass es sich bei einem großen Teil der Einströmenden – vielleicht sogar beim größten Teil, wer kann das bei all dem Chaos wissen - gar nicht um Kriegsflüchtlinge oder politisch beziehungsweise religiös Verfolgte handelt. Die Frauenhatz in Köln und einem Dutzend anderer Städte an Silvester hat einigen Altmitbürgern die vormals tapfer geschlossenen Augen geöffnet. Dafür nämlich, wer in diesem Land so alles herumspaziert.

Überraschung: Da sind auch eine Menge junger Männer unterwegs, die bereits in ihren Heimatländern als Kriminelle auffielen, von dort abhauten und seither vorzugsweise in Frankreich, Holland, Deutschland und Skandinavien antanzen. Definitiv keine Flüchtlinge, eher vor der Polizei Flüchtende.

Ferner haben jetzt immer mehr Indigene ihre Erstkontakte mit Zugereisten. Auf Ämtern, beim Arzt, in der Badeanstalt, in der U-Bahn, in der Disco. Oder am Wohnsitz, in dessen Nähe vielleicht eine Flüchtlingsunterkunft eingerichtet wurde. Ihre Erfahrungen, die ab und zu von Lokal- und Regionalblättern aufgegriffen werden, klingen teilweise etwas durchwachsen.

Und auch in Kommentar-Foren, etwa zu bestimmten Artikeln auf „zeit.de“, wird öfters detaillierter aus dem Nähkästchen geplaudert, als es den Administratoren lieb sein dürfte. Auf ein Zeit-online-Stück, das sich über die angebliche Diskriminierung von Flüchtlingen vor harten Disco-Türen der Grünen-Hochburg Freiburg echauffierte, kam reichlich Feedback. Und zwar aus dem richtigen Leben.

Insofern ist die anscheinend weitverbreitete Akzeptanz einer informellen Sprachregelung, welche jeden pauschal zum Flüchtling ernennt, der die nicht mehr existenten deutschen Grenzen passiert, denn doch ein kleines Wunder. Ein Fall, der Marketingleute und Werbetreibende interessieren müsste, ebenso die Spin Doctors der Parteien und Lobbys. 

Was der Fall lehrt, ist ja wirklich erstaunlich. Glaubwürdigkeitskrise des Staatsfernsehens hin, Lügenpressegeschrei her: Unsere angeblich angezählten Medien können es noch immer schaffen, eine Botschaft flächendeckend unter die Leute zu bringen. Wenn sie, die Medien, konzertiert genug agieren.

Wie der folgende Text, vor rund 90 Jahren verfasst, visionär darlegt:

„Gerade darin liegt die Kunst der Propaganda, daß sie, die gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse begreifend, in psychologisch richtiger Form den Weg zur Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der breiten Masse findet. (...) Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag.“

Der Text stammt aus einem Werk, das unlängst in einer reich kommentierten Neuauflage erschien. Sein Titel ist weltbekannt. 

 

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Hartmut Laun / 27.01.2016

Guten Tag Herr Wolfgang Röhl , es kann sein, weil ich so gut wie gar nicht mehr das öffentliche TV mir ansehe und alle Schlagzeilen in der Neuen Presse mit (-1) im Kopf multipliziere, das ich die Welt total verschlafe. Aber das Wort Flüchtlinge bekommt inzwischen bei mir und anderen so eine Art Anziehungskraft wie Lebertran oder Graupensuppe mit Sellerie. Noch dazu die unaufhörlichen Bilder für die Zielgruppe mit der Leseschwäche in den Medien. Sie wissen schon was ich meine, die immer selben, nicht die gleichen Bilder, aus dem Archiv in den PC des Redakteurs hoch geladen. Die traurig blickende Frau, ersatzweise ein ausgemergelter Mann,  mit ihrem Kleinkind im Arm, die gerade noch so sich aus den heimischen Trümmern in Syrien, über die Türkei, Mazedonien, Italien oder Österreich bis nach Deutschland retten konnte. Die Fluchtroute in Richtung Süden, nach Saudi Arabien, die Emirate, das sollte den Menschen vielleicht mal mitgeteilt werden, das die Welt von Syrien nach Süden hin durchaus nicht an den Rand der Erdscheibe führt. Sehr schön im Film “Wag the Dog” uns gezeigt wie es geht. Der Flüchtling auf dem Holodeck. Die junge Frau mit der Katze im Arm, welche just aus den brennenden Häusern hinter ihr, mit lautem Kanonendonner unterlegt, die sich direkt in die Kamera des zufällig vor Ort aufhaltenden TV- Senders flüchtet. H. Laun

Marc Albert / 27.01.2016

Ein linker Freund sagte letztens:Das Wort Asylant gibt es nicht…so werden die Leute in dieser Szene indoktriniert.

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