Gastautor / 20.12.2016 / 12:00 / Foto: Robert Cruiming / 0 / Seite ausdrucken

Fluchtursachen bekämpfen? Die fatale Bilanz

Von Volker Seitz.

Nach der Afrika-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2016 will die Bundesregierung die Entwicklungshilfe erneut um 500 Millionen Euro aufstocken. So wird suggeriert, dass Fluchtursachen beseitigt werden könnten. Es geht also weiter mit einem Rezept, das seit sechs Jahrzehnten nicht funktioniert. Entwicklungspolitiker achten erstaunlich wenig auf die Lehren der Vergangenheit. Entwicklungshilfe funktioniert nicht, weil sie in unseren Köpfen entstanden ist und in Afrika absolut nicht verstanden wird. Es wird weiter so getan, als ob wir es mit Regierungen zu tun hätten, die sich um ihre Bevölkerungen sorgen. Dem ist aber nicht so. Hilfe zur Selbsthilfe und eine Entwicklungszusammenarbeit „von unten“ findet kaum statt. Wir sollten die Umsetzung von fragwürdigen wie selbstgefälligen – westlichen – Entwicklungsvorstellungen in fremde Kulturen kritischer hinterfragen. Die von nicht unabhängigen Organisationen praktizierten Evaluierungen sind nichts weiter als arbeitserhaltende Beurteilungen zum Wohle der Beteiligten im Entwicklungsgeschehen. 


„600 Milliarden Dollar Hilfsgelder sind seit den sechziger Jahren nach Schwarzafrika geflossen, doch am Lebensstandard hat sich dadurch praktisch nichts verändert“, prangerte der renommierte US-Ökonom und Entwicklungsexperte William Easterly schon 2007 an. In den Folgejahren bis heute erhielt Afrika nach OECD-Angaben weitere 660 Milliarden Dollar, drei Viertel davon in Form von öffentlicher Entwicklungshilfe. Der Forscher schreibt in seinem Buch „Wir retten die Welt zu Tode“, dass auch dieses Geld zu großen Teilen versandet ist und möglicherweise sogar Schaden verursacht hat, indem es unbeabsichtigt afrikanische Autokratien gefestigt habe. Wir verstärken Fehlentwicklungen und machen uns zu willigen Helfern autokratischer Regime!

Ginge die Gleichung „Mehr Geld gleich mehr Entwicklung“ auf, wären die meisten afrikanischen Staaten nicht Schlusslicht in den jährlichen UN-Berichten über die menschliche Entwicklung. Wir nehmen „African Ownership“ (Eigenverantwortung) als gegebene Tatsache, aber es ist noch ein langer Weg zu diesem wünschenswerten Ergebnis. Das Bewusstsein, selbst Verantwortung zu übernehmen, wird zerstört, weil zehntausende ausländische Helfer – die das Helfen zum Beruf gemacht haben – zu viel Verantwortung auf sich ziehen. Verlassen sie ihren Einsatzort, brechen die „Projekte“ in sich zusammen.

Fragen, die beantwortet werden sollten

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich Flüchtlingsströme aus Afrika durch höhere Entwicklungshilfezahlungen verringern lassen. Ein Land mit einer schlechten Regierung kann keine gute Entwicklung durchlaufen, solange diese Regierung am Ruder ist, egal wie viel Zuwendung es erhält. Das Potential Afrikas kann sich nicht entfalten, solange afrikanische Eliten nicht begreifen, dass Korruption, schlechtes Regieren und fehlende rechtsstaatliche Strukturen die Entwicklung des Kontinents gefährden. Warum soll die Misere von der internationalen Bürokratie mehr schlecht als recht verwaltet werden? Wir nehmen Entwicklungshilfe als selbstverständlich hin und denken nicht mehr über ihren Sinn nach. Warum sind wir überzeugt, dass sich Entwicklungsländer nicht selbst helfen können? Der einzige Weg, das für den Steuerzahler immer wieder kostspielige Verhalten der Politiker zu ändern, so hat einst der große amerikanische Ökonom Milton Friedman bemerkt, „ist, ihnen das Geld weg zunehmen“. Druck auf Autokraten und privilegierte Herrschaftsteilhaber kann man auch ausüben, indem man ihnen Visa verweigert. Das trifft die Herren noch mehr als Kürzung von Entwicklungshilfe.

Welcher Entwicklungspolitiker stellt sich diese Fragen? Warum bleibt die Armut in Afrika seit Jahrzehnten unbesiegt? Wie können Industrienationen hunderte von Milliarden an Entwicklungshilfe ausgeben, ohne deren Erfolg über Jahrzehnte zu kontrollieren? Hängt die Verbesserung der Lebensumstände in Afrika primär von der Höhe der eingesetzten Hilfsgelder ab? Lassen sich die Probleme in Afrika mit Geld und guten Taten lösen? Befreit Entwicklungshilfe die Staaten und Gesellschaften von der eigenverantwortlichen Lösung ihrer Probleme oder wird die Abhängigkeit nicht verlängert? Könnte es sein, dass Entwicklungshilfe weniger die Armut bekämpft als das „Entwicklungshilfe-Establishment“ fördert? Richten Eingriffe von außen nicht mehr Schaden als Nutzen an? Warum werden Projekte geradezu aufgedrängt und scheitern oft, nachdem die Helfer und die finanzielle Unterstützung wieder verschwunden sind? Hindert der Wettbewerb unter Hilfswerken nicht Entwicklungshelfer daran, Misserfolge publik zu machen? Fürchten sich Entwicklungshelfer nicht vor schlechter Presse und einbrechenden Spenden, wenn die Öffentlichkeit von dem geringen Nutzen für die Afrikaner erfahren würde? Warum ist die Entwicklungszusammenarbeit niemandem rechenschaftspflichtig?

So lange das Bevölkerungswachstum nicht nachhaltig gestoppt wird, so lange läuft Entwicklungshilfe den Zielsetzungen hinterher. Grundsätzlich sollte sie nur vorübergehend nötig sein, und zwar mit dem Ziel, die Bedürftigen in ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zu bringen. Stattdessen gibt es jedes Jahr ein Allzeithoch bei den Geldern für öffentliche Entwicklungshilfe. Längst wissen wir: Auf mehr Geld folgt nicht mehr Entwicklung. Kein Land dieser Erde hat seinen Wohlstand Entwicklungshilfe zu verdanken. Im Gegenteil, diejenigen Staaten, die eine erfolgreiche Entwicklung durchgemacht haben, schafften dies aus Eigenantrieb und blicken wie die asiatischen Tigerstaaten mit Stolz auf das Erreichte.

Wir brauchen mehr Realitätsbezug

Die moderne „Political Correctness“ gefällt sich darin, abweichende Meinungen nicht mehr kontrovers zu diskutieren, sondern sie aus der Diskussion auszuschließen. Außenpolitische Interessen werden vorgeschürzt. Es überrascht mich, mit welcher Vehemenz unsere Politiker an einer mildtätigen Entwicklungspolitik festhalten, die inzwischen viele Afrikaner für falsch halten. Immer mehr Afrikaner haben mich gefragt, warum wir wider besseres Wissen die korrupten alten Männer, die teils jahrzehntelang Macht und Kontrolle über die Bevölkerungen haben, weiterhin unterstützen. „Die afrikanischen Länder haben bisher stets eine Politik der Sammelbüchse betrieben und immer nur gebettelt: mehr Hilfe, mehr Hilfe, mehr Hilfe. Genau das muss sich ändern, kann sich aber nicht ändern, solange die großen Länder in Europa und anderswo selbst die Bedeutung der Entwicklungshilfe betonen“, sagt Themba Sono, Wirtschaftswissenschaftler aus Südafrika. Dambisa Moyo aus Sambia spricht für viele, wenn sie sagt: „Einer der bedrückendsten Aspekte des ganzen Hilfsfiaskos ist, dass Geber, Politiker, Regierungen, Akademiker, Wirtschaftswissenschaftler und Entwicklungsexperten im tiefsten Herzen wissen, dass Entwicklungshilfe nicht funktioniert, nicht funktioniert hat und nicht funktionieren wird.“

Ist es sinnvoll, Schulgebäude zu errichten, wenn die Regierung nicht für Lehrer sorgt? Ist es zu rechtfertigen, Länder zu unterstützen, deren führungsschwache Regierung keine ernsthafte Politik verfolgt, kein Verantwortungsbewusstsein für die Erwartungen und Erfordernisse ihrer Bürger zeigt? Sollten nicht erst einmal die reichen Bürger in Entwicklungsländern Initiative und Verantwortung übernehmen, bevor der deutsche Steuerzahler weiter einspringt? In London erfreuen sich Luxusimmobilien in den Traditionsbezirken Westminster, Kensington und Chelsea unter reichen Afrikanern aus Nigeria, Ghana, Gabun, Kamerun, dem Senegal und der Demokratischen Republik Kongo großer Beliebtheit. So wurde laut dem Immobilienmakler Engel & Völkers im Herbst 2014 eine Penthouse-Wohnung am Hyde Park für etwa 162 Millionen Euro an einen ungenannten Afrikaner vermittelt.

Seit Jahren besteht die Entwicklungspolitik in Deutschland und in Europa vor allem darin, die Wirklichkeit in Afrika zu verdrängen und zu beschönigen. Afrika hat und hatte für die Bundesregierung politisch trotz aller wohlfeilen Bekenntnisse keine wirkliche Priorität. Allerdings macht ein Gesamtkonzept von Tunis bis Kapstadt, ein Pauschalansatz der deutschen Afrikapolitik, auch wenig Sinn. Es müssen differenzierte länder- und regionalspezifische Antworten entwickelt werden.

„Ihr finanziert die Schleppermafia und treibt Menschen in den Tod“

Der kenianische Ökonom James Shiwaki ist einer der schärfsten Kritiker der offenen Grenzen. In einem Interview mit Thilo Thielke in der Weltwoche sagte er: „Ihr finanziert die Schleppermafia und treibt Menschen in den Tod, statt Einwanderungszentren einzurichten und die Richtigen auszuwählen.“

Spätestens die Massenflucht aus Afrika müsste Anstoß für eine breitere öffentliche Auseinandersetzung mit den Gründen des Scheiterns der Entwicklungshilfe sein. Denn wenn die Milliarden dort angekommen wären, wofür die sie gedacht waren, wäre die derzeitige Migrantenwelle vermutlich zu verhindern gewesen.

Warum fragt kein deutscher Politiker Afrikas Staatsführer, weshalb sie außerstande sind, Verantwortung für ihre Bevölkerung zu übernehmen? Vielen afrikanischen Autokraten ist es schlicht egal, ob ihre Bürger im Meer ertrinken. Die Afrikanische Union sah bislang keine Veranlassung, sich mit den Verhältnissen zu beschäftigen, die Menschen zur Flucht Richtung Mittelmeer treiben.

Über Länder-Patenschaften könnten einige der Fluchtursachen bekämpft werden. Auch würde sich Deutschland durch den Fokus auf einzelne Staaten, etwa im Trockengürtel des Sahel, aus dem die meisten afrikanischen Migranten stammen, bei seinen Hilfsaktionen weit weniger als bislang verzetteln. Wir sollten dabei nur Staaten unterstützen, die bereit sind, die eigene Regierungsarbeit und zentrale Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung – zum Beispiel die berufliche Bildung und Familienplanung – konsequent zu fördern. Wir sollten anfangen, unsere Mittel auf Länder, die den Ansprüchen auf Rechtsstaatlichkeit annäherungsweise standhalten, zu konzentrieren. Das sind heute Benin, Ghana, Ruanda, der Senegal und der Niger (das Transitland für Migranten).

Die Verweigerung jeder öffentlichen Debatte über die verfehlte Entwicklungspolitik ist inzwischen politisch brisant. Wir werden mit den Folgen dieser Politik mehr zu tun haben als uns lieb ist. Es wird langsam Zeit sich einzugestehen, dass man in der Entwicklungshilfe für Afrika viel falsch gemacht hat und nicht weiter sinnlos Steuergelder verbrennen sollte. Aber erst eine kritische Öffentlichkeit schafft Transparenz.

Volker Seitz war 17 Jahre als Diplomat in Afrika tätig. Sein Buch „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann“ erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

Foto: Robert Cruiming CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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