Auf dem Weg nach Europa sind die Politiker in den letzten Monaten ein gutes Stück vorangekommen. Der Kuhhandel um die Posten in Brüssel steht kurz vor dem Abschluss. Die Wirtschaft ist, wo es sie noch gibt, halbwegs zufrieden gestellt. Frank-Walter Steinmeier bewältigt die Ukraine-Krise routiniert rhetorisch. Dass die Bundeswehr in irgendwelche Konflikte um des lieben Friedens willen eingreifen muss, ist nicht mehr zu befürchten, da ihre Waffen „veraltet und kaum einsatzbereit“ sind, wie die Vereinten Nationen dieser Tage feststellten.
Dafür hat Ursula von der Leyen ihren Plan B entwickelt, den Umbau des Heeres zu einer Wohlfühltruppe mit Anspruch auf geregelte Arbeitszeiten und einer Schminktoilette auf der Stube; nicht zu vergessen die ausreichende Zahl von Kitaplätzen, für die menschlich verständlichen Folgen des heimeligen Zusammenseins in der Kaserne. Das Leben ist schön. Die Deutschen sind in der besten Kauflaune seit langem. Alles läuft wie geschmiert auf dem Weg in das Konsum-vereinigte Europa – dachten wir, bis dann die Weltmeisterschaft im fernen Brasilien angepfiffen wurde.
Sie hat uns zurück „aufn Platz“ geholt, auf den Rasen der Tatsachen. Plötzlich will es uns wie Schuppen von den Augen fallen; plötzlich sieht man, dass das Wesentliche übersehen wurde. Niemand aus dem Fanblock des Europaclubs hat sich bisher die Frage aller Fragen gestellt: Was wird aus dem europäischen Fußball, wenn wir die VSE, die Vereinigten Staaten von Europa, bekommen? Die Konsequenzen sind durchaus absehbar, bedrohlich und absurd.
Eine Weltmeisterschaft, wie wir sie eben erleben, würde es nicht mehr geben. Wie die USA, die ja auch nicht mit Texas, Alaska, Florida und den Teams von 47 weiteren Bundesstaaten antreten, könnten die VSE nur noch eine, statt wie derzeit elf Mannschaft entsenden. Wo es keine Nationen mehr geben soll, braucht es auch keine Nationalmannschaften. Franzosen, Niederländer, Deutsche, Portugiesen und Ungarn fieberten dann gemeinsam, Arm in Arm, für den FC Brüssel. Martin Schulz, immer auf der Suche nach einem lukrativen Posten, könnte werden, was Uli Hoeneß beim FC Bayern war. Ghana würde zum Titelgewinn durchmarschieren. Meine Güte!
Finanziell könnte sich die Sache gleichwohl rechnen. Angie, die Bundeskanzlerin, bräuchte nicht mehr Hundertausende von Steuergeldern für einen Flug um die halbe Welt ausgeben, nur um Löwis halbnackten Jungs für ein Foto in der Mannschaftskabine Gesellschaft zu leisten. Selbst beim Fernsehen ginge die Rechnung auf, es ersparte sich den Ankauf teurer Senderechte. Die frei werdenden Programmplätze ließen sich mit der Wiederholung alter Traumschiff-Folgen füllen. Auch müsste man weniger Ruinen schaffen durch den Bau von Stadien, mit denen nachher, nach den Sommermärchen, nichts anzufangen ist.
Sparfüchse kämen rundherum auf ihre Kosten. Europa würde, kaum vorstellbar, sparsam auffallen. Die Turniere ließen sich in der Hälfte der Zeit abwickeln, statt 64 gäbe es noch etwa vierzig Spiele. Für die Europameisterschaften langte gar ein verlängertes Wochenende. Der FC Brüssel träfe auf Russland und die Schweiz, vielleicht nach 2017 auch wieder auf die Engländer, die wohl allein schon deshalb den Euro-Club verließen, um nicht von Junker oder Schulz gemanagt zu werden. Dafür verstehen sie zu viel von dem Spiel, das ihnen am Herzen liegt.
Der Fußball ist und bleibt eine emotionale Angelegenheit. Sogar der Kanzlerin erlaubt er es, aus sich herauszugehen. Die Begeisterung, die er weckt, verbindet die Menschen. Er stiftet die Gemeinschaft, nach der sie sich sehnen. Wenn die Nationalmannschaft aufmarschiert, wehen die Fahnen in den Farben des Landes. Man trägt schwarz-rot-gold auf dem T-Shirt, auf die Wangen oder die Stirn gemalt, am Hut und wer weiß wo sonst noch.
Wenn die Deutschen spielen, wenn sie gewinnen oder verlieren, offenbart sich des Volkes wahre Seele, tränenreich oder freudetrunken. Da geht es uns nicht anders als den Franzosen, den Italienern, den Spaniern. Das ist mehr als Folklore, kein Nationalismus, ganz sicher aber so etwas wie nationaler Stolz.
Die Politiker sollten das Zeichen erkennen, sehen, dass hier mehr fortlebt, als sie bisweilen in Rechnung stellen wollen. Wer einen europäischen Weg einschlägt, bei dem mit den Nationen die Nationalmannschaften auf der Strecke blieben, könnte einpacken, weil er es am Ende mit den Fans zu tun bekäme. Die Abschaffung der DM wäre dagegen ein Klacks gewesen, der FC Brüssel ohne Chance. Auch eine Lehre des WM-Sommers 2014.