Ulli Kulke / 16.11.2015 / 12:00 / 0 / Seite ausdrucken

Europas zuständige Behörde: Glyphosat ist harmlos. Aber zählt das?

Bei diesem Streit geht es um mehr als nur eine Pflanzenschutzmittel Es geht um die Abschaffung wissenschaftlichen Abwägens und - durch die kalte Küche - um das Ende der konventionellen Landwirtschaft.

Der Befund der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, dass Glyphosat wohl doch keinen Krebs auslösen kann, hat eine neue Runde im Streit um dieses jüngst schwer in Verruf geratene Unkrautvernichtungsmittel eingeleitet. Ob sich das Fachurteil in einem entsprechenden Zulassungsbeschluss durch die EU-Kommission niederschlagen wird, ist dabei noch lange nicht ausgemacht.

Glyphosat ist das am weitesten verbreitete Unkrautvernichtungsmittel der Welt. In den letzten Monaten war der Verdacht aufgekommen, dass der Stoff krebserregend sei. Seither ist es auch das am meisten und am hitzigsten diskutierte Herbizid. Muss es daher aus dem Verkehr gezogen werden? Oder dürfen die Bauern es noch weiter benutzen?

Mit Spannung wurde die hierfür richtungsweisende Bewertung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erwartet. Seit Donnerstag, 12.11., liegt sie vor. Die Efsa urteilt: Es sei “unwahrscheinlich, dass Glyphosat eine krebserregende Gefahr für den Menschen darstellt.” Auch habe es wohl keine Auswirkungen auf das Erbgut von Mensch und Tier. Das Urteil der Efsa ist eine wesentliche Entscheidungsgrundlage für die EU-Komission, die nun in den nächsten Monaten über die turnusgemäß alle zehn Jahre anstehende Verlängerung der Zulassung von Glyphosat zu befinden hat. Also, stehen die Zeichen auf Grün? Ich habe da trotz des Grünen Lichtes aus der Wissenschaft meine Zweifel.

Zu den Hintergründen, der Diskussion in den letzten Monaten und den möglichen Konsequenzen empfehle ich meinen Beitrag auf Welt Online vom 12.11. sowie meinen letzten Blog auf Achgut.comzu diesem Thema.

Wie wird es also weitergehen? Das Glyphosat-Thema scheint ein landwirtschaftliches und umwelt- sowie gesundheitspolitisches Fachthema zu sein. Doch es wohnt ihm eine gehörige grundsätzliche gesellschaftliche Bedeutung, ja Sprengkraft inne, die die Rolle der

Medien, der Interessengruppen und der Politik betrifft. Entsprechend umfangreich und vor allem aufgeregt wurde denn auch die Entscheidung der EFSA kommentiert.

Es geht mir hier beileibe nicht darum, einer unbegrenzten Verwendung der Agrochemie das Wort zu reden. Alles spricht dafür, so wenig wie möglich und auf jeden Fall nur in gesundheitlich und umweltpolitisch unbedenklichen Dosen zu verwenden. Die Agrarchemie hat einen nicht unbeträchtlichen Anteil an dem, was heute noch als Umweltverschmutzung in Deutschland übrig geblieben ist. Dies allerdings hauptsächlich durch eine etwas übertriebene Düngemittelausbringung.

Aufgrund der großen Bedeutung des Themas geht es mir dennoch sehr gegen den Strich, wenn wissentlich mit unlauteren Argumenten ein seit Jahrzehnten eingeführtes Instrument der Landwirtschaft ausgehebelt wird, nur um dem illusorischen Traum einer weltweit flächendeckenden Biolandwirtschaft ein Stück näher zu kommen – und unser Deutschland ist mal wieder “Vorreiter”, von dem die Welt lernen soll.

Die Art und Weise, wie die EFSA-Entscheidung pro Glysophat jetzt öffentlich kommentiert wurde, ist bezeichnend. Selbst unverdächtig klingende Medien wie der Bayerische Rundfunk oder zum Beispiel auch “Finanzen.de” zitieren als Experten lediglich die Grünen in ihrem Furor über EFSA oder veröffentlichen als Agenturmeldungen gleich nur noch schäumende Presseerklärungen von grünen Lobbyvereinen wie Campact, auch der Kommentator in den Tagesthemen am Donnerstag abend argumentierte eher aus dem Bauch heraus, natürlich gegen Glyphosat. Viel zitiert wird nun eine von Campact in Auftrag gegebene Umfrage. Sie hat angeblich ergeben, dass drei Viertel aller Deutschen für ein Verbot von Glyphosat seien. Ich würde mal schätzen, dass in Wahrheit keine zehn Prozent aller Deutschen überhaupt wissen, um was es sich bei Glyphosat handelt. Das beauftragte Meinungsforschungsinstitut Emnid kann durch solche Umfragen seinen ohnehin nicht gerade erstklassigen Ruf kaum aufbessern. Man beteiligt sich an konstruierter Aufregung.

Schon geht wieder ein etwas älterer Beitrag der ARD-Sendereihe “Fakt” im Netz um, der angebliche wissenschaftliche Beweise für körperliche Missbildungen durch Glyphosat dokumentierte. Ein Schweinezüchter wird darin vorgestellt, der sagt: Je höher der Glyphosat-Anteil im Futtermittel, desto mehr missgebildete Embryonen in seinen Tieren habe er feststellen müssen. Wie könne dann, so soll sich der Betrachter offenbar fragen, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR, auch hierzu siehe obigen Link) in seiner Empfehlung an die Efsa zu dem Ergebnis gekommen sein, dass Glyphosat unbedenklich sei?

Dabei wäre es gar nicht so schwer, die Frage zu beantworten, aber so viel Ausgewogenheit wollte man dem Fernsehpublikum dann lieber nicht mehr zumuten: Glyphosat wird schließlich nicht allein auf die Felder ausgebracht, sondern stets zusammen mit vielen anderen Stoffen, die das Mittel spritzfähig halten, in eine handhabbare Konsistenz bringen und dafür sorgen, dass sie dorthin gelangen und bleiben, wo sie hin sollen. Und siehe da: Das BfR hat eine Reihe von Studien analysiert, laut denen vielfach diejenigen Stoffe, mit denen Glyphosat zu solchen sogenannten “Formulierungen” zusammengemixt werden, die eigentlichen Giftstoffe sind und nicht das Glyphosat selbst. Je mehr Glyphosat aber ausgebracht wird (und hinterher im Futtermittel festzustellen ist), desto mehr spielen eben auch diese Beistoffe in der Umwelt und in tierischen oder menschlichen Körpern eine Rolle.

Vor allem aber: Das Futtermittel jenes Bauern bei “Fakt” stammte aus südamerikanischen Ländern wie Argentinien, in denen 20 oder 30 Mal so viel Glyphosat(-Mixturen!) pro Hektar auf die Felder gesprüht werden wie in Deutschland. Aber auch darauf wollte in der Sendung niemand hinweisen, denn das Paracelsus’sche Prinzip, nachdem grundsätzlich jeder Stoff giftig ist und es stets nur auf die Menge ankommt, wird im Zusammenhang mit Ackergiften von der Biolandwirtschafts-Lobby als irrelevant ignoriert. Und natürlich sind in glyphosathaltigen “Formulierungen” aus Südamerika auch andere Beistoffe enthalten als in Europa, wo nicht nur die EFSA sondern auch die nationalen Zulassungsbehörden andere Standards pflegen.

Im Vergleich zu anderen Herbiziden gilt Glyphosat nach wie vor als vergleichsweise harmlos, andere Mittel sind toxischer. Es ist auch das am besten erforschte Mittel. Es wäre also widersinnig, die Verwendung ausgerechnet von Glyphosat zu verbieten, es sei denn,  man will alle Pflanzenschutzmittel aus dem Verkehr ziehen (so lautet auch mein Verdacht). Vielmehr kommt es darauf an, den Gebrauch durch Empfehlungen und behördliche Grenzwerte in vernünftigen Bahnen gelenkt zu halten. Das BfR und auch die EFSA, die im Gegensatz zu anderen Instituten wie dem IARC bei ihren Bewertungen stets die Mengen berücksichtigte, denen Mensch und Natur realistischerweise ausgesetzt sein können, haben übereinstimmend festgestellt, dass eine begrenzte Ausbringung des Unkrautmittels keine gesundheitlichen Gefahren mit sich bringt. Was ihnen im Netz vor allem eines einbrachte: Den Vorwurf, von der Industrie gekauft worden zu sein. So einfach ist das.

Es wird spannend. Nach dem Befund der EFSA ist nun zunächst die Frage, inwieweit die EU-Kommission es schaffen wird, sich bei ihrer Entscheidung allein von den wissenschaftlichen Erkenntnissen und nicht von einer konstruierten Alarmstimmung in vielen Medien leiten zu lassen. Es geht schließlich nicht nur um – angebliche – Mehrheiten für oder gegen Glyphosat, sondern auch um die Produktionsmöglichkeiten eines ganzen Berufsstandes. Und das ist es wohl, auf was es die Gegner von Glyphosat abgesehen haben: Das Ende der konventionellen Landwirtschaft. Wenn erst Glyphosat verboten ist, warum sollte dies nicht auch mit all den anderen Herbiziden, die giftiger sind, ebenfalls geschehen.

Immer wieder wird in dem Zusammenhang das “Vorsorgeprinzip” ins Spiel gebracht, dem die EU schließlich verpflichtet sei. Will heißen: Wenn auch nur der geringste Verdacht einer Gefahr besteht, muss ein Mittel sofort aus dem Verkehr gezogen werden. So interpretiert wäre dies allerdings ein aberwitziges Prinzip. Stünden dabei doch gleich mehrere Vorsorgeprinzipien gegeneinander. Was, wenn auch nur die geringste Gefahr von wirtschaftlichen Schäden bestünde? Was, wenn die Bauern bei Verzicht auf Pflanzenschutzmittel wieder mehr pflügen müssten und so die Bodenerosion vorantreiben? Keines dieser “Vorsorgeprinzipien” ist deshalb absolut zu setzen. Doch die Kritiker wollen auch dieses abschaffen: Das Abwägen.

So oder so: Auch die nun anstehende Entscheidung der EU-Komission wird nicht das letzte Wort sein. Bei ihr geht es nur um den chemischen Wirkstoff Glyphosat – wie beschrieben ja nur eine Ingredienz von vielen in den verkaufsfertigen Spritzmitteln. Ob dann die einzelnen Mixturen, die Angebote der Unternehmen, die im landwirtschaftlichen Großhandel oder im Gartenfachhandel zu kaufen sind, genehmigt oder verboten sein werden, ist dann anschließend allein den nationalen Behörden überlassen. Und da habe ich, angesichts der Stimmung vor allem in den elektronischen Medien, meine großen Zweifel, ob die Bundesregierung Souveränität zeigen und den Stoff gemäß der Empfehlungen der unabhängigen Forscher nicht aus dem Verkehr ziehen wird. Die Bio-Lobby sieht sich bereits kurz vor ihrem nächsten wichtigen Etappenziel.

Das Beispiel Grüne Gentechnik, die ohne wissenschaftliche Hinweise auf gesundheitliche oder umweltschädliche Auswirkungen in unserem Land, das in der Agrarforschung eine jahrzehntelange Führungsrolle spielte, aus dem Verkehr gezogen wurde, zeigt schließlich, wohin die Reise geht. Heute sehnen sich die Menschen hierzulande nach der Führungsrolle im Ausstieg jeder Art und deshalb auch beim Pflanzenschutz und der modernen Agrarforschung. Vielleicht ja auch als späte Wiedergutmachung dafür, dass Justus Liebig, der Erfinder des Kunstdüngers, unser Landsmann war. Heute einfach mal anders herum, Hauptsache voran gehen. Was dazu kommt: Den Ausstieg aus der Gentechnik leitete ausgerechnet die CSU ein, jene Partei, die durch ihren forschungsgfreundlichen Geist einst Bayern im gesamtdeutschen Wohlstandsvergleich an die Spitze gebracht hatte. Heute einfach mal anders herum, Hauptsache vorangehen. Folgerichtig hört man aus der EFSA-Pressestelle, dass fast alle Anfragen zum Thema Glyphosat aus Deuschland kamen, weniger als ein Fünftel aus anderen Ländern.

Deshalb: Trotz aller vernünftiger Vorgaben durch das BfR und die EFSA: Ich würde heute keine Wette darauf eingehen, dass das bewährteste Pflanzenschutzmittel der Welt die Mühlen der politischen Korrrektheit in der EU und vor allem in Deutschland schadlos überstehen wird.

Siehe auch Ulli Kulkes Blog Donner & Doria

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