Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 20.10.2013 / 02:24 / 1 / Seite ausdrucken

Europas Bankenkrise bricht wieder durch

Die europäische Krise spielt sich auf mehreren verschiedenen Ebenen ab - einige deutlich sichtbar, andere weniger. Die Schlagzeilen der letzten vier Jahre wurden beherrscht von Europas Staatschuldenkrise. Die Haushaltsprobleme in einigen Mittelmeerländern und in Irland waren offensichtlich und mussten durch mehrere Rettungspakete eingedämmt werden.

Was diese Staatsschuldenkrise so spürbar macht, ist die Tatsache, dass die betreffenden Beträge leicht festgestellt werden können. Man mag zwar Zweifel an ihrer Verlässlichkeit haben, doch zumindest sind offizielle Schuldenzahlen allgemein bekannt. Ihre Entwicklung lässt sich messen und mit hinreichender Genauigkeit prognostizieren. Dazu braucht es lediglich ein paar Klicks zur Website der Europäischen Kommission oder zur europäischen Statistikbehörde Eurostat.

Mit Europas anderer Krise verhält es sich vollkommen anders. Ich spreche hier natürlich von der Krise des europäischen Bankensektors. Es ist zwar bekannt, dass Probleme mit Finanzinstituten auf dem gesamten Kontinent bestehen, doch ihr Umfang ist viel schwieriger zu ermitteln. Die in den letzten Jahren durchgeführten Stresstests dienten eigentlich eher dem Verbergen unangenehmer Tatsachen als ihrer Aufdeckung. Kaum jemand hat sie wirklich ernst genommen.

Um die Glaubwürdigkeit des europäischen Finanzsektors wiederherzustellen, bereitet die europäische Zentralbank nun noch einen weiteren Stresstest vor. Diesmal ist dieser jedoch als echte Analyse des tatsächlichen Zustands europäischer Banken gedacht. Die EZB hat inzwischen natürlich einen Anreiz, ein realistischeres Bild zu zeichnen. Sie wird für die Regulierung der Finanzsektoren auf dem Kontinent verantwortlich sein, sobald die europäische Bankenunion umgesetzt ist.

Wie tief sind also die Löcher im Finanzsystem? Das ist die Multi-Milliarden-Euro-Frage, auf die es noch keine Antworten gibt – nur Rätselraten. Eng damit verbunden ist die Frage, wie diese Löcher gestopft werden können. Zumindest zu dieser letzteren Frage wurden inzwischen einige plausible Szenarien entwickelt.

Am Montag sagte EZB-Direktor Yves Mersch der Frankfurter Allgemeinen, die EZB wolle auf strengere Kapitaladäquanzvorschriften für die 130 Banken drängen, die nach dem neuen so genannten Einheitlichen Überwachungsmechanismus kontrolliert werden sollen. Auf die Frage, wie diese Vorschriften erfüllt werden sollen, erwiderte er, dies könne durch Kapitalbeschaffung oder durch Schrumpfung der Bilanzen der Bank geschehen. Nun ja, möchte man da sagen – was auch sonst?

Interessanter war Merschs Hinweis, dass für Banken, die keine dieser Maßnahmen umsetzen können, eine „Kaskade von Sicherheiten“ bereitstehe. Zunächst sollten Eigentümer und Gläubiger herangezogen werden. Das entsprechende Modell wäre Zypern, wo die Eigentümer einen Teil ihrer über 100.000 € hinausgehenden Einlagen verloren.

Wenn ein solches ‘Bail-in’ nicht ausreichte, müsste in einem zweiten Schritt die Entscheidung getroffen werden, ob die Bank überhaupt lebensfähig ist oder ob sie abgewickelt werden sollte. Drittens wären öffentliche Gelder zur Stabilisierung von Banken erforderlich, die nicht abgewickelt würden oder nicht abgewickelt werden könnten. Diese Gelder sollten zunächst von nationalen Regierungen bereitgestellt werden und wenn nationale Regierungen dazu nicht in der Lage wären, sollten die internationalen Bailout-Mechanismen greifen.

Wenn dies einigermaßen nebulös klingt, so liegt das daran, dass es nebulös ist. Alle drei von Mersch genannten Schritte sind in europäischem Maßstab schwer vorstellbar. Selbst das kleine ‘Bail-in’ zweier zypriotischer Banken war eine so heikle Operation, dass sie beinahe Bank-Runs in anderen Ländern ausgelöst hätte. Wie sollte ein solches ‘Bail-in’ bei größeren Banken in größeren Ländern funktionieren? Und wie könnten seine Auswirkungen eingedämmt werden?

Bei einer Abwicklung von Banken würden sich im Wesentlichen die gleichen Probleme stellen. Eine zusätzliche Komplikation ergäbe sich durch die Frage, welche Organisation mit der Umsetzung beauftragt werden sollte. EU-Kommissar Michel Barnier hatte vorgeschlagen, diese Aufgabe beim Europäischen Stabilitätsmechanismus anzusiedeln. Bedauerlicherweise gab ESM-Direktor Klaus Regling jedoch rasch zu verstehen, dass seine Behörde kein Interesse habe, in diese Angelegenheit hineingezogen zu werden. Der ESM hat in jedem Fall mit dem Bailing-out von Staaten genug zu tun.

Das eigentliche Problem bestünde jedoch darin, das Geld der Steuerzahler zur Rettung angeschlagener Banken zu verwenden. Natürlich ist Europa in der Frage, wie dies organisiert werden sollte, zweigeteilt. Auf der einen Seite stehen die Länder, die bereits genug Schwierigkeiten mit ihren Staatsfinanzen haben. Sie sind verständlicherweise nicht davon begeistert, zusätzlich die Lasten ihrer Finanzsektoren zu schultern, und wären wahrscheinlich dazu ohnehin gar nicht in der Lage. Auf der anderen Seite steht Deutschland, das sich sträubt, die Verantwortung für Europas Bankensektor zu vergemeinschaften. Berlin besteht statt dessen darauf, dass Krisen nationaler Banken zunächst auf nationaler Ebene bewältigt werden sollten, bevor Institutionen wie der ESM um Unterstützung ersucht werden.

Diese unterschiedlichen Positionen sind schwer miteinander in Einklang zu bringen. Letztlich ist es eine eher akademische Frage. Wenn etwa Griechenland seinen Bankensektor mit einigen Milliarden Euro stabilisieren müsste, wie wahrscheinIich wäre es dann, dass Athen das Geld aufbringen könnte? Selbst wenn dies gelänge, müsste es durch internationale Institutionen gestützt werden, auf die Griechenland im Zusammenhang mit seinen Staatsfinanzen angewiesen ist.

Für andere angeschlagene Länder, die ihre Banken retten wollen, gibt es zumindest einige gute Nachrichten. Nach einem Schreiben des Kommissars der Europäischen Union Olli Rehn, das zur Welt am Sonntag durchsickerte, würden Bankenrettungsmaßnahmen bei den EU-Defizitregelungen nicht mitgerechnet werden. Auf eine verdrehte Art und Weise ergibt das sogar einen Sinn. Konfrontiert mit der Entscheidung, sich höher zu verschulden oder einen Bank-Run zu riskieren, würden die meisten Regierungen nur zu gern ersteres wählen. Nun besteht angesichts der Unterstützung durch die EU-Kommission kein Grund, warum sie es nicht tun sollten.

Im Zusammenhang mit der europäischen Krise ist dies jedoch eine schlechte Nachricht. Während Yves Mersch von der EZB die Öffentlichkeit noch davon zu überzeugen versucht, dass Hilfen vom Steuerzahler im Umgang mit unterkapitalisierten Banken nur die ultima ratio sei, signalisiert die Europäische Kommission bereits ihre Unterstützung für solche Maßnahmen.

Es bleibt noch zu viel Spekulatives rund um die geplante Bankenunion. Manches davon mag klarer werden, wenn EZB-Präsident Mario Draghi am 23. Oktober die Einzelheiten des neuen Stresstests bekanntgibt. Die größten Probleme sind jedoch nach wie vor politischer Art und lassen sich zusammenfassen in den Fragen „Wer zahlt?“, „Wie viel?“ und – nur so nebenbei – „Würde die Bilanz der EZB selbst einen richtigen Stresstest bestehen?“

Im weiteren Verlauf der Staatsschuldenkrise sollten wir den komplexen und undurchsichtigen Problemen des europäischen Bankensystems mehr Aufmerksamkeit schenken. Dieses wird im nächsten Jahr eines der großen Schlachtfelder der Eurokrise sein.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Blowing the cover off Europe’s bank crisis’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 10. Oktober 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Chris Deister / 20.10.2013

Einspruch, Euer Ehren! Die europäische Bankenkrise ist eine Staatsschuldenkrise. Meistens zumindest; Spanien war die Ausnahme. Dort wäre eine heftige, aber kurze Krise das Beste gewesen: Immobilienspekulanten jeglicher Coleur und viele Banken wären pleite gegangen und dann hätten die Spanier wieder durchstarten können… wenn Spanien denn hätte autonom reagieren können bzw. dürfen (ein paar Milliärdchen für die Einlagensicherung fürs Ersparte hätten die Staatsverschuldung vielleicht von 60% auf 70% des BIP getrieben, aber nicht über 100% wie heute und kein Ende in Sicht -Sparerrettung statt Bankenrettung!-). Aber - zurück zur Sache: 1. Verschuldung Politiker und “Analysten” tun zuweilen so als ob die Staatsschuldenkrise eine Folge der Bankenkrise sei: durch die vom Staat übernommene Haftung für Pleitekandidaten, präziser deren notwendig gewordene Rekapitalisierung habe der Staat sich mehr verschulden müssen als ohne die Krise, mithin seien die Banken nicht nur die Verursacher der Finanz- und Wirtschafts-, sondern auch spezifisch der Staatsschuldenkrise. Richtig ist: die Bankenkrise war der Auslöser der allgemeinen Krise. Aber anstatt unseren Bonusbeziehern den (rhetorischen) Marktradikalismus zur Abwechslung auch einmal negativ spüren zu lassen wurden selbige mit Staatsgeld herausgekauft. Prima facie hätte die Politik dazu keine Ursache: man lässt die Banken faillieren, richtet für einen funktionierenden Zahlungsverkehr Notfallfazilitäten ein, zahlt die (Klein)Sparer aus und drückt ansonsten, wie erwähnt, den Resetknopf. Nach -sagen wir:- 1 Jahr huffing and puffing hätte sich alles zurecht geruckelt und die Wirtschäft hätte wieder Fahrt aufgenommen. Warum ist man nicht so vorgegangen? Siehe 3. 2. Euro Dass es eine europäische Bankenkrise ist liegt ganz wesentlich an diesem idiotischen Euro. Er zwingt alle Euroländer in ein wirtschaftspolitisches Korsett; er vertieft und verlängert die Krise. Das ist so einfach zu begreifen, dass man sich fragt warum die AfD kürzlich nicht die absolute Mehrheit bekommen hat: denn es sind ja Portugiesen, Spanier und Griechen, die (bisher) die Hauptleidtragenden des zentralistischen Euro-GOSPLAN a.k.a. EUdSSR sind. Dass die bolschewistischen Leitmedien hierzulande die AfD in Umkehr der Tatsachen als “egoistische Nationalisten” brandmark(t)en ist ein Treppenwitz und ein weiterer Beleg für die ewige Wahrheit: Medien sind dazu da, das Offensichtliche mittels Agitprop zu “widerlegen”. 3. Politiker Also, warum haben die Politiker den Finanzsektor nicht Finanzsektor sein gelassen und auf den Resetknopf gedrückt? Natürlich: weil der Staat viel zu sehr mit ihm verstrickt ist. Wo bringt der Staat (mit allen seinen Gebietskörperschaften, staatseigenen Betrieben etc.) seine Anleihen unter? Richtig, bei den Kapitalsammelstellen (eine kleine Erweiterung dazu folgt gleich). Nun müssen diese Anleihen von irgend jemandem gekauft werden? Letzten Endes? Also von Hinz und Kunz, genannt Kunde? Nicht bei Banken. Die nehmen sie (die Anleihen) auf ihre Bücher; und zwar mit Geld, das sie sich von der Zentralbank leihen (und dafür die eben gekauften Wertpapiere als Pfand hinterlegen). Mit anderen Worten: ohne große Bankbilanzen keine (exzessive) Staatsschuldenfinanzierung! Deswegen ist eine echte Schrumpfung der Banken nicht im Sinne der Politiker. Es sei denn… ...man verzichtet auf den Umweg über die Geschäftsbanken und dient die (zum vorgegebenen Preis = [zu] niedrigen Zins) nicht beim Publikum unterzubringenden Anleihen direkt der Zentralbank an! Wie in Japan. Wie in den USA. Wie… in der EU (obwohl dort gem. Art 123 Lissabon-Vertrag verboten!). Ohne den unersättlichen Geldbedarf des Staates (für seine unproduktiven Tätigkeiten) ist eine dauerhafte (Finanz-)Krise nicht vorstellbar!

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.10.2019 / 06:26 / 26

Vorsicht, lebende Anwälte künftiger Generationen!

Der deutsche Umweltrat will einen „Rat für Generationengerechtigkeit“ schaffen und das Gremium mit einem Vetorecht ausstatten, um Gesetze aufzuhalten. Was davon zu halten ist, wenn Lobbygruppen sich zu…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.06.2016 / 09:45 / 0

„Wen der Brexit nicht aufweckt, dem ist nicht zu helfen“

Achse-Autor Oliver Hartwich lebt in Neuseeland und ist dort Direktor des Wirtschafts-Verbandes und Think-Tanks „The New Zealand Inititiative.“ Gestern (das britische Abstimmungs-Ergebnis war noch nicht…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 04.02.2016 / 05:22 / 3

It’s time for Merkel to go

“With her actions during the refugee crisis, Merkel is dwarfing even these previous policy blunders. If one were to add up all her mistakes, they…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 27.09.2015 / 02:39 / 0

A plea for national identity

Diese Woche erhielt ich meine dauerhafte und uneingeschränkte Aufenthaltsgenehmigung für Neuseeland (nachdem ich zuvor mit einem australischen Visum in Wellington lebte). Grund genug, sich über…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.09.2015 / 13:16 / 11

Das Volkswagen-Fiasko und seine Folgen

Mit dem Eingeständnis von VW, die Abgaswerte seiner Fahrzeuge systematisch manipuliert zu haben, wurde nicht nur der weltweit größte Automobilhersteller in eine Krise gestürzt, auch…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.09.2015 / 10:13 / 6

Die EU zerfällt

Letzte Woche schrieb ich an dieser Stelle, dass Europas Flüchtlingskrise die EU entzweien könnte. Diese Woche konstatiere ich die Fortschritte während der letzten sieben Tage…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 11.09.2015 / 09:55 / 6

Die europäische Flüchtlingskrise bringt die EU ins Wanken

„Immerhin kommt Deutschland jetzt in den Medien besser weg“, sagte mir ein befreundeter Geschäftsmann vor ein paar Tagen. „Ein erfreulicher Unterschied zu dem, was wir…/ mehr

Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 09.09.2015 / 11:00 / 2

Europas Niedergang und seine Wurzeln

Vor fünf Jahren bot mir Alan Kohler an, im wöchentlichen Turnus die Wirtschaftslage in Europa zu kommentieren. Inzwischen habe ich die europäische Schuldenkrise in mehr…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com