Wie erfrischend, einen solchen Text zu lesen. Labsal für die Seele. Danke!
Von Peter Gauweiler hörte ich mal das kürzeste und markanteste statement gegen Kommunismus: “Unterschiedlichkeit ist ein Wert an sich”.
Da muss ich dem guten Herrn recht geben. Ich habe zwar das Interrailticket nur einmal benutzt. Es war aber ein Erlebnis. Ich wollte mit ein paar Freunden eine Tante eines der Freunde in Finnland besuchen. Da eine Direktverbindung sauteuer war und Interrail gerade angesagt war, haben wir uns jeder ein ticket gekauft und die Fahrt über die Beneluxländer gemacht. In Groningen mussten wir übernachten, da die Züge nach Deutschland nicht mehr fuhren. Wir wussten nicht wo die Jugendherberge war aber freundliche (!) Holländer fuhren uns hin. Damals wussten wir nicht, warum die Holländer keine Gardinen hatten und man das ganze Familienleben von der Straße aus beobachten konnte. Danach ging es über Hamburg, Kopenhagen (mit einer Zugfähre) nach Stockholm. Für den Bewohner einer deutschen Großstadt, die im zweiten Weltkrieg fast vollkommen zerstört wurde war der Anblick einer intakten Innenstadt atemberaubend. Allerdings verlor die Stadt beim Bummel in die Randbezirke ihre Individualität und man hätte in jeder beliebigen Großstadt Westeuropas sein können. Der Vorteil des Interrailtickets war es, dass man mit einer Fährlinie fahren konnte. Ich glaube es war die finnische Silja line. Im Bauch des Schiffes gab es dann Massenunterkünfte mit 12 oder mehr mehrstöckigen Bettkabinen. Das ganze war furchtbar voll, aber das war kein Problem. Man hatte die Füße eines Belgiers in der Nase, während man sich mit einem Franzosen unterhielt. Es gab aber keine Aggression, nichts. Es war wie man sich Europa positiv vorstellt. Wir kamen dann in Turku an, wo uns die Tante abholte und uns zu einer Hütte nahe der russischen Grenze brachte. Es war einfach super. Sehr primitiv, aber natürlich mit Sauna, abends mit Fliegen und jeden Tag frischen Fisch, auch Lachs, der dort für deutsche Verhältnisse lachhaft billig war. Die Finninnen und Schwedinnen waren eine Augenweite und total offen. Kopftuchträgerinnen hab ich damals nicht gesehen. Ich war damals BW Soldat und musste früher nach Hause so dass ich alleine fuhr. Aber man kam sofort mit anderen ins Gespräch. Ich lernte einen Australier kennen, der vor dem Studium ein Jahr eine Europarundreise machte, einen Franzosen mit dem ich jahrelang Kontakt behielt bis er fürchte ich bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Die Züge waren immer gestopft voll, da das Interrailen auch in den Nachbarländern beliebt war. Aber wie gesagt, es gab keine Aggressionen, sehr viel Hilfsbereitschaft, viele Kontakte, die meist nach dem Umsteigen schon vergessen waren. Es war einfach, fast schon primitiv, aber niemand störte ich daran. Englisch war damals noch nicht so dominant, so dass man mit Händen und Füssen oder auch mit dem Schulfranzösisch kommunizieren musste. Viele, vor allen Dingen im Norden konnten erstaunlicherweise gutes Deutsch. (Die freundlichen Holländer redeten nur Englisch mit uns). Ne, es war schön. Aber ich habe es nur einmal gemacht. Im Nachhinein schade, aber das war damals doch viel Geld.
Lieber Herr Forler, Sie schreiben mir aus der Seele: “Und heute? Was haben wir gewonnen?” Gewonnen haben wir austauschbar uniforme Bahnhöfe, Shopping Malls und Innenstädte, die das Erbe ihrer architektonischen Schönheit mit genagelten Stiefeln treten. Verstädterte und verschandelte Urlaubsregionen, die einst schon auf den ersten Blick einen Zauber ausübten; und deren Bewohner ihre unverwechselbare Eigenheiten und ihren Charme für trügerische Subventionen und bürokratische Würgegriffe der EU geopfert haben. (Wie Sie, aber nicht so konzis, könnte ich viele weitere Einbußen aufzählen.) — Es mag eine Zeit kommen, die diese Irrtümer erkennen und teilweise revidieren wird, und wir könnten sie zweifellos noch erleben. Aber es wird halt dauern. Vielen Dank und herzliche Grüße!
Mit Wehmut las ich diesen wunderbaren Artikel, der treffsicher die untergegangene Reisewelt meiner Jugend beschreibt. Was wir gewonnen haben? Ich trauere dem nach, was wir verloren haben: intakte weitgehend homogene unterschiedliche Kulturen, in die einzutauchen ein genussvolles Abenteuer war, Der Wertschätzung des Fremden lag die Achtung vor dem Eigenen zugrunde. Diese aufregende Welt echter Vielfalt gibt es nicht mehr, ausgerottet durch menschenfeindliche machtbesessene Ideologie und dem Diktat des Kommerz.
Die kulturellen Unterschiede sind heute nicht zwischen den Städten der verschiedenen Länder, sondern zwischen den guten und schlechten Vierteln in der gleichen Stadt.
Der Text gefällt mir sehr, und er teilt meine Empfindungen. Aber da muss wohl ein Irrtum vorliegen: Ich lese und höre überall, es sei noch nie so tolerant, bunt und weltoffen zugegangen wie heute, noch nie hätten wir uns Fremden und der Fremde derart aufgeschlossen zugewendet. Hm, könnte es sein, dass es heute etwas verlogen, scheinheilig und feige zugeht? Beste Wünsche!
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