Die Olympischen Sommerspiele in Rio gehen am Sonntag zu Ende – mit einer ganz besonderen Spitzenleistung: dem Weltrekord der Kondome. Die rund 10.500 Athleten wurden mit 450.000 (kostenlosen) Latexhütchen ausgestattet – so viele wie an keinen Olympischen Spielen zuvor. "Brasilien wirbt für sicheren Sex und Sportler sind ein Vorbild für die Bevölkerung. Sie können eine bedeutende Rolle im Kampf gegen Aids spielen", so ein Olympia-Sprecher. Die Zahl ist auch deshalb so hoch, weil in Rio zum ersten Mal auch Frauenkondome verteilt wurden.
Wie Swiss Olympic auf Anfrage schreibt, bleiben Athletinnen und Athleten durchschnittlich etwa 15 Tage in Rio. 450.000 Präservative – das macht 42 Kondome pro Sportler, knapp drei Stück pro Tag. Während 15 Tagen 45 Mal Sex haben – nüchtern betrachtet ist das – auch ohne die Strapazen eines Wettkampfes gegen die Weltelite – ein recht euphorisches Ziel. Aber nehmen wir das mal unvoreingenommen auseinander: Da bist du als junger Mensch, fernab von Heimat und Familie, im Athletendorf, triffst zwar allerlei Leute, sprichst aber nicht dieselbe Sprache, willst deine Medaille feiern oder den verkorksten Tag mit einem versöhnlichen Abschluss begiessen – was liegt da näher als ein Schäferstündchen? Oder zwei oder drei? Das ist doch auch Völkerverständigung. Und schon sind wir bei 45.
Es geht ja schon lange das Gerücht, dass das Sportler-Village bei Olympischen Spielen ein Hort der Lust und Sündhaftigkeit ist. "Es ist der am meisten Testosteron-gefüllte Ort der Welt", sagte der Australische Goldmedaillen-Sportschütze Mark Russel über das olympische Dorf in London 2012. "Die Sportler befreien sich von ihrem Frust am Ende des Events, dann passiert es eben." In Rio soll sich gerade ein Brasilianisches Synchronschwimmerinnen-Paar getrennt haben, weil eine der Frauen die Teamkollegin vom Zimmer verbannte, um sich ein paar schöne Momente – die Rede ist von "Marathon Sex" – mit einem Kanufahrer zu genehmigen.
Ein Ausgleich vom Synchronschwimmen
Laut einem Artikel im "The Guardian" begann die Ausstattung von Sportlern mit Verhütungsmaterial bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul (8.500 Kondome). Die Zahl wuchs stetig, in Barcelona wurden 90.000 Kondome verteilt, in Athen 130.000, in London 150.000. Man könnte jetzt denken, das sind doch verrückte Zahlen, die auszuschöpfen im Bereich des Unmöglichen liegt – mitnichten: In Sydney im Jahr 2000 vergaben die Organisatoren 70.000 Stück, weil sie aber in der Halbzeit schon aufgebraucht waren, wurden 20.000 nachbestellt. Im dortigen Sportler-Village übrigens nahmen die amourösen Anwandlungen von Roger Federer und seiner Mirka ihren Lauf.
Die Gesamtperformance eines Sportlers geht offenbar über das rein Wettkämpferische hinaus. Das gibt natürlich Anlass zur Frage, ob bei so viel gesellschaftlichem Verkehr noch genug Energie für den Sport übrigbleibt. Experten gehen aber davon aus, dass Sex keinen negativen, sondern einen entspannenden Effekt auf einen Wettkampf hat. Jeder Sportler hält es diesbezüglich ja auch ein bisschen anders. Die Fussball-Legende Diego Maradona hat während seiner Aktivzeit täglich mindestens einmal Sex benötigt (sagt er zumindest), sonst hätte er Kopfschmerzen bekommen. Muhammad Ali blieb vor Wettkämpfen mehrere Wochen enthaltsam. Wahrscheinlich haben auch nicht alle Athleten die Veranlagung, drei horizontale Einsätze innert 24 Stunden durchzustehen.
Wer sich jetzt fragt, welcher Disziplin jene Sportler angehören, die ihren drei Hütchen vollends Rechnung tragen – vielleicht gibt das Aufschluss: Die Sundevall-Rennmaus hält den Sex-Rekord mit bis zu hundert Mal in der Stunde. Den längsten Sex mit bis zu zehn Wochen am Stück haben Stabheuschrecken.
Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen