Wolfram Weimer / 15.04.2016 / 13:59 / Foto: R4BIA.com / 7 / Seite ausdrucken

Es kommt knüppeldick: Merkel im Zentrum eines Dreifach-Eklats

Jan Böhmermann gelingt, was weder Roland Koch noch Friedrich Merz, weder Gregor Gysi noch Jürgen Trittin, weder Peer Steinbrück noch Sigmar Gabriel je geglückt ist, obwohl sie genau das wollten: Angela Merkel einmal in ernste Schwierigkeiten bringen. Ausgerechnet ein Gedicht entlarvt die Kanzlerin mit ihrer misslungenen Migrationspolitik und untergräbt ihre Integrität schwer. Merkel hätte zu den Schmäh-Reimen des Kölner TV-Narren einfach schweigen können, so wie sie sich in ihrer Karriere häufig bloß kühl nach oben geschwiegen hat.

Doch Böhmermanns böse Satire lüftet auf derart schamlose Weise den Schleier von der Maske einer zweifelhaften Politik, dass aus miserablen Reimen plötzlich eine Staatskrise wird. Zunächst reagiert der angegriffene Erdogan wie Despoten immer auf Kritik reagieren – humorlos, gereizt, aggressiv. Er fordert den juristischen Kopf des Satirikers, so wie er es in der Türkei gewohnt ist und Hunderte von Regimekritikern brutal verfolgt. Doch dann springt die Kanzlerin Erdogan überraschend zur Seite, ruft eilfertig den türkischen Ministerpräsidenten persönlich an und kritisiert demonstrativ das Gedicht. Hinterher lässt sie das auch noch alle Welt offiziell wissen und ihr lyrisches Urteil verbreiten: „bewusst verletzend“. Unerträglich. Obendrein belobigt sie im Gestus einstiger Ostblockregime, dass das Gedicht zensiert und vom Netz genommen worden sei.

Auch Merkel war Charly, jetzt nicht mehr

Der Vorgang ist ein dreifacher Eklat. Zum einen weil Angela Merkel damit die Meinungs- und Kunstfreiheit auf grobe Weise untergräbt. Im Fall der Terrorattacken auf europäische Karikaturisten hatte die Bundesregierung noch feierlich proklamiert, die Freiheit der Satire sei unantastbar und werde immer verteidigt. Auch Merkel war Charlie. Nun aber ist sie nur noch Recep und begräbt bei einem lächerlichen Fall die Kunstfreiheit mit bewusster Geste. Der Schaden ist so groß, dass Regierungssprecher Seibert minutenlang erklären muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte; dass nämlich in Deutschland Meinungs- und Kunstfreiheit herrsche. Die Kanzlerin wolle “unmissverständlich” deutlich machen, dass der Artikel fünf des Grundgesetzes über die Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und Wissenschaft “selbstverständlich höchstes Gut” sei, er sei “weder nach innen noch nach außen verhandelbar”, so Seibert in der Bundespressekonferenz. Wenn ein Regierungssprecher die Grundgesetztreue der Kanzlerin beschwören muss, dann ist etwas gewaltig aus den Fugen geraten.

Zweitens ist der Ärger über Merkel so groß, weil sie ausgerechnet einem Feind der Menschenrechte zur Seite springt. Als die Kirche, der Papst oder Jesus Christus von Satirikern und Künstlern aufs Übelste geschmäht, beleidigt und erniedrigt wurden, da schwieg die Kanzlerin. Nun aber sucht sie demonstrativ den satire-kritischen Schulterschluss mit einem Mann, der Künstler und Journalisten willkürlich verhaften und verfolgen lässt, der ein Regime der Angst etabliert und blutige Kriege gegen Kurden und Syrer führt, dessen Kulturverständnis den Odem eines islamistischen Säbels atmet. Erdogans eigenes (auch bewusst verletzendes) Lieblingsgedicht stammt von Ziya Gökalp mit so entlarvenden Zeilen wie:"Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette.“ Dass Merkel ausgerechnet in dieser Situation, da Erdogan die Presse brutal verfolgt, die Freiheit des Wortes in Deutschland infrage stellt, erschüttert selbst enge Mitarbeiter im Kanzleramt. Sie akzeptiert damit die düsteren Spielregeln eines Neo-Sultans, der Menschen- und Freiheitsrechte mit Stiefeln tritt.

Die Integrität der Bundeskanzlerin im Sturzflug

Der dritte und größte Eklat liegt darin, dass Merkel um Eklatrisiko 1 und 2 genau wusste – und trotzdem so handelte. Damit verrät sie, wie sehr sie sich selbst in politischer Not und von Erdogan abhängig sieht. Nun wird der ganzen Welt offenbar, dass Erdogan von Berlin nicht nur Kopfgeld-Milliarden und Visa-Erleichterungen und EU-Beitrittsverhandlungen erzwingen kann. Er kann die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, deren Integrität bislang enorm gewesen ist, dazu bringen, die Meinungsfreiheit in Deutschland zu relativieren. Merkels Böhmermann-Skandal ist vor allem ein unglaublicher Kotau vor einem Despoten aus Ankara. Sie unterwirft sich der Repressionslogik von Erdogan, weil ihre Migrationspolitik dahin führt, dass Deutschland von der Türkei erpressbar geworden ist.

An der Winzigkeit eines miserablen Gedichts entlarvt sich die ganze Tragödie von Merkels Zuwanderungs-Irrungen. Weil sie die Grenzen zu weit aufgerissen hat und sich seither weigert, die eigene Grenzsicherung entschieden in Angriff zu nehmen, stattdessen aber die Türkei als dubiosen Grenzpolizisten einkaufen will, degradiert sie sich und Deutschland zum Spielball fremder Interessen und Ansichten – und seien es die über Satire. Die Bundeskanzlerin erniedrigt sich und die Bundesrepublik.

Sie fügt damit ihrer Fehlerkette in der Migrationspolitik einen weiteren, grotesken hinzu. Einem Narren wie Böhmermann gelingt damit mit Satire, was Horst Seehofer seit Monaten mit Argumenten vergeblich versucht – die Entlarvung eines faulen, mephistophelischen Deals. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist schlichtweg nicht integer, und Angela Merkel hat daran ihre politische Seele verkauft. Jan Böhmermann gelingt ein historischer Coup der Satire. Wie vor Jahrhunderten die besten schmitzig-schlauen Bänkelsänger, Königen und Kaisern lustig-listig den Spiegel vorhalten durften, so hat er es mit Erdogan und Merkel gegen deren Willen getan.

Böhmermann ist der system-spielende Grenzgänger der deutschen Komödianten, der immer wieder die Spielregeln der deutschen Mediengesellschaft provozierend hinterfragt. Einmal ist Böhmermann bei einer Lukas-Podolski-Parodie Urheber des Ausspruchs „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!“, hernach wird der aber lebenslang (und doch fälschlich) Lukas Podolski zugeschrieben. Ein anderes Mal mimt er für verschiedene TV-Sender einen Schweinegrippekranken und entlarvt damit die Rechercheschwäche und Panikmache des Fernsehens. Dann verblüfft er die Rollenspiele der Migranten mit Polizeiraps oder verwirrt Deutschlands Mediengläubige mit der Behauptung, er habe das Video mit dem Stinkefinger des griechischen Finanzministers manipuliert. Er spielt mit scheinbaren Gewissheiten einer Gesellschaft, die in Wahrheit um viele Gewissheiten nicht mehr weiß. Er hinterfragt zweifelhafte Spielregeln mit dem Regelspiel. Auch sein Erdogan-Schmähgedicht hat er nicht als Gedicht platziert, sondern als erklärtes Experiment über die Grenzen der Freiheit. Merkel ist darauf hereingefallen. Sie wirkt nun wie Shakespeares King Lear, der sein Königreich an die falschen vergibt und von einem Narren schließlich gesagt bekommt: „Wahrheit ist ein Hund, der ins Loch muss und hinausgepeitscht wird, während Madame Schoßhündin am Feuer stehen und stinken darf.“

Die Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean und ntv.de

Foto: R4BIA.com via Wikimedia Commons

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Herbert Eder / 15.04.2016

Diese Meinung kann ich so nicht teilen. Frau Merkel hat versehentlich genau das Richtige getan: Nun kann die Justiz zeigen, dass, ob oder wie weit sie tatsächlich noch frei ist. Ich erlaube mir, sehr gespannt zu sein ...

Detlef Dechant / 15.04.2016

Wolfgang Weimar hat ganz recht mit dem was er schreibt. Der alter Lateiner würde sagen: Si tacuisses, philosophus mansisses. Aber Frau Merkel hatte leider in der DDR kein Latein und sich auch sicher wenig mit alter Philosophie beschäftigt. Vorbei sind leider die Zeiten, als die Philosophen auch noch Naturwissenschaftler und die Naturwissenschaftler noch Philosophen waren! Dennoch ist jetzt die Entscheidung der Bundesregierung richtig. Wo die Grenzen der Satire sind, sollten Gerichte und nicht irgendwelche Politiker, Comediens, Kabarettisten und andere Möchtegernrichter entscheiden. Statt heute zu lamentieren, hätten die Linken und Grünen vielleicht besser nicht das Grundgesetz unter dem Kopfkissen verstecken sondern es lesen sollen, dann wäre ihnen sicher diese Stelle schon früher aufgefallen und man hätte sie schon lange streichen können! Nun haben die Juristen das Wort und können urteilen. Dass Satire nicht alles darf, hat in der Vergangenheit auch die “Titanic” erfahren müssen, die auch schon einige Sümmchen als Schadensersatz hat zahlen müssen. Was ich nicht verstehe, ist, dass Frau Merkel in der Stellungsnahme daruaf hinweist, dass man einen Gesetzentwurf vorlegen will und davon ausgeht, dass die Korrektur dann 2018 gilt. Wenn es um zusätzliche Steuern geht, un die Bürger zu schröpfen, kann der Bundestag wesentlich schneller arbeiten - warum nicht auch hier?

Lars Bäcker / 15.04.2016

“Als die Kirche, der Papst oder Jesus Christus von Satirikern und Künstlern aufs Übelste geschmäht, beleidigt und erniedrigt wurden, da schwieg die Kanzlerin.” Richtig. Sie schwieg ja sogar, als die ausländische Presse (Griechenland, Türkei) sie als Hitler auf Titelbildern dargestellt und ihr Handeln mit dem des Gröfaz verglichen hat. Sie hält also sehr viel von Presse- und Meinungsfreiheit… jedenfalls, wenn es um die anderer Gesellschaften geht. Womit haben wir diese Person verdient?

Andreas Rochow / 15.04.2016

Ja, jetzt ist alles außer Kontrolle geraten und die Bundeskanzlerin, der das Schmähgedicht eigentlich galt, kann nicht mehr auf Ignorieren schalten. Aber angefangen hat es mit dem hemmungslosen und medienverstärkten Kontrollverlust eines durchgeknallten Fernsehkomikers. Wen wird er als nächstes anpöbeln dürfen?  Der Kommentar von Wolfram Weimer hat es leider versäumt zu erwähnen, dass die Kanzlerin aus gegebener Veranlassung angeregt hat, § 103 aus dem Strafgesetzbuch entfernen zu lassen. Nun schreibt Böhmermann auch noch Rechtsgeschichte: “Er nutzte im Jahr 2016 als letzter die Gelegenheit, nach § 103 StGB verurteilt zu werden; das Gesetz wurde nach seiner Verurteilung aus dem Strafgesetzbuch entfernt.”

Dieter Rohrlack / 15.04.2016

Ich hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung einen Deal vermutet. Merkel sagt “ja” zur Strafverfolgung und versucht hintenrum, einen Freispruch “zu arrangieren”. Noch ist meine Vermutung nicht widerlegt . . .

Karla Kuhn / 15.04.2016

Dreimal habe ich Ihren sehr gelungenen Artikel gelesen, Herr Weimer.  Mit geradezu grausamer Ehrlichkeit entlarven Sie die Merkelsche Politik.  Dass Frau Merkel über einen Herrn Böhmermann stolpert, ist Merkels Crux. Wer auf einem zu hohem Ross sitzt, fällt tief.  Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Michael Hoffmann / 15.04.2016

Sehr geehrter Herr Weimer, so sehr ich Ihre Beiträge meist schätze, aber hier sei heftiger Widerspruch erlaubt. Böhmermann als Satiriker oder Komödianten zu bezeichnen, ist eine Beleidigung für diesen ehrenwerten Berufsstand. Böhmermann ist ein Proll und passt damit gut in das Bild der heutigen “Kulturlandschaft”.  Sein “Gedicht” ist eine Aneinanderreihung von unflätigen Begriffen, die keiner, der auch nur ein wenig Anstand besitzt und eine einigermaßen kultivierte Erziehung genossen hat, in den Mund nehmen würde. Wenn er mein Sohn wäre, würde ich mich in Grund und Boden schämen. Wie kommen Sie auf die aberwitzige Idee, dieses Elaborat eines ordinären Geistes mit der Kunst- und Meinungsfreiheit schützen zu wollen? Wenn ich jemanden Arschloch nenne und dann Satire darüberschreibe, ist das noch immer eine Beleidigung. Sind übrigens solche verbalen Entgleisungen mit dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gedeckt? Wer Böhmermann in diesem Zusammenhang in Schutz nimmt, begibt sich auf dessen Niveau. Und das ist spätestens seit diesem Gedicht weit unter der Gürtellinie. Daß man in anderen Fällen immer wieder beide Augen zudrückt, zeigt, mit wieviel Heuchelei und Unwahrhaftigkeit hier argumentiert wird. Aus diesem Grunde bin ich schon lange dafür, den Beleidigungsparagraphen abzuschaffen. Er öffnet der Willkür Tür und Tor und ist damit eines Rechtsstaates unwürdig. Gute Umgangsformen lernt man im Elternhaus, durch Knigge oder schmerzliche Erfahrungen (im Öffentlich-Rechtlichen jedenfalls nicht). Das Strafgesetzbuch ist dafür ungeeignet.

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