Hans-Martin Esser / 09.05.2016 / 16:09 / Foto: istolethetv / 3 / Seite ausdrucken

Es kann nur einen geben: Wer beerbt Hans Werner Sinn?

Sie sind die grauen Eminenzen und machen Richard David Precht ein wenig neidisch. Sein Buch „Wer bin ich - und wenn ja - wie viele?“ began dieser mit der Anmerkung, heute hätten Ökonomen und nicht mehr Philosophen Einfluss als politische Berater.

Doch ähnlich wie bei den Kritikern allgemein -  und Ökonomen sind Kritiker der Wirtschaftspolitik -, gibt es einen Papst und viele Erzbischöfe. Reich-Ranicki als Kritiker der Literatur duldete ja auch keine 2.Meinung neben seiner. Mindestens 15 Jahre war Hans-Werner Sinn der große Zampano der Szene im Ökonomenbetrieb. Jetzt jedoch ist er in Pension gegangen und sein Posten wird neu vergeben, nicht der des ifo-Chefs, sondern der des großen Orakels.

Drei Hüte sind in den Ring geworfen

Es ist kein Zufall, dass jetzt Hüte in den Ring geworfen werden. Marcel Fratzscher auf allen Kanälen. Es scheint so zu sein, dass er die Deutungshoheit für die Probleme der Gegenwart übernimmt oder gar Probleme sieht, die vielleicht keine sind und daher mehr Gewicht erhält. Dem ehemaligen Bayern-Torhüter Raimond Aumann warf man vor, spektakuläre Paraden selbst zu inszenieren, indem er erst 2 Schritte nach links ging, um dann ganz weit nach rechts zu springen und den Ball zu parieren. Klappern gehört zum Geschäft.

So liegt die Versuchung analog für einen die Deutungshoheit anpeilenden Ökonomen nahe, spektakuläre Ausblicke zu verbildlichen. Hans-Werner Sinns Stärke lag darin, Begriffe zu kreieren. Man denke an die „Basar-Ökonomie“ oder den daraus abgeleiteten Basar-Effekt. Sinn kam mit solchen Begrifflichkeiten auch dem öffentlichen Bedürfnis nach, spektakuläre Show-Elemente in die trocken-abstrakte Ökonomie einzubauen.

Steile Thesen eignen sich auch bestens. In einem Rededuell auf dem Sender Phönix stritten Fratzscher und Christoph Schmidt, der Chef der Wirtschaftsweisen ist, über Rentenpolitik in Zeiten demographischen Wandels. Das Publikum sah so wie Homer Simpson aus, wenn ihm etwas Kompliziertes gesagt wird: man sah förmlich die trommelnden Äffchen in den Denkblasen, um es wie im Comic zu veranschaulichen. Das Publikum verstand vor allem Bahnhof. Fratzscher lieferte zu Schmidts Ärger die These, die soziale Marktwirtschaft sei im Lande beinahe tot. Das war einer der verständlichen Sätze – Vorteil Fratzscher.

Steile Thesen werden immer gerne genommen

Schmidt konterte mit der spitzen Bemerkung: „Geht es nicht noch ein bisschen dicker, Herr Kollege?!“. Da das Publikum offensichtlich kaum etwas verstand, bleibt in Erinnerung, wer griffiger formulierte. Zeitgleich mit Sinns Pensionierung lieferte Fratzscher übrigens auch ein dazugehörendes Buch zum Thema. Auf der Leipziger Buchmesse wurde es medial begleitet vorgestellt.

Sinns Nachfolger in München ist Clemens Fuest, der dritte Kandidat für die eine Stelle des Deutungspapstes in Deutschland. Auch er hatte ein Streitgespräch mit Fratzscher. Es fällt auf, wie sich die Kombattanten behaken. Alle drei (Fuest, Fratzscher und Schmidt) haben Führungsqualitäten, sonst hätte man ihnen nicht die Leitung der größten Forschungsinstitute übertragen. Natürlich hatten alle auch an den führenden Fakultäten studiert, promoviert, geforscht, gelehrt und in den führenden Organen publiziert. Neben dem spektakulären Hechtsprung in Form übertrieben steiler Thesen ist auch das Äußere entscheidend, wer beim Publikum punktet.

Sinns ostwestfälischer Dialekt ähnelte dem des damaligen Kanzlers Schröder, außerdem waren Frisur und Bart Markenzeichen, dazu ein eleganter Dreiteiler aus Weste, Sakko und Hose, nie sah man Sinn anders, immer mit Weste. Fratzscher mit seiner sehr sonoren Stimme und der markanten Kopfform kommt dem Bedürfnis nach Orientierung geschmeidiger nach als die Kollegen Schmidt und Fuest. Es mag eigentümlich klingen, aber wenn sich das Publikum entscheiden soll, wem man glaubt, wenn man sowieso nur Bahnhof versteht, dann am ehesten demjenigen mit dem markantesten Auftreten.

Markantes Aussehen und Auftreten sind die halbe Miete

Zur Diskussion Schmidt versus Fratzscher ist zu sagen, dass sich beide vollends einig waren, was die richtige Politik wäre, nämlich eine Rentenpolitik mit stärkerer Eigenbeteiligung der Versicherten. Fratzscher scheint auf den ersten Blick linker zu sein als die Anderen, inklusive Sinn, der sich als elder economist auch noch in die Diskussion einschalten wird wie Waldorf und Statler in der Muppet Show, aber Fratzscher kritisiert umverteilende Politik, die zurzeit so populär ist wie vor 15 Jahren neoliberale, nur subtiler.

Letztendlich wird er, sollte es nicht mit dem Teufel zugehen, derjenige sein, welcher die Dominanz des ifo-Instituts der vergangen 10 Jahre brechen wird und zwar aus 2 Gründen: der Zeitgeist ist zurzeit weiter links und das bedient er durch seine Fragestellung besser als die Kollegen, außerdem sitzt er in Berlin und damit ganz in der Nähe der großen Politik. Wenn ein Regierender also schnell Rat benötigt, ist es der kürzeste Weg.

Zum Thema Philosophie noch Folgendes: die Deutungshoheit ist dieser auch deshalb abhanden gekommen, weil sich die akademische Philosophie vollends auf den Elfenbeinturm konzentrierte, man überließ das Bedürfnis der normalen Menschen nach philosophischer Anregung lieber drei Denkern, die allesamt auch auf markantes Aussehen und steile Thesen setzen: Zizek (Bauch, T-Shirt, feuchte Aussprache, gerade-aufgestanden-Look), Sloterdijk (nasale Stimme, Räuspern, Fokuhila mit Schnauzbart) sowie Precht (offener Hemdkragen, Cowboystiefel, Kloß-im-Hals-Stimme). Wenn Fuest, Fratzscher und Schmidt also noch an Kleidung und Stimme arbeiten, dann wird es interessant.

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Leserpost

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Renate Pilsner / 12.05.2016

Ich plädiere Stefan Homburg. Der ist zwar AfD Sympathisant, aber genau das ist inzwischen eine Qualifikation für eine andere Meinung.

Ralf Schmode / 10.05.2016

Die Personalie Fratzscher könnte spannend werden. Der Mann leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das, SPD und den Gewerkschaften nicht unbedingt abgeneigt, so um 2012 - damals war Herr Fratzscher noch nicht sein Leiter - einen Versuchsballon zum Thema Vermögensabgabe/“Reichensteuer” hat steigen lassen. Wenn ich mich richtig erinnere, war die Rede von einer Abgabe von 10 % auf alle Vermögenswerte ab 250.000 Euro unabhängig von der Vermögensform - Bankeinlagen und Aktien wären ebenso betroffen gewesen wie Immobilien oder Ruhestandsanwartschaften. Ein Häuschen im Wert von 250.000 Euro hätte also seinen Besitzer mal eben 25.000 Euro gekostet, ggf. wäre es zwangsbeliehen worden, hätten sich die Vorstellungen des DIW politisch durchgesetzt. Damals war es wohl dem herannahenden Bundestagswahlkampf zu verdanken, dass nicht einmal die SPD dieses Thema mehr anfassen mochte, wodurch es - wie sich herausstellen könnte, vorübergehend - im wirtschaftspolitischen Giftschrank verschwand. Dieser Kreis schließt sich nun möglicherweise doch noch: In einer Zeit, in der die Regierenden nahezu täglich neue ungedeckte Wechsel zu Lasten der Bürger ausstellen, liegt es nahe, jemanden an die Spitze des ökonomischen Sachverstands in Deutschland zu schreiben, der den irgendwann unvermeidlich gewordenen Griff in die Sparstrümpfe propagandistisch vorbereitet. Wer könnte das besser als ein Mann, dessen heutiges Institut früher schon einmal solche Ideen ventiliert hat? Die ersten Pflöcke - Negativzinsen sowie die beginnende Delegitimierung der Bargeldnutzung - wurden ja schon eingeschlagen. Man wäre gespannt, was Herr Fratzscher zu diesen Dingen zu sagen hat, aber danach werden unsere hochinvestigativen Qualitätsmedien wohl ebensowenig fragen wie nach den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln. Um es mit den Worten eines amtierenden Bundesministers zu sagen: Die Antwort auf diese Fragen könnte uns beunruhigen. Irgendwann in den nächsten drei, vier Jahren könnte es dann ein Papier der “Wirtschaftsweisen” geben, in dem, selbstverständlich streng wissenschaftlich begründet, der Zugriff des Staates auf die Ersparnisse und Vermögenswerte der Bürger gefordert wird, garniert mit dem üblichen politischen Seifenblasensprech zwischen “Solidarität” und “alternativlos”. Nachdem die Gewaltenteilung, das Rechtsstaatsprinzip und diverse Grundrechte schon de facto außer Kraft gesetzt wurden, würde mit der dann legitimierten faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Eigentum die verfassungsmäßige Ordnung endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen und dieses Land wäre künftig der verflossenen DDR ähnlicher als der Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung. Es wäre zu hoffen, dass der kommende “Ökonomiepapst”, wem auch immer dieser Titel verliehen wird, sich ein wenig Unabhängigkeit von den politischen Vorgaben der rotschwarzgrünen Einheitspartei bewahren kann. Ein unabhängiger Geist dürfte allerdings so ziemlich das letzte sein, was Frau Merkel sich von ihren Beratern wünscht und erwartet.

Jürgen Fleischer / 10.05.2016

Habe einiges von Hans Werner Sinn gelesen. Insbesondere sein “6+1 - Punkte Programm” in “Ist Deutschland noch zu retten?” hat mich überzeugt. Sind seine Vorschläge zur Reform Deutschlands Sozialstaat auch nur ansatzweise verwirklicht worden? Er kam mir immer wie der Prophet vor, der im eigenen Land kein Gehör findet. Wird es seinem Nachfolger, wer auch immer das sein mag, anders ergehen? Er wird genau so wie Sinn wichtige theoretische Erkenntnisse verbreiten, die von den Politikern nicht beachtet werden.

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