Thilo Schneider / 04.03.2018 / 16:00 / Foto: Rudolf Stricker / 46 / Seite ausdrucken

Es gibt keine neue Regierung – die alte bleibt

Als sich am 20.09.1792 die Koalitionsarmeen bei Valmy vor den französischen Revolutionstruppen zurückzogen, notierte der junge Goethe: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und Ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“

So ähnlich geht es mir heute morgen. Die SPD-Basis hat beschlossen, dass 12 Jahre Angela Merkel für Deutschland immer noch nicht genug sind und mit 66 Prozent aller abgegebenen Stimmen weitere – gottlob mittlerweile nur noch dreieinhalb – Jahre Merkel zumutbar und verkraftbar sind. Und sich nebenbei selbst zerlegt. Und ich kann sagen, ich bin dabei gewesen, wenigstens als Zeitzeuge. Und sollte die SPD jemals wieder von „Gerechtigkeit“ oder ähnlichem schwafeln, dann wird ihnen, ebenso, wie dies bei der FDP nach dem Ende der sozialliberalen Koalition heute noch der Fall ist, der heutige Beschluss der Basis auch noch in 40 Jahren unter die Nase gerieben. Falls dann überhaupt noch jemand nach einer 4,5 Prozent-Partei fragt.

Ich bin weder Journalist noch Politiker. Ich bin einfach nur ein Bürger, der „schon länger“ in diesem Land lebt und sich dafür interessiert, wer was mit seinen Steuergeldern anstellt und gerne sicher abends vom Bahnhof nach Hause laufen möchte. Für mich haben in meinem Alltagsleben die Theorien und Schriften von Popper, Engels, Keynes und Friedman nur insofern Bedeutung, ob sie mir erlauben, auf meinem Weg ein Salamibrötchen mit ganz viel Gluten zu kaufen.

Die ewige Alles-egal-Kanzlerin

Und ich hielt Volk und Regierung, bei allen Querelen und Unstimmigkeiten, trotzdem immer für eine Einheit. Eine Einheit insofern, dass ein Grundkonsens darüber besteht, dass dies hier Deutschland ist und wir so ein paar unverhandelbare gemeinsame Werte haben, deren Aufzählung ich mir an dieser Stelle spare. Heute fühle ich nicht mehr so. Heute fühle ich mich herablassend und geschulmeistert behandelt. Von einer extrem mittelmäßigen und im wahrsten Sinne des Wortes wert-losen Politelite, der es völlig egal ist, was ich als Bürger denke und wie ihre Politik in meinem Lebensalltag ankommt und in meine persönlichen Freiheiten eingreift.

Das alles könnte ich als Demokrat trotzdem irgendwie verkraften, denn alle vier Jahre darf ich wählen gehen, und wenn mir die Regierung nicht passt, eine neue Regierung wählen. Das Problem ist nur mittlerweile: Es gibt keine neue Regierung. Es gibt seit acht Jahren immer nur eine alte Regierung und völlig egal, wen oder was ich wähle: Am Ende bleibt Angela Merkel Kanzlerinnendarstellerin.

Stimm- und Wahlverluste? Egal. Demos auf den Straßen? Egal. Erstarken radikaler Parteien? Egal. Egal, egal, egal. Was kann, ja muss ich denn als Bürger NOCH tun, bis Union und SPD begreifen, dass die GroKo abgewählt ist, abgewirtschaftet hat, unerwünscht ist? Ich hatte wirklich die leise Hoffnung, wenigstens die SPD-Basis, die ja auch aus ganz normalen Bürgern wie mir besteht, hätte begriffen, dass die Mehrheit der Wähler die Nase voll von den Stegners, Schulzes und Nahles’ hat.

Eine Art „Wir haben verstanden“? Pustekuchen.

Ich hatte gehofft, wenigstens bei der SPD, wenn schon nicht bei der vollvergreisten Union mit ihren unfähigen Postenduckmäusern und krawattierten Karrieristen, hinge so eine Art Hauch von Rebellion, so eine Art „Wir haben verstanden“ in der Luft... Pustekuchen. Ein Kevin Kühnert hat ein paar Wochen den Vorzeigerevolutionärskasper geben dürfen, das war es dann. Der brave SPD-Parteisoldat hat im Angesicht eines ihm bösen Vorstandes dann doch lieber die Flucht nach hinten ergriffen und seinen Parteibonzen zu Ministersesseln verholfen.

Immerhin, eines muss man den SPD-Granden lassen: Wenn sie die SPD schon in die Scheixxe reiten, dann tun sie das jetzt mit 66-prozentiger Unterstützung des Parteibasis, auch, wenn ich meinen FDP-Parteiausweis darauf verwette, dass ich nächstens am SPD-Stand keinen einzigen Genossen kennenlernen werde, der FÜR die Annahme des Koalitionsvertrags gestimmt hat. Auch so ein deutsches Ding: Hinterher war’s niemand gewesen. Ich warte dann nur noch auf den Satz „Wir haben damals SPD-Koalitionsgegner im Keller versteckt“.

Der Gedanke ist mir zutiefst zuwider, denn als freier deutscher Demokrat mag ich Meinungsvielfalt, Ordnung und Sicherheit. Aber ich wünsche mir wirklich „Merkel muss weg“-Demos. Und wenn ich sie selbst organisiere. Wer läuft mit?      

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thorsten Helbing / 04.03.2018

“Wer läuft mit?” Ich!

Günter Lüdeking / 04.03.2018

Ich laufe mit!

Andreas Donath / 04.03.2018

Auch in Hamburg finden Sie bürgerliche Menschen durch und durch, die es einfach leid sind, Opfer eines wahnhaft durchgezogenen Menschenexperiments (vgl. Yasha Mounk) und von der Politik wie Abschaum behandelt zu werden. Zuletzt waren es circa. 350 bis 400 Bürger in der Hansestadt, morgen sollen es, bei freundlicheren Temperaturen, bereits 500 werden. Die Merkel-affinen Medien haben sich diesbezüglich eine haarsträubende Story von knallrechtem Türstehermilieu zurechtgelegt, sie glauben einfach, sie könnten die Bürger grenzenlos belügen. Ich möchte Ihnen damit nur sagen, es tut sich was im Lande und auch in Ihrem Sinne und es ist ein bürgerliches Publikum wie Sie und ich, das zusammenkommt. Das sollten wir unterstützen und nicht auf irgendwelche fiktiven Angebote setzen, die ja doch nicht kommen. Schauen Sie es sich einmal an und urteilen Sie dann. Ich habe Ihnen als FDPler bewusst nicht Pegida Dresden und Zukunft Heimat in Cottbus empfohlen, die regelmäßig 4.000 bis 5.000 Menschen auf die Straße bringen, weil Ihnen der etwas “kernigere” Grundton im Osten missfallen könnte, aber auch da sind immer Leute dabei, die sich im Grundsatz eher links oder liberal verorten, aber massiv gegen die Politik der Merkel-Regierung und besonders die Massenmigration sind. Prüfen Sie die „Westangebote“ einmal vorurteilsfrei und dann sagen Sie mir, ob da “fiese Rechte” - eine Handvoll Spinner ist überall dabei, das kann man auch nicht verhindern, aber das sind sehr, sehr wenige - zu Gange sind oder völlig gewaltfreie bürgerliche Menschen, die für sich und ihre Nachkommen eine lebenswerte Zukunft anstreben. Danke nochmals für Ihren guten Artikel!

Sepp Kneip / 04.03.2018

Aber Herr Schneider, was wollen sie denn eigentlich? Die FDP, deren Mitglied Sie sind, wusste doch auch, dass es mit einer weiteren GroKo keine neue Regierung geben könnte, sondern die alte bleiben würde. Warum hat sie Jamaika verweigert? Nun, Lindner glaubte, dass man lieber gar nicht, als schlecht regieren wolle. Da muss ich ihm sogar Recht geben. Lindner hätte aber genau so ins Kalkül ziehen müsse, dass Steinmeier, die SPD Merkel unter dem Vorwand der “Staatspolitischen Verantwortung” wieder zuführen würde. Damit ist das Regieren um keinen Deut besser geworden. Aber vielleicht hat Lindner der SPD nicht so viel Masochismus zugetraut, sich erneut in die Vernichtungsmaschinerie Merkels zu begeben. Der Bürger hatte mit seiner Wahl im September vorigen Jahres klar gemacht, dass er eine Veränderung in der deutschen Politik wollte. Und diese hätte auch tatsächlich stattfinden müssen und können. Aber dafür war die FDP nicht bereit. Da es Ihnen und scheinbar auch der FDP im AfD-Bunker zu dunkel ist, wie Sie bei der Achse Ende Januar bekannten, wurde die Chance vertan, eine Mehrheit mitte/rechts zu finden um eine Regierung nach dem Willen der Bürger zu bilden. Deshalb hilft alles Jammern über die erneute GroKo jetzt überhaupt nicht. Das Kind liegt im Brunnen.

Ute Blume / 04.03.2018

Gute Idee! Organisieren Sie MERKEL-MUSS-WEG-Demos. Es werden Ihnen mit Sicherheit einige - und das mit steigender Tendenz - folgen. Und wenn Sie es im Raum Köln/Bonn machen, bin ich dabei!!! Versprochen!!!

Hans-Jacob Heidenreich / 04.03.2018

An dem leider zu konstatierenden Phänomen, dass die “alte” Regierung nun wohl bleibt ist schuld, dass die Menschen im Land die Zustände noch nicht unerträglich genug finden um sich Lichtenbergs Satz “Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll” zu eigen zu machen. Das Übersichergehenlassen der andauernden GroKo garniert oder relativiert man sich derweil mitunter mit Aussagen wie “Im AfD-Bunker ist es mir zu dunkel”...

Michael Löhr / 04.03.2018

2005 habe ich Merkel gewählt, weil Schröder weg musste. 2009 FDP, weil die große Koalition weg musste, 2013 und 2017 habe ich dann AfD gewählt, weil ich mit der allgemeinen Politik überhaupt nicht mehr einverstanden war. Ich laufe mit! Und dann? Eine Koalition aus AfD und FDP wäre ja ganz lustig. Und wenn CDU und SPD so weiter machen, sind die Chancen noch nicht mal schlecht. Wenn Sie über Ihren Schatten springen und sich diese Konstellation vorstellen könnten, würde sich auch etwas in diesem Land bewegen. Mit der vergreisten CDU und der weiter schrumpfenden SPD wird hingegen alles beim Alten bleiben. Ach so. Vergessen Sie das mal ganz schnell, dass in der AfD nur Nazis sind. Sehr viele AfD-Wähler kommen von CDU und FDP, sind Unternehmer/Freiberufler, also nicht abgehängt und können die sich abzeichnende Entwicklung in diesem Land nicht mehr ertragen. Die Flüchtlingskrise ist da nur ein Punkt. Diese bekloppte Energiewende, eine immer weiter ausufernde Bürokratie oder eine zu hohe Steuer- und Abgabenlast sind Punkte, die zumindest gleichwertig bzw. gleich wichtig sind.

Jürgen Teuber / 04.03.2018

Wann und wo? Komme aus dem Bereich Göttingen. Ich war vergangenen Montag in Hamburg. Keine Rechtsextremisten, keine Rechtspopulisten, nur extrem besorgte Bürgerinnen und Bürger. Ach ja. Die ANTIdemokratischen FAschisten*innen waren auch da. Es war verdammt kalt, aber es wird wärmer und wir haben 4 Jahre oder weniger Zeit. MERKEL MUSS WEG. Ich bin es meinen drei berufstätigen Töchtern und meiner Enkeltochter schuldig!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 30.01.2024 / 16:00 / 20

Jahrestag: Die Schlacht von Stalingrad geht zu Ende

Heute vor 81 Jahren ernannte Hitler General Paulus, der mit seiner 6. Armee in Stalingrad dem Ende entgegensah, zum Generalfeldmarschall. Denn deutsche Generalfeldmarschälle ergaben sich…/ mehr

Thilo Schneider / 26.01.2024 / 16:00 / 20

Anleitung zum Systemwechsel

Ein echter demokratischer Systemwechsel müsste her. Aber wie könnte der aussehen? Bei den Ampel-Parteien herrscht mittlerweile echte Panik angesichts der Umfragewerte der AfD. Sollte diese…/ mehr

Thilo Schneider / 18.01.2024 / 16:00 / 25

Neuer Pass für einen schon länger hier Lebenden

Ich will einen neuen Reisepass beantragen. Doch um ihn zu bekommen, soll ich den abgelaufenen mitbringen, ebenso meine Heiratsurkunde und Geburtsurkunde. Warum muss ich mich…/ mehr

Thilo Schneider / 16.01.2024 / 15:00 / 73

Zastrow-FDP-Austritt: „Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können“

Holger Zastrow, Ex-Bundesvize der FDP, kündigt. In seiner Austrittserklärung schreibt er: „Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht und durch seinen Beruf mit sehr vielen…/ mehr

Thilo Schneider / 11.01.2024 / 14:00 / 64

Was würden Neuwahlen bringen?

Kein Zweifel, die Ampel hat fertig. „Neuwahlen!“ schallt es durchs Land, aber was würden die angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse bringen, so lange die „Brandmauer“ steht…/ mehr

Thilo Schneider / 10.01.2024 / 14:00 / 35

Das rot-grüne Herz ist verletzt

Die Leute begehren auf, vorneweg die Bauern. Es wird viel geweint. In Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. Aus Angst. Aus Angst, von den Futtertrögen des…/ mehr

Thilo Schneider / 24.12.2023 / 12:00 / 25

Meine Agnostiker-Weihnacht

Herrgottnochmal, ich feiere tatsächlich Weihnachten. Wenn es doch aber für mich als Agnostiker eigentlich „nichts zu feiern gibt“ – warum feiere ich dann? Die Geschichte…/ mehr

Thilo Schneider / 02.12.2023 / 12:00 / 15

Jahrestag: High Noon bei Austerlitz

In der auch „Drei-Kaiser-Schlacht“ genannten Schlacht in Mähren besiegt Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1805, genau ein Jahr nach seiner Kaiserkrönung, eine Allianz aus österreichischen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com