Vera Lengsfeld / 14.12.2015 / 16:00 / 4 / Seite ausdrucken

Es gibt eine Alternative

“Wir erleben,ja durchleben das grösste gesellschaftliche Experiment seit Jahrzehnten.” Diese leider richtige Feststellung trifft Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Finanzen im von ihm herausgegebenen Buch “Ins Offene- Deutschland, Europa und die Flüchtlinge”. Es ist ein kluges Buch, dass Alternativen zum gegenwärtigen Einwanderungschaos aufzeigt und vor allem dokumentiert, dass es Menschen gibt, die sich nicht gesinnungsethisch verbiegen lassen, sondern verantwortlich denken und handeln.

Spahn lässt 20 Autoren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu Wort kommen, die ganz unterschiedliche Aspekte der gegenwärtigen Staatskrise beleuchten, im Wesentlichen aber zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommen. Spahn selbst beschreibt die Situation als ” Disruption unseres Staates”. Das heisst, bisherige Denkweisen und Gewohnheiten müssten radikal auf den Prüfstand gestellt werden. Der Rechtsstaat stünde massiv unter Druck. Rechtsstaatliche Prinzipien sind in den letzten Jahrzehnten nicht nur in Bezug auf die Asylfrage nur sporadisch durchgesetzt worden. Das sei ein fataler Fehler, ein rechtsstaatlicher Skandal. Ein neues Denken wäre erforderlich.

Spahns Autoren entwickeln jede Menge neuer Gedanken, scheuen sich nicht, alte Gewissheiten über Bord zu werfen und klare Forderungen zu stellen. Das Beste an dem Buch ist, dass man am Schluss der Lektüre das Gefühl hat, man könnte es wirklich schaffen, die komplizierte, teils schon verfahrene Situation zu meistern. Aber nicht, indem man das Mantra der Kanzlerin nachbetet, sondern indem man mutig widerspricht und Alternativen bietet.

Paul Ziemiak, der Vorsitzende der Jungen Union, selbst mit seinen Eltern in Deutschland eingewandert und somit ein Beispiel gelungener Integration, legt ein Sechspunkteprogramm vor, zu dem selbstverständlich die Forderung nach Sicherung der EU- Aussengrenzen und eine Obergrenze für die aufzunehmenden Flüchtlinge gehört. Vor allem dürften sich die Integrationsfehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Multikulti ist gescheitert. Wer zu uns kommt, braucht seine Herkunft nicht zu verleugnen, muss sich aber in die Aufnahmegesellschaft integrieren.

Wer aus seiner gescheiterten Multikulti- Ideologie heraus die Integration hintertreibt, arbeitet am Scheitern der Gesamtgesellschaft, mahnt der Historiker Herfried Münkler. Die Entscheidungs- und Durchsetzungsschwäche der vergangenen Jahrzehnte könne sich Deutschland nicht mehr leisten. Münkler weist auch auf die Gefahr der psychischen Verwahrlosung in den Massenunterkünften hin, wo die Fähigkeit und der Wille, eigene Leistungen zu erbringen, schwindet. Die Neuankömmlinge sollen aber keine Dauersozialfälle werden, sondern möglichst schnell selbstbestimmt leben können. Der Leistungswille dürfe deshalb auf keinen Fall blockiert werden.

Dieser Meinung ist auch Boris Palmer, der grüne Bürgermeister von Tübingen. Palmer berichtet von seinen Erfahrungen aus der Praxis. Er weiss, wie wichtig es ist, Neuankömmlinge dezentral unterzubringen und beschreibt, welche Schwierigkeiten das den Kommunen bereitet. Ohne Aufnahmestopp drohten Massenunterkünfte in Trabantenstädten, wie sie in Frankreich als Symbol gescheiterter Integration zu besichtigen sind.

Der Diplomat Wolfgang Ischiniger weist darauf hin, dass Schlepperboote schon im Hafen zu versenken und auf hoher See zu beschlagnahmen seien. Man fragt sich, warum das nicht schon seit Jahren getan wird. Ausserdem plädiert er für Schutzzonen und Flugverbote, um den IS zu bekämpfen. Letzteres wäre viel einfacher durchzusetzen gewesen, als die Russen noch keine Kampfeinsätze in Syrien flogen. Ischinger weist richtig darauf hin, dass der jetzige Flächenbrand eingetreten sei, als Folge des Nichthandelns der EU im Syrienkonflikt.

Klaus von Dohnanyi erinnert an die amerikanische Mitschuld am Syrienkrieg und daran, dass die vom Westen nach dem Ersten Weltkrieg willkürlich gezogenen Grenzen bis heute nachwirkten.

Ebenso fand die EU keine entschlossene gemeinsame Haltung, um die Zuwanderung auf wirklich politisch Verfolgte zu begrenzen. Es muss aber klar gemacht werden, dass Asyl nur für politisch Verfolgte gilt. Das ist wichtig, um die demokratische Legitimität, die zum Handeln gebraucht wird, nicht zu gefährden. Gruppen, die unbegrenzte Hilfsbereitschaft forderten, müsse “deutlich und gut begründet widersprochen werden” meint Klaus von Dohnanyi, der auch die Kritik an Victor Orbans Stacheldrahtzäunen zurückweist. Zu den Notwendigkeiten gehöre die Abweisung und Rückführung der nicht Asylberechtigten.

Julia Klöckner fordert eine “Anerkennungskultur” und macht noch einmal klar, wie gross die Illusionen der Willkommensfraktion sind: höchstens jeder zehnte Ankömmling ist für eine Arbeit oder Ausbildung qualifiziert. Es dauere im Schnitt acht Jahre, bis ein anerkannter Flüchtling Arbeit fände. Aber sind Flüchtlinge überhaupt dazu da, um unsere Probleme zu lösen?

Nein, sagt Markus Kerber, der Architekt der deutschen “Islamkonferenz”. Das Grundrecht auf Asyl sei völlig frei von Nützlichkeitserwägungen. Deshalb habe die “von der deutschen Regierung betriebene Begriffsvermischung mit makroökonomischen, demografiepolitischen und sozialversicherungsnützlichen Erwägungen bei Asylsuchenden etwas zutiefst Irritierendes”. Asylsuchende seien nicht dazu da, uns zu nützen. Überhaupt beginne alles mit dem Betrachten, nicht dem Verschweigen der Wirklichkeit, schreibt Kerber der Regierung ins Stammbuch. Es sei völlig gleichgültig, ob das Verschweigen aus fehlendem amtlichen Wissen oder aus Angst vor den Folgen einer Veröffentlichung beruhe, eine solche Haltung untergrabe auf jeden Fall die Glaubwürdigkeit staatlichen Handelns.

Der Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann stellt klar, dass die bestehenden Zuwanderungsregelungen für Arbeitssuchende und Arbeitgeber viel zu kompliziert seien. Deshalb würden viele Arbeitsimmigranten den Weg über das Asylrecht wählen. Das mache sie zu illegalen Einwanderern. In der EU gäbe es ein Erwerbspersonenpotential von 115 Millionen Menschen, auf das man zurückgreifen solle, bevor man Fachkräfte in Drittländern sucht. Wenn man dies nicht tue, riskiere man Konflikte, die sich aus einer hohen Jugendarbeitslosigkeit ergäben.Damit wären soziale Unruhen programmiert. Überhaupt läge die Integrationsfähigkeit der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt bei 10 Prozent.

Linnemann fasst noch einmal zusammen, was alle Autoren sagen:

- Der ungezügelte Zuzug muss rasch und deutlich abgebremst werden. Dazu brauche es auch eindeutige Signale an die Herkunftsländer. Zugleich wird Deutschland seine zurückgebauten Verteidigungs- und Sicherheitskräfte wieder deutlich hochfahren müssen.

- Da andere Staaten niemals unser individuell einklagbares Asylrecht übernehmen werden, muss die Politik den Mut haben, unser Asylrecht den anderen europäischen Staaten anzupassen.

- Wer ein Bleiberecht erhält, muss auf unsere Gesellschaft trainiert werden. Wer unsere Regeln nicht akzeptiert, muss unser Land wieder verlassen. ” Notfalls muss hier rechtlich nachjustiert werden.”

- Wer Förderung und Unterstützung will, muss Forderungen akzeptieren und ihnen nachkommen.
Deutschland braucht dringend mehr Realitätssinn und den Blick für das Machbare.

- Wer politische Verantwortung trägt, darf sich vor unbequemen Entscheidungen nicht scheuen.

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Leserpost

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Siegfried Reiprich / 15.12.2015

Gute Zusammenfassung eines offensichtlich guten Buches.

Inra von Wangenheim / 14.12.2015

Vera Lengsfeld, was für eine Biographie… was für eine Frau… was für ein kämpferischer Mensch. Ich bewundere Sie für Ihre Klarheit, und das, je mehr ich Ihre Stimme vernehme! Meine Verehrung. Inra v. Wangenheim

Rainer Hartwich / 14.12.2015

Wobei mich an dieser Stelle die defätistische Frage zwickt, ob Herr Spahn heute auch zu den Damen und Herren gehörte, die die Kanzlerin ob ihres individuellen Weges in der Frage der ungeordneten Migration durch Taktik der faktischen Grenzaufhebung mit minutenlangen stehenden Ovationen bedachten?

Thomas Wangenheim / 14.12.2015

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, dass es an Alternativen zur derzeitigen Flüchtlingspolitik nicht mangelt, dürfte jedem klar sein, der sich mit der Thematik auseinandersetzt. Allein mir fehlt der Glaube, dass sich die Regierungsparteien (und erst recht nicht die Opposition) auch nur ansatzweise damit auseinandersetzen. Die Versuche von H.Seehofer und der Jungen Union, Druck aufzubaunen, erwiesen sich als das, was sie waren: Ein Sturm im Wasserglas. Bezeichnend und entlarvend war die Aussage der Bundeskanzlerin kurz vor dem CDU-Parteitag, als sie in einem Interview von einem Glaubwürdigkeitsverlust sprach. Gemeint war natürlich nicht ein Verlust der Glaubwürdigkeit vor der deutschen Bevölkerung (deren Meinung ihr vollkommen gleichgültig ist), sondern auf internationaler Ebene und dem damit verbundenen Macht- und Imageverlust. Dass niemand in der CDU in der Lage zu sein scheint, dieser Kanzlerin Einhalt zu gebieten, ist für mich ein weiterer Beleg dafür, dass sich keiner aus der Regierungspartei seinem Auftrag verpflichtet fühlt, die Interessen des deutschen Volkes wahrzunehmen. Selbstgerechtigkeit und elitäres Gehabe der politischen Entscheidungsträger haben mittlerweile ein Ausmaß erreicht, dass an die finstersten Zeiten des DDR-Regimes erinnert.

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