Tamara Wernli / 13.05.2016 / 10:29 / Foto: Astrid Reuber / 4 / Seite ausdrucken

Erschlaffte, domestizierte, lammfromme Stubentiger

Was ist bloss los? Immer mehr junge, gesunde Männer leiden an Erektionsstörungen. Das brachte ein Artikel im "Time"-Magazine zutage. Die betroffenen Herren glauben, Schuld an ihren sexuellen Aussetzern sei regelmässiger Pornokonsum im Teenageralter – als "Generation Internet" hatten sie als erste Heranwachsende unlimitierten Zugang zum Online-Pornoangebot. Diverse medizinische Studien belegen aber, dass zwischen Pornokonsum und Erektionsstörungen kein Zusammenhang besteht.

Eine neue These muss also her. Wie wäre es mit dieser: Schuld ist die Emanzipation. Sie hat die Männer überfordert und die Aufweichung der Männlichkeit vorangetrieben – im gesellschaftlichen wie im biologischen Sinne.

Wir Frauen wollen zwar den verlässlichen Ernährer (der uns selbst ein reduziertes Arbeitspensum ermöglicht), auch den Abfluss soll er entstopfen, die Liste der TV-Sender programmieren, ansonsten aber sind maskuline Eigenschaften immer weniger gefragt. Stattdessen soll der Mann von heute bügeln, Windeln wechseln, einfühlsam unseren Verbalergüssen lauschen. Die Kids von der Schule abholen, abends mit uns den "Bachelor" gucken (anschliessend feinfühlig diskutieren), und im Bett, da fordern wir dann den unbändigen Hengst ein. Wie soll das zusammenpassen? Da wunderts nicht, dass er seinen biologischen Pflichten nicht mehr nachkommt.

Der Quasi-Erfinder des Testosterons würde sich schief lachen

Der Mist geht aber noch weiter: Freundinnen erzählen mir, dass ihre Männer neuerdings mehr Zeit im Bad verbringen als sie selbst. Am Wochenende basteln sie nicht mehr an ihren Wagen herum, sondern an ihrer Feuchtigkeitsmaske. In meinem Arbeitsumfeld tummeln sich Kollegen, die bei der kleinsten Erkältung zuhause bleiben, einmal im Monat suchen sie vorsorglich den Arzt auf, schweres Heben überlassen sie anderen. Kompetitives Verhalten ist ihnen fremd: Um ja keine schlechte Stimmung zu erzeugen, räumen sie das Feld lieber von alleine. Chuck Norris, Quasi-Erfinder des Testosterons, würde sich vor Lachen in die Hose machen.

Nur ist es nicht so lustig. Wir wollten die Gleichberechtigung vorantreiben, aber das Pendel hat sich überschlagen. Denn ist es nicht so, dass hauptsächlich Männer aus westlichen Wohlstandsgesellschaften von dem Problem betroffen sind? Also dort, wo wir ihnen schon im Kindesalter stereotype männliche Eigenschaften austreiben wollen? Raufende Jungs sind schlecht, sanfte Jungs sind gut. Und das nicht erst seit gestern: Ein SPON-Artikel aus dem Jahr 2008 schreibt von Gruppen in Deutschland, die Buben das Fussballspielen verleiden möchten, weil es als typischer Jungensport "nicht auf Körperbewusstsein zielt, sondern auf leistungsgerechtes Funktionieren". Zeitonline erzählt von Kindergärten, wo Buben hauswirtschaftliche Tätigkeiten erlernen sollen und eine positive Körperwahrnehmung, dazu gehöre Körperpflege und das Schlüpfen in weibliche Rollen mittels Verkleidung.

Ist Männlichkeit so etwas wie ein Geschwür?

Manchmal entsteht überhaupt der Eindruck, "männlich" sei so etwas wie ein Geschwür. Unsere Gesellschaft suggeriert doch: du kannst zwar nichts dafür, ein Mann zu sein, aber du bist es – und deshalb Schuld an vielem Bösen auf dieser Welt. Männer sind doch heute arme Schweine, können es nirgends und niemandem rechtmachen, werden geschrumpft zu domestizierten, lammfrommen Stubentigern. Und den Preis, damit wir Frauen unser Leben optimal entfalten und all unsere Ansprüche erfüllt bekommen, zahlt dann eben die ultimative Messlatte für Männlichkeit, der Phallus. Ist es wirklich das, was wir wollen?

Tamara Wernli arbeitet als freischaffende News-Moderatorin und Kolumnistin bei der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag auch zuerst.  In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gender- und Gesellschaftsthemen.

Foto: Astrid Reuber

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Leserpost

netiquette:

Marcel Seiler / 14.05.2016

Es ist doch ganz einfach: Wer *an* Männern keine Freude hat, wird auch *mit* ihnen nicht so viel Spaß haben.

Stefan Bergfeldt / 14.05.2016

Vielleicht sollte man nicht nur bei den Männern nach dem Problem suchen? Was einen Mann antörnt hängt natürlich immer mit seinem individuellen Geschmack zusammen aber wenn ich mir das dominante, herrische Verhalten mancher Partnerinnen meiner Kumpels so ansehe frage ich mich durchaus wie die es schaffen es Abends im Bett zu bringen. Ich denke ein bisschen Beschützerinstinkt gehört zum Appeal des weiblichen Geschlechts einfach dazu.

David Lenz / 14.05.2016

Das Verschwinden, ja die Entbehrlichkeit des Maskulinen wurde noch vor wenigen Jahren von Feministen als nahezu historische Gesetzmäßigkeit postuliert. Frauen benötigten keine Beschützer mehr und könnten auch sonst alles alleine schaffen. Spätestens seit dem Masseneinfall testosterongeleiteter Nordafrikaner und der traumatischen Silvesternacht wissen wir jedoch, dass das eine naive Fehleinschätzung war: Wo haben die armen, belästigten Frauen von Köln Zuflucht gesucht? In den Armen von muskelbepackten (männlichen) Türstehern! Schon immer galt: Recht ohne (maskuline?) Macht ist nutzlos, und Macht ohne Recht (Köln!) ist tyrannisch. Ein Feminismus, der diese schlichten Wahrheiten nicht erkennt, ist entbehrlich und wird seinerseits verschwinden.

Hans-Peter Hammer / 13.05.2016

Frau Wernli, kennen Sie den Cartoon in dem eine Frau ihren Mann erzieht und erzieht und erzieht, bis Sie Ihn genau zu dem Weichei gemacht hat, den Sie oben als “Stubentiger” bezeichnen, den man aber auch als “Softie” kennt! (Dieter Krebs setzte ihm ein Denkmal in seinem Lied “Martin”!) Und als Sie Ihn endlich soweit hat, verkündet Sie Ihm plötzlich, daß Sie die Scheidung einreicht, denn er sei nicht mehr der Mann den Sie geheiratet hätte! Manchmal habe ich die Vermutung, der Spruch “Die Frau weiß nicht was sie will!” ist nicht bloß ein - angeblich sexistisches - Stereotyp, sondern beruht auf generationenlanger Lebenserfahrung! Sigmund Freud formulierte es so: “Die große Frage, worauf ich noch keine Antwort gefunden habe, trotz dreißig Jahre Erforschung der weiblichen Seele, ist: Was will die Frau?” >Unsere Gesellschaft suggeriert doch: du kannst zwar nichts dafür, ein Mann zu sein, aber du bist es – und deshalb Schuld an vielem Bösen auf dieser Welt.< Es ist schlimmer! Es ja nicht jeder Mann qua Geschlecht schuld am - allem, nicht vielem - Bösen, sondern ausschließlich der weiße, heterosexuelle Mann! Vielleicht darum die, in letzter Zeit zunehmende, Neigung vieler Frauen sich dem exotischen, nicht weißen “Loverboy”-Macho zuzuwenden! Um dann, wenn sie feststellen, daß das keine Maske ist, sondern echt, die Flucht zu ergreifen! Und natürlich ist am Ende wieder der (weiße, heterosexuelle) Mann schuld, weil er sie nicht vor dem bösen Macho gewarnt und geschützt hat! Weib, was willst Du?

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