Alexander Wendt / 10.04.2018 / 06:17 / Foto: Thamizhpparithi Maari / 41 / Seite ausdrucken

„Erklärung 2018“: Kleine Soziologie der öffentlichen Debatte

Anfang dieser Woche überschritt die in eine Massenpetition umgewandelte „Erklärung 2018“ gegen die illegale Masseneinwanderung die Marke von 110.000 Unterschriften. Das ist eine beachtliche Größe, vor allem gemessen daran, dass die Tagesschau vom 2. April in ihrem Aufmacherbeitrag „mehr als 10 000“ Demonstranten bei allen Ostermarschveranstaltungen zusammen meldete. Wer sind die Unterzeichner der Erklärung, in denen der frühere Deutschlandradio-Journalist Ernst Elitz ein „Getümmel wutschnaubender Bürger“ erkennt?

Eine Statistik gibt darüber zwar keinen perfekten, aber immerhin einen guten Aufschluss. Nicht perfekt deshalb, weil es bei der Benennung des Berufs keine einheitlichen Kategorien gab und gibt. Jemand kann sich also allgemein als Angestellter bezeichnen, oder genauer als kaufmännischer Angestellter oder Controller, allgemein als Arbeiter oder spezifisch als Maurer oder Mechatroniker. Viele geben Ingenieur als Beruf an, aber manche bezeichnen auch genauer: Elektroingenieur, Bauingenieur oder andere.

Trotzdem lässt sich grundsätzlich sagen, wie sich die mehr als 100.000 Unterstützer sozial verteilen. Der übergroße Teil – etwa 85 Prozent – steht im Berufsleben. Nur etwa 15 Prozent entfallen auf Rentner und Rentnerinnen, Pensionäre, Ruheständler, Studenten, Arbeitslose und Schüler.

Unter den Berufstätigen treten drei größere Gruppen in Erscheinung: erstens ein Cluster von Unternehmern, Selbstständigen, Kaufleuten, leitenden Angestellten, Ingenieuren und Angehörigen anderer technischer Berufe. Zweitens Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Und drittens – als Teilnehmer politischer Vorgänge mittlerweile fast vergessen beziehungsweise von Medien und Parteien ignoriert – Arbeiter.

Die größte spezifische Berufsgruppe in der Liste der Unterstützer stellen die Ingenieure mit 1.934. Zu dem technisch-unternehmerischen Cluster gehören außerdem 1.142 Unternehmer, 1.414 männliche und weibliche Kaufleute und kaufmännische Angestellte, 707 Geschäftsführer, 462 Informatiker, 308 Unternehmensberater, 216 Softwareentwickler, 128 Manager, 125 Programmierer, 111 Bauleiter.

In der Gruppe der öffentlichen Bediensteten dominieren Lehrer und Lehrerinnen (1.313), dazu kommen 892 Beamtinnen und Beamte, 348 Polizisten, 182 Verwaltungsangestellte, 120 Soldaten und 22 Offiziere.

Ganz allgemein als ‚Arbeiter’ bezeichnen sich 518; unter den Angehörigen gewerblicher Berufe finden sich auch 375 Kraftfahrer, 284 Schlosser, 272 Elektriker, 222 Industriemechaniker, 157 Monteure, 120 Lokführer, 117 Elektroniker und noch sehr viele andere Berufsbezeichnungen mit geringerer Häufigkeit.

Hier die Liste der 50 häufigsten Berufsnennungen auf der Unterschriftenliste, Stand Samstag, 7. April 2018:

Angestellter                      2.255
Selbstständig                   1.740
Ingenieur                          1.249
Angestellte                       1.239
Hausfrau                           1.157
Unternehmer                     1.142
Selbständig                       1.131
Kaufmann                         1.095
Arzt                                     966
Student                               925
Pensionär                           906
Beamter                              825
Techniker                            720
Geschäftsführer                  707
Lehrer                                 694
Lehrerin                              561
Krankenschwester              535
Rechtsanwalt                      523
Arbeiter                               518
Informatiker                         462
Bauingenieur                       386
Kraftfahrer                           375
Dipl.-Ing.                              373
Bürokauffrau                        371
Zahnarzt                              359
Schüler                                345
Verkäuferin                          329
Sekretärin                            325
Unternehmensberater         308
Erzieherin                            307
Betriebswirt                         302
Ärztin                                   290
Schlosser                            284
Elektriker                             272
Polizeibeamter                    265
Physiker                              260
Kauffrau                              257
Handwerker                        253
Architekt                             251
Journalist                            247
Berufskraftfahrer                236
Sachbearbeiter                  229
Industriemechaniker          222
Sachbearbeiterin               222
Softwareentwickler            216
Privatier                             215
Freiberufler                        210
Jurist                                  208
Chemiker                           204

Insgesamt stellen die mehr als 110.000 Unterzeichner eine Mischung dar, auf die jede Volkspartei stolz wäre. Das wird die einschlägigen Bessermeiner nicht davon abhalten, weiter mit Begriffsstanzen wie „Abgehängte“ vor sich hin zu spinnen, oder „Trolle und Grollende“ zu entdecken, die mit ihren „Bricolage-Biografien“ aus ihren „verstreuten Nischen“ beziehungsweise „zerfallenden Milieus“ ans Licht kämen, wie es kürzlich aus einer Tagesspiegel-Journalistin über die Unterzeichner der „Erklärung 2018“ in einer Weise herausstrudelte, dass man sich fragt, ob das notleidende Blatt aus Berlin jetzt auf Roboterjournalismus setzt.

Der Punkt ist nur: Wer hört diesen Volkserziehern eigentlich zu, denen das Leser- , Wähler- und sonstige Volk wegläuft? Wenn es in Deutschland des Frühjahrs 2018 ein rapide zerfallendes Milieu gibt, dann ist es das der politisch Korrekten. Praktisch alles, was sie bisher als Abwehrtexte gegen die „Erklärung 2018“ zustande gebracht hatten, fällt unter die Rubrik: therapeutisches Selbstgespräch. Die Forderungen der „Erklärung 2018” werden demnächst den Petitionsausschuss des Bundestages beschäftigen.

Dieser Beitrag erschien auch in Alexander Wendts Magazin Publico.

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Leserpost

netiquette:

Cornelia Buchta / 10.04.2018

Ich finde, dass diese konkreten Zahlen in der Petition etwas Beruhigendes haben: es gibt noch Intelligenz da draußen und sie ist zahlreich. Was mich auch interessieren würde ist, wieviele Leser eigentlich die Achse hat. Dadurch, dass das die öffentliche Meinung so stark von der Gegenseite diktiert wird, fühlt man sich oft sehr isoliert und verloren.

Archi W. Bechlenberg / 10.04.2018

Zuerst waren es ja angeblich nur die geistig und moralisch Minderbemittelten, das so genannte Pack, die dem Spruch vom “Wir bekommen Menschen geschenkt” nicht so recht glauben wollten. Jetzt sind es abgehobene, elitäre Akademiker sowie eine irgendwie amorphe Masse von 100.000 Querulanten und Nazis. Und damit es nicht in absehbarer Zeit ALLE sind, außer denen, die das Geschäft mit den “Fachkräften” betreiben, musste nun der Moor seine Schuldigkeit tun, assistiert von Geschwätztätigen, die womöglich sogar glauben, was sie verbreiten. Dumm, dass ihnen zunehmend misstraut wird angesichts der täglichen Erlebnisse und Beobachtungen eines zunehmenden Teils der Bevölkerung. Mich erinnern diese Fernstenliebenden an eine Szene in dem Klamauk-Film “Erik der Wikinger”. Da stehen die Einwohner von Atlantis im steigenden Wasser und verkünden, Atlantis könne gar nicht untergehen. Und so verschwinden sie Kopf für Kopf unter Wasser, der GröKaZ (Größter König aller Zeiten) zuletzt.

beat schaller / 10.04.2018

Ja, Herr Wenth, diese Erklärung von Frau Lengsfeld ist ein echter Selbstläufer und das ist gut so. Höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Gut, wenn sich die “Achse” weiterhin traut, die Dinge anzusprechen wie sie eben sind und auch entsprechende Rückinformationen zu den Lesern zurückführt. So hält man solch tolle Würfe am wachsen. Danke. b.schaller

Kurt Dennler / 10.04.2018

Die traurige Realität ist allerdings, dass 110’000 Unterschriften verglichen mit der deutschen Bevölkerung eine sehr kleine Zahl ist. Eine Gegenerklärung würde wohl in gleich kurzer Zeit wesentlich mehr Unterzeichner finden.

Jürg Casanova / 10.04.2018

Die Arroganz von Leuten wie Moor und Will zeigt sich schon darin, dass sie ihre politischen und weltanschaulichen Gegner auch beruflich zu stigmatisieren versuchen. In einer Demokratie ist ein Latrinenreiniger genau gleich viel wert wie ein Politiker oder eine Moderatorin. Aber nein, auf «Zurückgebliebene» und Nischenbewohner darf man getrost herabsehen, sie als Abschaum bezeichnen und in der Naziecke entsorgen. Die Selbstgefälligkeit der Bessermenschen nimmt immer groteskere Züge an, sie merken nicht einmal mehr, wie kaltschnäuzig und bar jeder emotionalen Intelligenz sie sind. Sie drehen munter weiter an der Schraube der politischen Korrektheit und als nächstens stehen moderne Formen der Inquisition an. Vielleicht biedern sie sich deshalb den Millionen Antisemiten an, die sie ins Land holen.

Karla Kuhn / 10.04.2018

“Aber wer hört diesen Volkserziehern eigentlich noch zu, denen das Leser-, Wähler- und sonstige Volk wegläuft?”  Wer wohl ? Ich nicht. Das „Getümmel wutschnaubender Bürger“  finde ich besonders lustig. Meine Güte, wie muß diesem armen Mann das Herz bluten,110000 “wutschnaubende Bürger.” Ich vermute, daß solche Äußerungen etliche Unentschlossene bewogen haben, zu unterschreiben. Für mich ist es egal, welchen Beruf jemand gelernt, bzw. ausführt, “Arbeit schändet nicht.” Wenn ich rund um den Hauptbahnhof in München junge Menschen rumgammeln sehe, frage ich mich, warum die nicht arbeiten. Es gibt auch gemeinnützige Tätigkeiten. Immer noch besser als Drogen verticken. Die Schiller-, Goethe- Paul-Heyse- Straße meide ich. In Holland komischerweise müssen die jungen Menschen arbeiten, ansonsten wird sofort das Geld gestrichen. Deutschland scheint für viele Menschen wirklich das Schlaraffenland zu sein. In keinem anderen Land werden die “Geflüchteten” (die nicht arbeiten oder arbeiten wollen) so alimentiert wie bei uns.  Deutschland muß lebenswert bleibt,darum habe ich diese Erklärung 2018, die bitternötig war, unterschrieben. Diejenigen, die dagegen wettern, werden wahrscheinlich erst wach, wenn sie selber angegriffen werden. Wenn mich. als älteres Semester, versuchen Männer anzugreifen, wie geschehen und versuchen mir unter der Hand Drogen zu verticken, wie einmal auf der Sonnenstraße, dann frage ich mich, WIE es erst den jungen Mädchen aber auch jungen Männern ergehen muß.  Da anscheinend die Politik unter Merkel versagt hat, müssen wir, das Volk , die Politik zwingen, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen und zwar umgehend.!!

Werner Arning / 10.04.2018

Wenn Michel Friedman sich fragt, wie man „mit Menschen umgehen“ soll, „in denen Rassismus ein Alltag ist, oder ein Teil ihres Bewusstseins“, ja dann wird es wirklich höchste Zeit, die Erklärung zu unterzeichnen. Durch solche Aussagen, wird suggeriert, die Unterzeichner handelten aus rassischtischen Motiven. Rassistisches Denken sei Teil ihres „Alltagsdenkens“. Wen habe ich auf Grund seiner Rasse jemals abgelehnt? Welche Rasse lehne ich denn ab? Lehne ich Schwarze ab, Indianer ab? Oder lehne ich alte, weiße Männer ab? Neulich, bei einer Einreise nach Laos, sollte ich auf der Landekarte (den Einreisepapieren) meine „ Rasse“ angeben. Nach „ Race“ wurde dort gefragt. Ich wusste beim besten Willen nicht, zu welcher Rasse ich gehöre. Am ehesten noch zu den alten, weißen Männern.

Andreas Schneider / 10.04.2018

Vielen Dank für den Link auf ttt, auf den bei achgut.com auch schon von Henryk Broder an anderer Stelle hingewiesen wurde. Die Darstellung der ARD ist nicht nur bodenlos schlecht, sondern auch nach meiner Beobachtung beispielhaft und sinnbildlich für die Gegenreaktionen auf die Erklärung.  Als überaus seltsam empfinde ich in dem Transkript insbesondere die lenkenden Unterstellungen aus dem Off mit assoziativen Bezügen, die Weiterleitung von “Erstunterzeichnern” zur “Angst- und Ausgrenzungskultur”, dann zu Randideologie” und zur “neuen Rechten” und selbstbestätigende Schlußfolgerungen wie z.B. diese: “...Menschenfeindliche Ressentiments, völkischer Nationalismus: Vielleicht ist es so, dass die Demokraten diesen Angriff auf die liberale Demokratie unterschätzen. ...” Was haben die Initiatoren und Unterzeichner mit “menschenfeindlichen Ressentiments” und “völkischem Nationalismus” zu tun und sind sie keine Demokraten? So etwas ist nicht nur unseriös. Das sind lückenhafte, auch unlogische gedankliche Überleitungen und schlußfolgernde Eskalierungen, wie sie sonst nur typisch für politische Extremisten sind. Mit solchen TV-Beiträgen ist der Extremismus in der sog. “politischen Mitte” angekommen! Danke ARD!  Besteht die extreme Rechte aus Apokalyptikern, bei denen die Uhr seit Jahren auf 5 vor 12 gerückt ist, erfindet und konstruiert die extreme Linke den gesellschaftliche Feind, auch wenn es ihn so gar nicht real gibt. Und in dem ganzen Zusammenhang sollte man sehr genau wahrnehmen, dass bis vor drei Jahren die Forderung nach “no borders” - für alle offenen Grenzen - noch als ausschließlich linksextremistische Position ausgemacht war, die noch nicht einmal ernsthaft von Bündnis 90/Die Grünen vertreten wurde. Die Kanzlerin und ein feiger Innenminister haben die Utopie real werden lassen. Wie aber kann man so blind sein, zu glauben, dass alle Menschen in diesem Land diesen 180 Grad-Schwenk ins Extreme mitmachen? Vielleicht weil sie Deutsche sind?... 

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