...also ich bin Jahrgang 63 und glaube den Spruch persönlich auch aus Erichs Mund gehört zu haben, also egal isses. Für mich wichtig war jetzt das jemand hier diesen Spruch aufgegriffen hat. Warum? Der Spruch schwirrt mir seit Merkels Wahl 2005 zur Kanzlerin im Kopf herum. Ich habs nicht auf die Reihe bekommen. Jetzt stell ich mal die Frage, kann es sein das Erich und Walter das gemeint haben was in den letzten 10 Jahren hier in der Politik abläuft? Die Frage ist ernst gemeint.
Sehr schön, aber der Spruch “überholen ohne einzuholen” stammt nicht von Honni sondern von Ulbricht (1959). Damals dachte man in der DDR viel über Massenproduktion, Rationalisierung und Roboter nach und hoffte damit die in der BRD vorherrschende Privatwirtschaft auf einen Schlag übertreffen zu können. Hat natürlich nicht geklappt. Die Merkelsprüche sind allerdings noch blöder.
Ich finde, dass Frau Merkel schon immer in diesem dialektischen Honnecker-Stil gesprochen hat. Der Witz dabei ist aus meiner Sicht, ihre Partei-Mitglieder haben doch genau diese dialektische Eloquenz, diesen verwirbelnden Sprech-Stil ehrfürchtig anerkannt. Da ist sie bis heute unübertroffene Phrasen-Drechslerin im Zentrum ihres Parteiapparates, umgeben von vernetzten Kader-Kadetten.
Der Ausspruch “Überholen ohne einzuholen” ist nicht von Erich Honecker geprägt worden. Gemeinhin wird Walter Ulbricht als Schöpfer dieses recht merkwürdigen Konstrukts betrachtet. Aber es ist wohl noch ein bisschen anders: “Entgegen der in der öffentlichen Meinung festgeklopften Ansicht, die Losung stamme von Walter Ulbricht, war die wahre Entstehungsgeschichte eine andere. Erstmals sprach vom „Überholen ohne Einzuholen” der Vorsitzende des damaligen Forschungsrates der DDR Prof. Peter-Adolph Thießen, ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der Polymerforschung. Thießen meinte damit, daß es möglich sein müsse, Umwege zu vermeiden und auf direktem Wege schneller voranzukommen. “ Quelle: http://www.spurensicherung.org/texte/Band4/jevermann.htm
Im Grunde genommen ist das alles nichts anders als sowas wie ein neuer Klassen- oder besser gesagt, sowas wie ein neuer Gesellschaftsschichtenkampf: Überwiegend akademisch gebildete, gehobene, gut- und bestverdienende, cosmopolitische Mittelschicht und Oberschicht, die in den Großstädten und Metropolen wohnt, versus die hauptschul- und realschulsozialisierten Facharbeiter aus der “normalen” Mittelschicht, dem “Kleinbürgertum” und der Arbeiterschaft, bzw. der Unterschicht, die -heimatverbunden- überwiegend in der sogenannten “Provinz” leben. Also, ja genau: Die Elite, die in jeder Gesellschaft systemisch eine Minderheit darstellt gegen die große Mehrheit des Volkes! Beide existieren in unterschiedlichen Lebensrealitäten und haben daher zwangsläufig auch unterschiedliche Lebensauffassungen. So kommt es dann natürlich zu Konflikten, falls sich ihre Interessen(wie zB. in der Flüchtlingsfrage) überschneiden. Zudem geht es hier auch um Distinktion. Als Mitglied der Elite hat man sich entweder zuvor mühsam nach oben gekämpft oder man ist ebenso emsig bemüht oben zu bleiben und hat vor nichts mehr Angst als sozial “abzusteigen” und -welche Schmach- am Ende zu “denen da” zu gehören. Und das nicht nur im materiellen, sondern auch im geistigen und kulturellen Sinne. Man grenzt sich nämlich nicht nur in seinem Habitus nach Unten hin ab, sondern natürlich auch dadurch, welche weltanschaulichen Inhalte man sich zu eigen, bzw. welche Werte, Vorstellungen und Meinungen man sich anderer, in seinen Augen niedriger stehender sozialer Gruppen NICHT zueigen macht. Links hat in unserer Gesellschaft einen höheren Statuswert als Rechts und ist daher für sozial höher gestellte, privilegiertere Menschen wesentlich attraktiver, weil es mehr Ansehen verspricht. Wer “Rechts” ist, der nimmt die Welt(und die Menschen) im wortwörtlichen Sinn “einfach” so hin, wie sie ist. Wer “Links” ist, der will und muss sich seine neue “komplexere” Welt, so wie sie sein sollte, aber erst einmal geistig erarbeiten. Aus dieser Denkanstrengung nimmt er sich als Linker dann das Anrecht heraus, sich gegenüber den quasi “Naturalisten” als einen erhabeneren Geist zu wähnen, (Das auch dann, wenn sein ganzes Ideologiegebäude nur auf Treibsand gebaut ist.) Daher auch die seltsame Affinität der gebildeten, höhergestellten Stände für oftmals noch so krude linke Ideen.
Nur eine kleine Korrektur am Rande: „Überholen ohne Einzuholen“, verkündete einst nicht Erich Honecker, sondern sein Vorgänger Walter Ulbricht, um das Neue Ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft zu begründen, das Elemente des Kapitalismus enthielt, mithin sollte einiges an tatsächlichem Wirtschaftswettbewerb eingeführt werden und die Möglichkeit, zum Wohle des Landes und seines Volkes wirtschaftlich eigenständig handeln zu dürfen. Auf innerparteilichem Druck heraus, auf der ganzen Welt behalten Ideologen stets die Oberhand, und nach Empfehlung der sehr besorgten russischen Freunde wurde das NÖSPL bald jedoch wieder verworfen. Es verschwand sang- und klanglos in der Tiefe des sozialistischen Raums - lieber Armut für alle und Nichtgefährdung der humorlosen SED-Führungspartei und des damals weltweit gefeierten albernen Sozialismus als ein Mindestmaß an intelligenter Analyse und Logik zum Ausdruck zu bringen. Das ist heute nicht viel anders, der Gesellschaftsblödsinn nimmt kein Ende. Die Highlights von heute heißen EU, Euro-Gemeinschaftswährung, offene Grenzen, Bereicherung durch Armutsflüchtlinge und die feste Behauptung, der Mensch könne weltweit Durchschnittstemperaturen wie in einem Wohnzimmer herauf- oder herabsenken. „Begrenzen, ohne Obergrenzen“, wie vom Autor erwähnt – so ist sie nun einmal, die westliche Wertegemeinschaft, humorvoll bis zum Umfallen, den Dummen und Ungebildeten geht es am besten.
Die Parole “Überholen ohne einzuholen” kam m.E. von Ulbricht, nicht Honecker.
Ich vermag derzeit keine “permanenten Verächtlichmachung des Volkes durch die Eliten” erkennen, was aber nicht an der permanenten Verächtlichmachung der einen liegt, sondern an der Abwesenheit der anderen. Oder mein Begriff von “Elite” ist veraltet, was weit wahrscheinlicher ist. Darum zum Abgleich: Zur Elite gehört, wer die Lebensdaten aller seiner Urgroßeltern auswendig kennt, in vier Fremdsprachen auch kompliziertere Sachverhalte erörtern kann, konzertreif Klavier und Geige spielt, aus Schillers Glocke wie aus Goethes Faust rezitiert, über Kant aus dem Stegreif referiert, den letzten Schreibfehler im Alter von neun Jahren produzierte, Vergil im Original liest, Freunde auf fünf Kontinenten hat, mit denen man regelmäßig korrespondiert, schon mindestens Kreismeister im Tennis oder Rudern war, das ganze mit ein bis zwei Doktorgraden in nicht zu einfachen Disziplinen garniert. Und damit das Leben einem mit all dem nicht unterfordert, hat man neben einem Ehepartner auch noch ein halbes Dutzend Kinder. DAS ist Elite. Oder war sie jedenfalls einmal, so vor gut hundert Jahren. Der große Rest war damals und ist heute immer noch “Volk”. Man sollte also heutzutage besser sprechen von der “permanenten Verächtlichmachung des Volkes durch denjenigen Teil des Volkes, der sich für die Elite hält”.
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