Henryk M. Broder / 31.03.2016 / 09:30 / Foto: Lucien Waléry / 23 / Seite ausdrucken

Entschuldigung, Frau Margot, ham Sie noch alle Perlen an der Kette?

Sehr geehrte Frau Kässmann,

Sie haben drei Tage nach dem Blutbad von Brüssel, bei dem 35 Menschen getötet und über 300 verletzt wurden, der Bild am Sonntag ein Interview gegeben, in dem Sie auf die Frage: „Was würde Jesus zum Terror sagen? Würde Jesus den Terroristen vergeben?“ Folgendes geantwortet haben :„Jesus hat eine Herausforderung hinterlassen: Liebet eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen. Er hat sich nicht verführen lassen, auf Gewalt mit Gewalt zu antworten. Für Terroristen, die meinen, dass Menschen im Namen Gottes töten dürfen, ist das die größte Provokation. Wir sollten versuchen, den Terroristen mit Beten und Liebe zu begegnen.“

Nun weiß ich nicht, ob Sie vielleicht Stimmen hören, die ich nicht höre, oder ob Sie einen direkten Draht zu IHM haben, den ich nicht habe. Jedenfalls scheinen Sie genau zu wissen, wie Jesus auf einen Terroranschlag reagieren würde: mit Gebeten und Liebeserklärungen an die Adresse der Terroristen, vorausgesetzt, er hätte den Anschlag überlebt und wäre nicht in Stücke gerissen worden, wie die Opfer der letzten Terrorakte.

Erlauben Sie, dass ich Ihnen eine Zusatzfrage stelle? Haben Sie noch alle Perlen an ihrer Halskette? Hätten Sie den Mumm, den Menschen, die ihre Angehörigen am 22. März verloren haben, ins Gesicht zu sagen: „Liebet eure Feinde! Versucht den Mördern mit Beten und Liebe zu begegnen“? Möglicherweise sind Sie tatsächlich davon „überzeugt, dass es ein Leben nach dem Tode gibt“, während ich nur glaube, dass Hunde intelligenter sind als Katzen. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich allerdings davon überzeugt,  dass man potenziellen Mördern in den Arm fallen sollte, bevor sie zur Tat schreiten, statt hinterher für sie oder mit ihnen zu beten.

Sie, Frau Kässmann, überschütten die Täter mit Ihrer wohlfeilen Liebe, und Sie verhöhnen die Opfer, die offenbar nicht genug gebetet haben, um verschont zu werden. Verraten Sie mir bitte: Wie wird man mit solchen Obszönitäten zu einer moralischen Instanz?

Aus welcher Quelle sprudelt dieser Sündenstolz? Ist es die Posener Rede oder sind es die gesammelten Aufrufe der Roten Armee Fraktion?

Fassungslos

B.

Margot Käßmann ist die bekannteste deutsche Theologin. Die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD dient derzeit als „Botschafterin für das Lutherjahr 2017"

Zuerst erschienen in der Züricher Weltwoche

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Christian Reinboth / 02.04.2016

Man kann Frau Käßmanns Antwort ja - und das nicht zu Unrecht - hoffnungslos naiv finden, sollte aber anerkennen, dass sie hier ziemlich genau die Antwort gegeben hat, die in der gleichen Situation auch von Martin Luther King zu erwarten gewesen wäre. Und der hat sich gegen seine Gegner am Ende immerhin weitestgehend durchgesetzt - auch wenn er es selbst leider nicht mehr erleben durfte…

Markus Wessel / 02.04.2016

Sehr geehrter Herr Broder, haben Sie vielen Dank für Ihren Hinweis. Frau Käsmann hatte vielleicht über shen, dass es im Neuen Testament heißt: “Du sollst Deinen Nächsten liben wie Dich selbst.” Dahinter hatte ich immer die logische Regel vermutet, dass andere lieben nur der kann, der sich selbst auch liebt. ImFall von Frau K. ist das vielleicht tatsächlich gar nicht so und daher läßt sie den zweiten Teil des Satzes aus Ihrer Überlegung aus. Aus der so verkürzten Formel kann man natürlich auch die Verpflichtung zur Selbstaufgabe ableiten, wie das ja auch einige Leser zu tun scheinen, die den Christen aber auch die Bildung krimineller Vereinigungen zutrauen (contradictio vel objecto?). Ich glaube (im wahrsten Sinne), dass Frau K. nicht Perlen in der Kette, sondern das ihr richtig erscheinende Maß an Aufmekrsamkeit fehlt. Sie hat aufgrund ihres Amtes nicht die Möglichkeit, sich spielerisch in den Vordergrund zu drängen wie Frau Miosga. Daher vermute ich, dass sie (Schuster belib bei Deinen Leisten) einen Halbsatz aus der christlichen Lehre in einen möglichst absurdem Zusammenhang gebracht hat, um wieder wahrgenommen zu werden. Alan Silltoe nannte ein solches Verhalten phony. Leider gibt es kein deutsches Wort dafür. Viele Grüße M.W.

Hinrich Mock / 01.04.2016

Kässmann hat nichts weiter getan, als an das christliche Liebesgebot zu erinnern. Es geht darum, daß der Haß der Terroristen keine Fortsetzung findet. Sie weist ausdrücklich darauf hin, daß wir ja auch Mörder nicht mehr mit dem Tode bestrafen. Das ist das christliche Erbe. Es spricht nicht gegen Gerechtigkeit, aber gegen Vergeltung und Rache. Kässmannn ist gelegentlich eine Nervensäge, in diesem Fall ist sie eine ganz wunderbare Nervensäge. Mit allen Zähnchen vollzählig in der Reihe, sehr geehrter Herr B.!

Tom Harkort / 01.04.2016

Man muss Frau Käßmann gar nicht mögen und braucht ihre Meinung nicht zu teilen, aber Sie behandeln sie unfair! Sie wurde nun mal um ihre Einschätzung gebeten, was Jesus zu all dem sagen würde. Und die Frage hat sie nun mal beantwortet. Hierfür braucht sie keinen direkten Draht zu ihm, sie braucht auch keine Stimmen zu hören. Als Theologin wird sie sich wahrscheinlich darauf berufen, dass Jesus selbst für die um Vergebung bei Gott bat, die ihn ans Kreuz schlugen (”...denn sie wissen nicht, was sie tun”). Dass Jesus zur Feindesliebe aufruft, ist ebenfalls kein Geheimnis (“Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; ... “). Jesus verbietet seinen Jüngern, ihn mit Waffengewalt bei seiner Festnahme zu verteidigen (“Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.”) Es gibt noch viele weitere Indizien dafür, dass man Margot Käßmanns Einschätzung teilen könnte. Daraus den Vorwurf zu kritisieren, sie verhöhne die Opfer, “die offenbar nicht genug gebetet haben”, ist unfairer Stil. Ob man die christliche Feindesliebe nun für das passende Mittel in der Auseinandersetzung mit Terroristen hält, das freilich bleibt jedem selbst überlassen.

Valentin Lux / 01.04.2016

Sehr geehrter Herr Broder, in Ihrem “Brief” sind Sie anscheinend ebenso wenig an einer angemessenen Auseinandersetzung mit der Aussage, wie an einer ehrlicher Preisgabe Ihrer eigenen Meinung dazu interessiert. Ich bitte um ein wenig Verständnis. Entweder Sie haben nicht verstanden, was Frau Kässmann versucht hat zu sagen, oder Sie wollen es nicht verstehen. Was hier hier betreiben ist reine Nörgelei - und das Ganze nur um der Nörgelei Willen. Dies ist weder zielführend, noch bereichernd. Ich hätte eher eine gezielte Herausarbeitung der Kernaussage und eine kritische Diskussion derer, bzw. ein Kommentar erwartet. Was ist denn Ihr Standpunkt bei der Sache? Wie sollte man den Terroristen begegnen? Soll man diesen Menschen mit Gewalt begegnen und gleich eine ganze Schar an Bombern nach Syrien schicken um die Menschen dort dafür bluten zu lassen? Das kann ich mir nur schwerlich vorstellen. Ja, Frau Kässmanns Aussage kann man auch wie Sie auffassen, als Verhöhnung der Opfer und derer Familien. Doch glauben Sie wirklich daran, dass dies die Intention dahinter ist? Das kann ich mir fast genauso schwer vorstellen. Beim nächsten Mal vielleicht etwas mehr Stellungnahme Ihrerseits. Mit freundlichen Grüßen, Valentin Lux

Siegfried Schwarzl / 01.04.2016

Sehr geehrter Herr Broder, mit einem haben Sie Unrecht: Hunde sind nicht intelligenter als Katzen. Sie sind nur anders.

Brigitte Brils / 31.03.2016

Hält sich Frau Kässmann nicht lediglich an die Schrift? Als Theologin darf sie das. Die Politiker allerdings haben die Menschen in ihren Ländern gefälligst zu schützen.

Martin Lederer / 31.03.2016

Ich bin katholisch aufgewachsen und ich mag auch dieses “heimatliche Gefühl” in den katholischen Bräuchen. Aber ich glaube nicht wirklich an Gott. Wenn man sich die “Botschaft Jesu” aus der Bibel ansieht, ist sie schon extrem radikal: Eine zentrale Aussage ist : “Geh, verkaufe alles, was du besitzt, und gib es den Armen. ... Und dann komm und folge mir.“. So gesehen hat Frau Kässmann mit der Botschaft Jesu vermutlich recht. Nur wenn sie nach der Botschaft Jesu leben würde, müsste sie wohl in Nachfolge Jesu Pfandflaschen aus den Mülleimern fischen. D.h. NIEMAND in den Kirchen lebt wirklich nach der Botschaft Jesu. So gesehen sind grundsätzlich all die Bezüge der Kirche auf Jesus nur lächerlich. Meiner Meinung nach waren Jesus und die Urchristen ein eschatolische Bewegung. Und das so etwas dann später zur Staatskirche wurde, zeigt wie austauschbar “Inhalte” sind.

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