Wolfgang Röhl / 27.04.2017 / 06:25 / Foto: Jake Barreiro / 0 / Seite ausdrucken

Energiewende auf Pellworm: außer Spesen nichts gewesen

Erinnert sich jemand an das Wunder von Pellworm? Es war um das Jahr 2012, da wurde die nordfriesische Insel zum Hotspot der Energiewende. Studien des Fraunhofer-Instituts hatten nämlich ergeben, dass die Pellwormer „energieautark“ werden könnten. Sie würden als erste Menschen unseres vom CO2-Ausstoß gebeutelten Planeten imstande sein, sich vollkommen aus regenerativen Quellen zu versorgen. Und dazu noch saubere Energie für andere liefern!

Wie rasend lief die frohe Kunde durchs Mediendorf. „Pellworm auf dem Weg zur Selbstversorgung“, titelte die „Welt“ 2012, und legte 2014 nach. „Ein Vorbild für ganz Deutschland?“, fragte die „Wirtschaftswoche“ 2015, schon halb im Siegesmodus, und tat wenig später noch einen drauf . Die öffentlich-rechtlichen Sender konnten sich kaum einkriegen (Schleswig-Holstein-Magazin des NDR: „Pellworm lebt die Energiewende“). Auch die Achse des Guten zollte dem Projekt Tribut, freilich einen speziellen.

Pellworm als Pilotprojekt für die Energiewendepropanda war eine clevere Wahl. Hier scheint oft die Sonne, weht meist ein kräftiger Wind. Die Erzählung vom tapferen Eiland, das den Energieriesen eine Nase dreht, hatte zudem was Asterix’sches, immer gern genommen vom Justemilieu. Die Fokussierung auf eine Insel war listig - sie klang irgendwie nach Mallorca oder wenigstens nach Sylt. Da nur wenige Leute Pellworm kennen, fiel nicht so auf, dass es sich bei dieser „Insel“ eher um einen Möwenschiss im Wattenmeer handelt; arm, schütter besiedelt und bar stromfressender Produktionsanlagen.

Auf Pellworm, das ist klar, gelangt man mit ein paar Windrädern und Solarpanels schnell in Autarkienähe. Aber eben nur in die Nähe. Selbstverständlich konnte das Kabel zum Festland während der gesamten Projektlaufzeit niemals gekappt werden. Ein paar Prozent zur Autarkie fehlten immer. Genau auf die aber kommt es an bei dem Konstrukt, das sich Energiewende nennt.

Alles in allem versenkte die Firma E.on, die sich durch Pellworm als „grüner“ Stromanbieter profilieren wollte, rund 10 Millionen Euro in das Vorzeigeunternehmen. Ein erheblicher Teil des Geldes entfiel auf containergroße Speicherblöcke, in denen Energie für Zeiten aufgefangen werden sollte, da Wind und Sonne nichts oder nicht genug zur Selbstversorgung des Inselchens hergaben. Ferner wurden so genannte Smart meters und kleinere Stromspeicher in einem Teil der Inselhäuser installiert; sie sollten den erzeugten Strom schlau verteilen. Schlau war überhaupt das Schlüsselwort des Projektes, das unter dem realsatirischen Etikett „SmartRegion Pellworm“ lief.

Schlaumeier aus Wirtschaft und Politik pilgerten nach Pellworm – etwa Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig. Doch ab 2015 herrschte Besuchs- und bald auch Sendestopp. Es sickerte durch, dass die ganze Chose ein Riesenflop war. Die ersehnte hundertprozentige Autarkie ließ sich – Überraschung - nicht erreichen. Immer musste konventionell erzeugter Strom vom Festland vorgehalten werden, sonst hätte es Blackouts gegeben.

E.on zog diskret den Stecker

Damit war das Mikro-Experiment Pellworm als Exempel fürs Gelingen der Energiewende im Großen geplatzt. E.on zog diskret den Stecker und baute seine schlauen Anlagen wieder ab. Was aus den aufgestellten, die Landschaft verschandelnden Großspeichern wird – sie reichten bezeichnenderweise nicht einmal für eine Geringverbrauchsinsel wie Pellworm aus – ist vorerst unklar. Möglicherweise werden sie Ende des Jahres aufs Festland verbracht. Kurz, außer Spesen nichts gewesen.

Ein Redakteur der Welt war es, der kürzlich das tat, was Journalisten öfters mal tun sollten: hingucken. Er fuhr nach Pellworm und traf frustrierte Insulaner, die sich doppelt verschaukelt vorkommen. Nicht nur feiert jetzt kein Schwein mehr die gewesenen Energiehelden von der Waterkant. Es ist auch nicht ein einziger Arbeitsplatz entstanden auf der Insel, trotz der investierten Millionen.

Profitiert haben Betriebe vom Festland sowie – selbstredend – jene smarten Jungs, die sich an diversen Autarkie-Studien und Software-Programmen eine goldene Nase verdienten. Pellworms Hoffnungen, mit der Autarkie-Nummer die Abwanderung von der überalterten Insel stoppen zu können, sind im Küstennebel verdunstet.

Großes Mitleid muss man allerdings nicht aufbringen. Pellworms Bürgermeister und ein früherer Inselarzt haben sich laut Welt-Bericht noch immer nicht vom Autarkiegedanken verabschiedet, dieser Mission impossible. Sie träumen offenbar weiterhin von „einer wirklich autarken Energieregion“. Wie unbelehrbare Hard-core-Kommunisten, die trotz des unrühmlichen Endes des Realsozialismus weiter nach dem „wahren Sozialismus“ suchen.

Häme über die düpierten Deppen im Wattenmeer wäre ebenfalls unangebracht. Jeden Euro und jeden Cent, der in das Projekt autarkes Pellworm geflossen ist, werden die deutschen Strom- und Steuerzahler berappen, auf die eine oder andere Weise. Das walte die Kanzlerin.

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