Antje Sievers / 07.02.2013 / 11:19 / 0 / Seite ausdrucken

Einparken mit Niebel

Dirk Niebel und ich haben viel gemeinsam. Wir sind derselbe Jahrgang, und wir kommen beide aus Hamburg. Niebel kommt zwar aus dem vornehmen Blankenese und ich nur aus dem Proletenviertel, aber das ist auch unser größter Unterschied. Denn beide klagen wir über den Sexismus, der uns schon ein Leben lang begleitet. Und wir reden eigentlich nicht gern darüber.

Niebel wurde als Kind mit körperlicher Gewalt dazu gezwungen, Hausarbeit zu machen, inklusive Kohlen aus dem Keller hochschleppen und für eine fünfköpfige Familie einkaufen. Er hatte zwar zwei große, kräftige Schwestern, aber Mädchen kann man so was ja nicht zumuten. Mutter und Schwestern hatten selbstverständlich das Sagen im Haus. Bestimmt hat Dirk auch unter Mädchengruppen gelitten, die ihn ohne Grund festhielten, anspuckten und schlugen. Er hatte dem wenig entgegen zu setzen, denn schließlich hatte er gelernt: Ein Junge prügelt sich nicht! Ein Junge macht sich nicht schmutzig! Ein Junge klettert nicht auf Bäume! Ein Junge pinkelt doch nicht einfach hinters Gebüsch! Du bist doch schließlich kein Mädchen! Das hat Dirk Niebel nie vergessen, und bis heute ärgert er sich über Bahnhöfe und Fußgängertunnel, die penetrant nach Frauenpisse riechen.

Auch er hat die meisten sexuellen Belästigungen erlebt, als er am wehrlosesten war, nämlich zwischen neun und zwanzig Jahren. Nicht nur, dass die Mädchen in der Schule immer versuchten, ihm die Kleidung vom Leib zu ziehen, auch wurde er in der U-Bahn ständig von jungen Pakistanerinnen und Afrikanerinnen angegrapscht. Da war er gerade mal zwölf. Das war schlimm, aber nicht unerwartet: Von Kindesbeinen an hat man ihm eingetrichtert: Steig nie zu einer fremden Frau ins Auto! Die wollen alle nur das Eine! Mit vierzehn musste er sich fremdschämen für all die fetten, alternden Familienmütter, die ihn auf offener Straße anbaggerten, obwohl sie zuhause bestimmt Söhne in seinem Alter hatten. Jahrelang ging das so. Zwar lernte er mit zunehmendem Alter, sich zur Wehr zu setzen, aber dennoch passierte es ihm, dass er von einer Sexualstraftäterin überfallen wurde. Danach hatte er lange Probleme, sich allein im Dunkeln zu bewegen und verließ das Haus nie ohne Waffe.

Natürlich hatte auch Dirk irgendwann Freundinnen, stellte aber ernüchtert fest, dass selbst die, die immer von Solidarität mit der Männerbewegung quatschten, beharrlich und mit fantasievollen Druckmitteln auf die Befriedigung ihrer sexuellen Gelüste beharrten. Verhütung, das ist natürlich Männersache. Und es war nicht schön, wenn er in einer Gruppe von fünf betrunkenen Weibern sitzen musste, die alle nur von Männern mit dicken E**** in der Hose schwärmten! Und dabei anzüglich auf seine Hosenküche glotzten, wo für jede, die Augen im Kopf hatte, klar sein musste, dass er in dieser Hinsicht leider zu kurz gekommen war. Aber Dirk machte dazu gute Miene – er wollte ja nicht als verknöcherter, biestiger Maskulist gelten. In der Ausbildung nannte man ihn konsequent „Männlein Niebel“, obwohl er sich das immer wieder verbat und dieser idiotische Titel schon seit Jahrzehnten abgeschafft war. An der Universität hieß es dann, seine außergewöhnliche technische Begabung sei ganz, ganz selten bei einem Mann. Das fand er idiotisch, aber es nützte alles nichts. Obwohl er derjenige war, der regelmäßig das Auto wartete und alle kleinen Reparaturen selbst durchführte, während seine Freundin nicht mal den Ölmessstab fand, sprachen Automechanikerinnen stets nur seine Freundin an. Und dann die vielen nackten Kerle, die in der Werkstatt in jeder Ecke klebten! Selbst heute noch erlebt er regelmäßig folgende Szene: Er setzt gerade geruhsam zum rückwärts einparken ein, und plötzlich erblickt er in der Heckscheibe irgendeine augenrollende Idiotin, die mit wild wedelnden Bewegungen versucht, ihn in die Parklücke zu lotsen. Denn dass Männer nicht einparken können, weiß jeder. Wir haben es sogar schriftlich.

Und überall die schwitzenden, Bier saufenden Bauarbeiterinnen, die einen in der Öffentlichkeit beleidigen! „Guck mal, der geile blonde P***** da unten“ gehört noch zu den harmloseren Komplimenten. Natürlich hat er gelernt, das elegant zu ignorieren, er will ja auch nicht als humorloser, verbohrter Maskulist gelten. Auch vor Exhibitionistinnen ist er nie sicher, ob im Stadtpark, auf dem nächtlichen Nachhauseweg oder vor dem Fenster im Gebüsch. Einmal, als er allein im U-Bahnabteil fuhr, stand plötzlich eine Frau neben ihm, entblößte ihre Geschlechtsorgane und masturbierte keuchend! Aber immer musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, am Ende vielleicht doch selbst schuld zu sein. Immer nachts alleine unterwegs? Da Dirk eben auch eine scharfe Blondine mit tollen Beinen ist, warnten ihn Frauen auch davor, nicht so kurze Höschen anzuziehen – dass schreie ja geradezu nach sexueller Gewalt! Da darf man sich ja auch nicht wundern, wenn man entsprechend behandelt wird. Und selbstverständlich liegt da sofort der Gedanke nahe, dass Dirk sich bei der FDP hoch geschlafen haben muss … bei der Figur?

Ich kann ihn gut verstehen. Glauben Sie mir, ich kenne das alles! Vielleicht nicht ganz so, aber gefühlt ist es allemal dasselbe.

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