Henryk M. Broder / 18.11.2016 / 19:49 / 5 / Seite ausdrucken

Eine stern-Stunde des investigativen Journalismus

Seit der Affäre um die Hitler-Tagebücher gilt der stern als ein Flaggschiff des investigativen Journalismus. Dieser Tradition ist auch Patrick Rösing verpflichtet, der sich als "Redakteur mit dem Schwerpunkt Editorial SEO" darum kümmert, "dass unsere Geschichten den Lesern zugänglicher werden - datengetrieben und mit journalistischem Gespür". Wie wörtlich er diese Absicht in die Tat umsetzt, ist mir zum ersten Mal aufgefallen, als ich eine Geschichte von ihm las, in der es darum ging, dass in den USA die Wahrscheinichkeit, von einem Kleinkind getötet zu werden, viel größer ist als die, von einem Terroristen ins Jenseits befördert zu werden.

Diese Geschichte hatte Rösing aus der Washington Post abgekupfert, datengetrieben und mit journalistischem Gespür. "Im laufenden Jahr", schrieb der Super-Rechercheur am 17.5.2016, seien "bereits 23 Menschen von Kleinkindern erschossen worden"; dieser Bilanz stellte er "die Zahl der Menschen, die in diesem Jahr in den USA bislang von muslimischen Terroristen getötet wurden" gegenüber - "null".  Wobei er nicht nur zu erwähnen vergaß, dass muslimische Terroristen am 11. September 2001 ordentlich auf Halde vorgearbeitet hatten, sondern auch, dass jeden Tag allein in LA mehr als 23 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen. 

Gestern hat sich Rösing "Trumps Chefberater" Stephen Bannon zur Brust genommen und ihn als den "gefährlichsten Mann im Weißen Haus" entlarvt, der "fast mehr als der künftige Präsident" polarisiert. "Er gilt als Nationalist und Antisemit – unter anderem." Auch diese Geschichte hatte Rösing im copy-and-paste-Verfahren fabriziert, also aus Berichten in US-Zeitungen zusammengeschmiert. 

Ich muss zugeben, dass mir Stephen Bannon bis vor zwei Tagen ein No name war. Ich hatte weder etwas von noch über ihn gelesen. Auch als Verbreiter antisemitischer Ideen war er mir, im Gegensatz zu einigen Helden des deutschen Feuilletons wie Chomsky und Finkelstein, nicht aufgefallen. Wenn aber ein stern-Reporter wie Rösing daherkommt und so was behauptet, gehe ich erst einmal davon aus, dass es so ist. Schliesslich geht er datengetrieben und mit journalistischem Gespür ans Werk. Ich möchte gerne wissen, was Bannon gesagt, geschrieben oder getan hat, das ihn als Antisemiten qualifiziert. Hat er den Holocaust geleugnet? Israel das Existenzrecht abgesprochen? Zum Boykott israelischer Produkte aufgerufen? Sich von türkischen Islamisten zu einer Kreuzfahrt einladen lassen? Ist er mit einem Hamas-Schal, auf dem Israels Vernichtung vorweggenommen wurde, aufgetreten?

Also setzte ich mich hin und schrieb eine kurze Email an Rösing:

Sehr geehrter Herr Rösing, in ihrem Artikel über Trumps Chefberaten Stephen Bannon erwähnen Sie viermal, Vorspann eingeschlossen, Bannon gelte als Antisemit, er operiere antisemitisch am rechten Rand usw. Gibt es dafür irgendeinen Beleg, den zu erwähnen Sie vergessen haben? Bitte, klären Sie mich auf. B.

Heute traf Rösings Antwort bei mir ein. Und die las sich fast noch besser als seine Geschichte über Bannon.

Sehr geehrter Herr Broder, wie Sie ja selbst schreiben, heißt es im Text nicht, er IST Antisemit, sondern "er GILT als Antisemit" bzw. "operiert am antisemitischen Rand". Die Formulierungen gründen vor allem auf dem Tenor der Berichterstattung in US-Medien sowie dem Umstand, dass Bannon mit Breitbart ebenjenen Kreisen in den letzten Jahren bereitwillig eine Plattform gab - in den Artikeln der Seite, wie auch in den den Kommentarspalten. Bannon selbst hat Breitbart als Sprachrohr der Alt-Right-Bewegung bezeichnet, in der eben auch antisemitische Ströme vorhanden sind. Darüber hinaus kursieren auch von Bannon selbst abfällige Äußerungen über Juden in den amerikanischen Medien. Er selbst streitet diese ab, aber seine Ex-Frau gab sie bereits 2007 unter Eid zu Protokoll. Aussage gegen Aussage also. 
Nach meiner Auffassung rechtfertigt das die in Frage gestellten Formulierungen.

So was nennt man Verdachtsberichterstattung. Immerhin gibt Rösing zu, dass er aus US-Medien abschreibt. Er hat kein wörtliches Zitat zur Hand, seine Kronzeugin ist Bannons Ex-Frau, die vor zehn Jahren etwas "zu Protokoll" gab, das Bannon bestreitet. Nach meiner Auffassung rechtfertigt so eine Arbeitsweise die Bezeichnung "Lumpenjournalismus". Rösing mag das anders sehen. Dann steht es eben Aussage gegen Aussage. 

Mehr über den "Stern" morgen früh auf der Achse von Alexander Wendt: Trauerspiel Ost-Berichterstattung

Siehe auch: Alan Dershowitz über Stephen Bannon und Der stern, die Napola der Berliner Republik

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Leserpost

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Dr.Frank Valentin / 19.11.2016

Solchen Tiefflieger überlässt man die Medien. Jeder politische Blogger , der ernstgenommen wrrden will, eruiert mehr und wägt vor allem seine Quellen. Diese Medien - egal ob ÖRR, Stern, Spiegel,  Zeit - sind eine Schande.

Franck Royale / 19.11.2016

Deswegen GILT “der stern als ein Flaggschiff des investigativen Journalismus”, IST es aber nicht. Und WAR es auch nie, so zumindest der Tenor in der Bevölkerung.

Leo Hohensee / 19.11.2016

Sehr geehrter Herr Broder, ich habe den Eindruck, es wird immer schwerer neutrale Quellen zu finden, um sich - schlicht – eine eigene Meinung bilden zu können zu den „modernen“ Weltereignissen. Für mich kann ich sagen, ich werde immer entmutigter. Zu Ihren Veröffentlichungen habe ich allerhöchstes Vertrauen, geben Sie doch zuallererst Anstöße, selber kritisch / nicht gutgläubig zu sein. Aktuell fällt mir auf, deutsche Medien und Politiker haben sich insgeheim einig gemacht, das Ergebnis der demokratischen Wahlen in den USA (Trumps Präsidentschaft) noch irgendwie zu verhindern. Vorhin war auf WDR 5 (Radio) ein Kommentar in dem der Kommentator von seiner kleinen Tochter berichtete. Sie habe bitterlich geweint, nachdem Trump nun gewählt ist, weil sie befürchtete, dass ihr ägyptischer Schulfreund (den sie lieb hat) nun das Land verlassen müsse. Hier beeinflusst ja wohl der Vater schon –vorausschauend- die Kinderseele. Und was macht ein solcher Kommentar im Medium Radio? danke für Ihre Hinweise Leo Hohensee

Martin Wolff / 19.11.2016

Wissen Sie, Herr Broder, was mich doch erstaunt, ist, dass der Mann Ihnen so eine Antwort schickt. Er muß doch damit rechnen, dass Sie das hier oder irgendwo anders auseinandernehmen. Es sei denn, er merkt selbst nicht, was er fabuliert.

Karl Lehmann / 19.11.2016

Vielen Dank für Ihren erhellenden Beitrag, Herr Broder! Folgt man der “Argumentation” dieses stern-Mitarbeiters so könnte er wohl kaum etwas dagegen haben wenn man künftig über ihn schreibt: “Herr Rösing gilt als Lumpenjournalist des Sterns, welcher am Rand des Rufmordes operiert.” Wobei dieser Satz vermutlich deutlich mehr Wahrheitsgehalt besitzt als die von ihm fabrizierten.

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