Elefanteninsel, Stromness Südgeorgien
Wir verlassen das Antarktische Festland und nehmen Kurs auf die legendäre Elefanteninsel. Für alle Antarktisenthusiasten ist diese beeindruckende Felseninsel eine Legende und ein ähnlicher Wallfahrtsort wie Kap Horn für die Seeleute. Hier landeten die 22 Mitglieder der berühmten Imperial Trans-Antarktik Expedition von Sir Ernest Shackleton. Die Männer hatten zuvor den Winter auf dem Packeis verbracht, nachdem ihr Schiff, die „Endurance“ erst vom Eis eingeschlossen und schließlich zerdrückt worden war. Die drei geborgenen Rettungsboote mussten erst von den Männern im Frühling über das Eis gezogen werden, bis sie offenes Wasser erreichten, ehe sie in See stechen konnten. Als die Mannschaft die Elefanteninsel erreichte, wurde sehr schnell klar, dass eine Weiterfahrt aller drei Boote unmöglich war. Also entschloß sich Shackleton mit fünf Begleitern und einem umgebauten Boot die 800 Seemeilen (1280 km) bis Südgeorgien zurückzulegen und von der dortigen Wahlfangstation Stromness ein Schiff zu Hilfe zu holen. Sie mussten bei Windstärke 8-9 starten und eines der rauesten Meere der Welt überqueren. Sie landeten tatsächlich in Südgeorgien, aber auf der falschen Seite. Weil die Männer nicht mehr die Kraft hatten, in einer weiteren Woche die Insel zu umrunden, entschloß sich Shackleton zum nie vorher nie gewagten Versuch, die südgeorgischen Berge zu überqueren - ohne alle Bergsteigerausrüstung . Sie schafften das schier Unmögliche und erreichten die heute verlassene Wahlfangstation. Shackleton war durch die Strapazen so gezeichnet, dass ihn die Wahlfänger erst nicht erkannten. Dann dauerte es durch mehrere unglückliche Umstände fast vier Monate, bis Shackleton in Kapitän Louis Pardo, dem Kommandanten der „Yelcho“ einen Mann fand, der trotz der Untermotorisierung seines Schiffes und fehlender Genehmigung seiner Regierung bereit war, zur Elefanteninsel zu fahren, um die Männer zu retten.
Shackletons legendärer Ruf als Chef gründet sich auf die Tatsache, dass er in einer Zeit, wo in Europa täglich tausende junger Menschen an den Fronten verheizt wurden nicht bereit war, auch nur ein einziges Leben dem Ziel der Expeditionen zu opfern. Er hätte der erste Mensch am Südpol sein können, drehte aber nur 180 km vor seinem Ziel um, weil er wusste, dass nicht alle drei Begleiter lebend zurückkehren würden .Der Rettung seiner Männer auf den Elefanteninseln opferte er seine Gesundheit. Sein Körper hat sich nie wieder von den erlittenen Strapazen erholt. Er starb bei seiner nächsten Expedition in Stromness, wo er auch begraben wurde. Shackletons Methoden der Menschenführung und Mitarbeitermotivation wurden Anfang dieses Jahrhunderts von Management-Beratern wiederentdeckt. Ein Buch über seine Führungskunst wurde zum Bestseller. Unser Schiff folgt der legendären Route Shackletons von der Elefanteninsel nach Südgeorgien. Zufällig haben wir ähnliche Wetterbedingungen, über 48 Stunden bei Windstärke 8-9. Das Schiff stampft und rollt. Das Deck ist für Passagiere gesperrt. Die meisten liegen seekrank auf ihren Kabinen.Während ich die bis zu zwölf Meter hohen Wellen betrachte, versuche ich mir vorzustellen, wie sich eine Überfahrt bei diesem Wetter in einem kleinen Boot anfühlt, praktisch unter freiem Himmel, nur von einer Plane vor der hereinbrechenden See geschützt. Meine Fantasie versagt.Ende der Neunziger wollte der Abenteurer Arved Fuchs auf der nachgebauten „James Caird“, wie Shackletons Rettungsboot damals hieß, dieselbe Strecke zurücklegen. Weil aber Windstärke (8-9) herrschte, so wie damals bei Shackleton, verzichtete er schließlich darauf. Obwohl ungleich besser ausgerüstet, weil mit passender Kleidung versehen und mit GPS ausgerüstet, wagte Fuchs das Abenteuer denn doch nicht. Woraus man schließen kann, dass die heutigen Extremsportler den Ruhm wollen, aber kein wirkliches Risiko eingehen wollen. Man kann darin ein Symbol unserer Zeit sehen.