Immer am zweiten Sonntag im Januar macht Sarah Wagenknecht überdeutlich, daß sie ihren stalinistischen Schweinehund noch nicht überwunden hat. Gegen zehn Uhr früh legt die Prominenz der Partei "Die Linken" an den Gräbern der ermordeten KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin-Lichtenberg Kränze und rote Nelken auf den Gräbern ab. Dann gehen die meisten zum Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus gleich nebenan. Sarah Wagenknecht geht nicht mit. Sie macht einen großen Bogen um den Stein. 2006, als er aufgestellt wurde, schrieb sie, dies sei eine "Provokation für viele Sozialisten und Kommunisten". Und diesen Standpunkt hat sie beibehalten.
Beim rot-rot-grünen Parlamentariertreffen am 16. Oktober in einem Sitzungssaal des Bundestages war Sarah Wagenknecht nicht dabei. Deshalb konnte das überparteiliche Beisammensein auch so viele Glückshormone freisetzen. “Der Anfang ist sehr, sehr gut gelungen", sagte Mitorganisator Axel Schäfer (SPD), von einem "großen Schritt" sprach die Linke Caren Lay, Katja Dörner von den Grünen war sogar „beschwingt“, wie sie auf Twitter bekannte. Beschwingt, weil sie hoffte, endlich wieder, losgelöst von pragmatischen Zwängen, weltanschaulich schwärmen zu dürfen. „Spiegel online“ berichtete, altgediente Parteisoldaten hätten gejubelt, dies sei „einer der bewegendsten Momente ihrer Laufbahn“. Sie waren vor Solidarität ganz besoffen. Ob sie wohl wissen, mit wem sie sich ins Bett legen wollen?
Für eine Koalition bräuchten Grüne und Sozialdemokraten nicht nur die gemütlichen Realos der Linkspartei, sondern auch Sarah Wagenknecht, Mitbegründerin der „Kommunistischen Plattform“, und den radikalen linken Flügel, den sie anführt, Und das wird schwierig. Sie zeigen keine Anzeichen von Kompromissbereitschaft. Vor allem die erste Dame der Fraktion kann es nicht unterlassen, auf ihrem wichtigsten Wunschkoalitionspartner herumzudreschen.
Was haben die drei Parteien gemeinsam?
Konsens läßt sich vermutlich zu folgenden Punkten herstellen: Mindestlohn, Rentenerhöhungen, Bürgerversicherung, Ehe für alle, Abschaffung des Ehegattensplittings. Nicht einig sind sich die potenziellen Koalitionäre über die deutsche Nato-Mitgliedschaft und Bundeswehreinsätze im Ausland. Die SPD ist und die Grünen sind dafür. Die Linken sind strikt dagegen. Sie wollen auch Hartz IV abschaffen, Grüne und Hellrote wollen die Regelung behalten. Hinsichtlich der Begrenzung der Flüchtlingsströme wollen SPD und Grüne mit sich reden lassen, die Linken wollen jeden reinlassen.
Die Grünen und Dunkelroten machen auch gemeinsam Front gegen das transatlantische Handelsabkommen TTIP. Die Sozialdemokraten haben sich noch nicht entschieden, würden gegebenenfalls aber wohl einknicken.. Ähnlich bei der Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Selbst Vorsitzender Sigmar Gabriel hat sich nach langem Zögern neulich dafür ausgesprochen. Allerdings, bei den Grünen ist der Kretschmann-Flügel, der eher mit Schwarz-Grün in Berlin kokettiert, stramm auf Widerstand gebürstet.
Weit auseinander sind die drei Parteien in der Außenpolitik. Einen Tag nach der Berliner Konferenz sprach Linken-Vordenker Oskar Lafontaine, der Ehemann von Sarah Wagenknecht, dem grünen Vorsitzenden Cem Özdemir auf seiner Facebook-Seite jede außenpolitische Kompetenz ab. Er sei ein Hasardeur, weil er sich für mehr Sanktionen gegen Rußland und für eine Flugverbotszone in Syrien stark mache. Lafontaine und Wagenknecht plädieren für einen Kuschelkurs gegenüber Moskau und für mehr Härte gegenüber den USA.
Rotgrün hat Ende 2014 in Erfurt die Räuberleiter für den Linken Bodo Ramelow angestellt. Jetzt soll das Gleiche im Bundesland Berlin passieren. Ramelow ist kein Radikaler. Aber wenn schon ein Gemäßigter sich öffentliche Zweifel daran leisten kann, daß die DDR ein Unrechtsstaat war und daß es den Schießbefehl gab, muß man sich fragen, welche Normen und Erkenntnisse dann die Ultralinken ins politische Geschehen einbringen werden.
Wieviel SED ist noch in der Linken? Bis auf weiteres gilt die eidesstattliche Versicherung des Bundesschatzmeisters der Linkspartei, Karl Holluba, vom 28. April 2009, in der es heißt: „,Die Linke‘ ist rechtsidentisch mit der ,Die Linkspartei.PDS‘, die es seit 2005 gab.“ Rechtsidentisch ist nicht unbedingt politisch. Doch sie führt ihre Wahlkämpfe noch immer mit dem klassenkämpferischen Klamauk, mit dem sich seinerzeit die KPD und die DKP an die Rampe spielten.
Ist die Linkspartei eine Bedrohung für die deutsche Demokratie?
Der damalige Parteichef, Lothar Bisky, erklärte im März 2007 auf dem Vereinigungsparteitag von WASG und Linkspartei: „Ich sage das hier zum Mitschreiben: Wir wollen den Systemwechsel.“ Das gilt noch immer. Gregor Gysi ergänzte später: „Es kommt übrigens auch darauf an, wie man eine Idee verpackt. Man muss dabei unbedingt den Zeitgeist beachten.“ Der ist zur Zeit günstig. Nach der jüngsten Emnid-Erhebung glauben nur 33 Prozent der Deutschen, daß „R2G“ (Berliner Jargon) Deutschland schaden würde, 50 Prozent glauben das nicht.Die ehemaligen SED-Mitglieder stellen heute nur noch eine Minderheit in der Linkspartei. Sie wird von den Wählern auch weniger als früher mit der DDR in Verbindung gebracht. Die alten Sünden - Stasi, Mauer, Schießbefehl - sind ziemlich in Vergessenheit geraten. Doch was von der kommunistischen Substanz übrig geblieben ist, das ist "ein elender Rest der Drachenbrut“- So hat es der Liedermacher Wolf Biermann in der Feierstunde im Bundestag am 7. November 2014 trefflich ausgedrückt.
Was Rot und Rotgrün trennt, stand in der Parteidruckschrift "Newsletter Die Linke“. Nämlich: "In rasantem Tempo wandten sich SPD und Bündnis90/Die Grünen von Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit, ökologischer Nachhaltigkeit und den Interessen der Bevölkerungsmehrheit an einer friedlichen Welt ab. Das Hartz-IV-Gesetz und die Agenda 2010 führten zum endgültigen Bruch vieler sozial und links gesinnter Menschen mit SPD und Grünen und zur Entwicklung einer neuen politischen Kraft, der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG).
Sarah Wagenknecht fordert auch eine Wiederzulassung von politischen Streiks. Sie schließt eine brachiale Umverteilung der Vermögen nicht aus, wenn die parlamentarischen Verhältnisse danach sind. Im Karl-Liebknecht-Haus am Berliner Alexanderplatz kursiert dazu eine kühne Vision: Wenn man den ganzen Privatbesitz in Deutschland beschlagnahmen und gleichmäßig an alle verteilen würde, kämen auf jeden Haushalt 110.000 Euro. Das ist nicht die Spinnerei einer Außenseiterin. Die Dame ist Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Bundestag.
Die gute alte Komintern ist bei den Linken lebendig. Sarah Wagenknecht schrieb 1992 über den Stalinismus: "Und was immer man - berechtigt oder unberechtigt - gegen die Stalin-Zeit vorbringen mag, ihre Ergebnisse waren jedenfalls nicht Niedergang und Verwesung, sondern die Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartigen Zeitraums; damit die Überwindung von Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudalen Abhängigkeiten und schärfster kapitalistischer Ausbeutung.“ Sie himmelt immer noch die großen Kommunisten der Weimarer Zeit an.
Ein Blick zurück hilft, Thälmann & Co. richtig einzuordnen
Die KPD sah damals nicht die Nazis, sondern die Sozialdemokraten als Gegner Nummer eins. Vorsitzender Ernst Thälmann beschuldigte die SPD der „treibende Faktor in der Linie der Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion zu sein“, weshalb „der Kampf gegen den imperialistischen Krieg ein Kampf gegen die Sozialdemokratie" sei. Auf den KPD- Wahlplakaten stand 1932: „Weg mit dem System!“ Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Ernst Thälmann waren gewaltbereite Kommunisten, die keine Demokratie wollten, sondern eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Freie Wahlen bewerteten sie als „Attentat auf die Revolution“. Das vergaß Lafontaine 2006, als er sagte: "Liebknecht und Luxemburg stehen für die Inhalte, die die neue linke Kraft im Bundestag vertritt."
Neben Oskar Lafontaine war der letzte Parteichef der SED, Gregor Gysi, Mitbegründer der Linken. Er wurde nach der Wende von der Untersuchungskommission des Bundestags für das Verschwinden von Teilen des DDR-, und SED-Milliardenvermögens verantwortlich gemacht. Es hieß, er habe versucht, über eine Moskauer Strohfirma beträchtliche Summen ins Ausland zu verschieben, indem er sie als Tilgung von Altschulden deklarierte.
Gysis Parteifreunde haben vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss ihr ganzes Wissen über das Verschieben von Milliardenbeträgen nicht offenbart. Ein Teil der Gelder wurde sichergestellt, ein anderer Teil blieb verschwunden. Der Verdacht ist nicht entkräftet, daß sich die Linken zum Teil daraus heute noch finanzieren. Wenn sich die rot-rot-grüne Koalition wirklich mal konstituieren sollte, wird der Mann, der wesentlich dazu beitrug, die schandbare Vergangenheit der DDR zu verschleiern, aber nicht mehr mit am Tisch sitzen. Gysi hat sich aus der Parteiführung zurückgezogen.
Die SED-PDS-Linke hat in der internationalen Politik kaum eine Mesalliance ausgelassen. Sie hat die kommunistischen Putschisten gegen Michael Gorbatschow unterstützt, den mörderischen Tschetnik Slobodan Milosevic und den kubanischen Diktator Fidel Castro. Die „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ nahm Anstoß daran, daß die Linkspartei anläßlich Castros 85. Geburtstags „die Errungenschaften des sozialistischen Kuba mit ihrer beispielhaften Bedeutung für so viele Völker der Welt“ gepriesen hatte.
Die Linken haben bei vielen Gelegenheiten dokumentiert, daß ihre Sympathien nicht vorzugsweise den Rechtsstaaten auf der Welt gehören, sondern linken totalitären Regimen. Im März 2013 schrieben die zwei Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger zum Tod des venezolanischen Autokraten Hugo Chavez, der sein Land wirtschaftlich zu Grunde gerichtet hatte: “Mit Hugo Chávez verlieren Venezuela, Lateinamerika und die Linke in aller Welt einen unerschrockenen Verfechter für eine neue, gerechtere Welt."
Kuba ist das große Vorbild
Am 27. Oktober laden nun der Parteivorstand und die Organisation "Cuba Si" zur Kuba-Konferenz ins Haus des "Neuen Deutschland" nach Berlin ein. Als kubanische Gäste sind zwei regimetreue Kommunisten zu dem Kolloquium geladen: Yalli Orta Rivera, Chefredakteur der Zeitung "Juventud Rebelde", und der Journalist Iroel Sanchez. Sonst niemand. "Cuba Si" ist dem linken Parteivorstand unterstellt und wird vom Bundesinnenministrium als "offen extremistisch" bewertet.
Trotz allem: Ihre grundsätzliche Ablehnung einer Allianz mit der extremen Linken hat der SPD-Parteitag schon im November 2013 gekippt. Die Mehrheit ist bereit, die Entsozialdemokratisierung der SPD, wie Gysi es nennt, rückgängig zu machen. Sie verdrängt aber offensichtlich, daß ein systemfeindlicher Juniorpartner von ihr einen hohen Preis verlangt.
Die roten Socken haben schon jetzt im Bundestag eine Vier-Stimmen-Mehrheit. Theoretisch könnten sie die Bundeskanzlerin über ein Mißtrauensvotum stürzen und Gabriel auf den Thron heben. Das würde aber voraussetzen, daß so gut wie alle Abgeordneten mitziehen. Und das wird nicht geschehen, vor allem nicht bei den Linken.Für die Schwarzen bietet sich die rot-rot-grüne Gefahr als Bindemittel für den Zusammenhalt ihrer Zweiparteien-Fraktion an. CDU und CSU haben begriffen, daß nicht die jeweilige Partnerpartei ihr Gegner ist, sondern das drohende Linksbündnis. Begünstigt dadurch, schiebt sich dann ganz langsam auch eine ganz neue Frage nach vorn: Wenn die Sozis mit den Kommis paktieren wollen, warum dann nicht die Christenpartei mit FDP und AfD, wenn es dazu reicht?
Was für die Anhänger der linken Entente nicht belanglos ist: Sie muß im nächsten September erstmal gemeinsam die Wahlen gewinnen. Und danach sieht es nicht aus. Die Emnid-Umfrage sagt auch, daß die 50 Prozent längst nicht alle eine der drei dazu benötigten Parteien wählen werden. Der Versuch würde sich aber, wenn überhaupt, erst nach der Wahl konkretisieren. Denn einen Lagerwahlkampf soll es nicht geben.
Was ferner gegen das Gelingen von Rot-rot-grün spricht: Bei der Nominierung eines Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten ist die CDU/CSU der SPD näher als die Linkspartei. Deren Chef, Bernd Riexinger bekennt sich offen zur Feindschaft gegenüber SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Er sei einer der Architekten von Gerhard Schröders Agenda 2010, sagte Riexinger, und deshalb für seine Partei unwählbar. Mit einem Votum für Steinmeier könnten Angela Merkel und ihre Granden das rot-rot-grüne Himmelbett vielleicht zersägen. So pfiffig sind sie aber nicht.