Gastautor / 10.10.2016 / 06:15 / 2 / Seite ausdrucken

Merkel in Afrika: Alter Wein in neuen Schläuchen

Angela Merkel bereist im Zeichen der Flüchtlingskrise Afrika. Als „Ursachenbekämpfung“ wird in der Regel alter Wein in neuen Schläuchen angeboten. Mehr Geld und Entwicklungshilfe - ein gescheitertes Konzept. Ganz abgesehen von den schieren demografischen Zahlen. Der Entwicklungshilfe-Kenner und Achse-Autor Volker Seitz, ehemaliger Botschafter in Kamerun und Autor des Buches „Afrika wird armregiert“ wurde von Dolomiten, der größten Tageszeitung in Südtirol als Mann der Praxis zum Thema befragt. Hier seine Empfehlungen und das Interview.

„Dolomiten“: Sie waren lange Jahre in Afrika. Was empfinden Sie angesichts des anhaltenden Exodus aus einigen der Länder?

Volker Seitz: Dieser Aderlass in den ausblutenden Ländern bedeutet, dass sie noch weniger den Anschluss an das besser gestellte Europa finden werden. Wie sollen dort  angemessene Zustände hergestellt werden, wenn die Aktivsten und Ausgebildeten das Land verlassen? Wir bilden uns etwas auf unser Gutsein ein, doch die Herkunftsländer bluten aus. Es liegt nichts Gutes darin, wenn wir durch falsche Anreize  illegale Migration fördern und Menschen auf den Schlepperrouten sterben.

Seit Jahren schon kritisieren Sie die Entwicklungshilfe für Afrika –  bis heute ungehört…

Seitz: Zweifel der Wirkung der Entwicklungshilfe sind nicht politisch korrekt. Die Hilfsindustrie hat einen Sonderstatus, der scheinbar jegliche Kritik verbietet. Es ist unverständlich, wenn derartige Organisationen, die erhebliche wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgen, sich nicht damit anfreunden können, dass ihr Handeln kritisch hinterfragt wird.

Kritik muss es aber wohl nicht nur an der Entwicklungshilfe geben – Stichwort europäische Geflügelreste als Billigimport nach Afrika...

Seitz: Afrikanische Staaten sind nicht ohnmächtig. Die Regierungen  müssen entscheiden, ob sie billiges Fleisch für die eigenen Konsumenten einführen, oder ob sie ihre eigenen Geflügelbauern unterstützen wollen.  In Kamerun, wo der Fleischmarkt mit gefrorenen Hühnerbeinen aus der Europäischen Union – mit Hilfe korrupter Minister – überschwemmt wurde, hatte zu meiner Zeit (2007) der Bauernpräsident Bernard Njonga auf Schutz der einheimischen Geflügelzüchter gedrängt und erreicht, dass die Regierung Importzölle erhöht hat. Die korrupten Minister wurden entlassen und Hühnerreste werden in Kamerun  nicht mehr verkauft. Das zeigt, dass Fortschritte möglich sind.

Stichwort europäischer Elektroschrott, der ganze Landstriche vergiftet…

Seitz: Zu recht alarmiert das UNO-Umweltprogramm  die Weltöffentlichkeit, dass bis zu 90 Prozent des Elektroschrotts (ausgediente Computer, Fernseher, Handys, Kühlschränke oder Elektronikprodukte jedes Jahres illegal gehandelt oder entsorgt werden. In dem Bericht “Waste Crimes, Waste Risks“ (“Müll-Verbrechen, Müll-Gefahren“) werden in Afrika vor allem Ghana, Nigeria, die Elfenbeinküste und die Demokratische Republik Kongo als Ziel des Mülls genannt. Der Export giftiger Abfälle aus EU-Staaten in Entwicklungsländer sei zwar untersagt, jedoch gebe es immer wieder Betrugsfälle. Doch leider können sie nach Afrika alles exportieren, so lange sie kräftig bezahlen.  Bodenproben in Kenia, Nigeria und Ghana zeigten alarmierende Ergebnisse. Ghana zum Beispiel  importiert jährlich mehr als 200.000 Tonnen gebrauchter Elektrogeräte, vor allem aus Westeuropa. Die Hälfte davon landet als Abfall auf Deponien, wo die Geräte unter erbärmlichen Bedingungen, meist von Kindern, ausgeschlachtet werden, um an die Metalle zu kommen. Nur wo sich die Einstellung der Regierenden zur Umwelt geändert hat (wie in Ruanda) und verstanden wird, dass das Thema zentral für die Lebensqualität der Menschen ist, wird es auch einen Bewusstseinswandel geben.

Die Liste ließe sich beliebig fortführen…. Wie ist es vorstellbar, solche Missstände – schnell – abzuschaffen?

Seitz: Ich würde mir jeden „Missstand“ genauer ansehen. Sicher gibt es Probleme, aber die afrikanischen Staaten mit integren Politikern sind nicht hilflos.

Leider sind korrupte Regierungen in einigen afrikanischen Staaten Realität und eine „Zusammenarbeit“ mit ihnen für so manchen Unternehmer mehr als lukrativ… Ist Europa da aus jeder Verantwortung entlassen?

Seitz:  Selbstverständlich nicht. Die mit Hilfe von „Raubtierkapitalisten“ (Zitat von Helmut Schmidt) ausgebeuteten Ressourcen erzeugen Reichtum für Einzelne und ansonsten Korruption. Die Europäer sollten sich ein Beispiel nehmen an den US-Gesetzen, die zur Unternehmenshaftung führen. Es gilt das Extraterritorialitätsprinzip für Korruptionsdelikte, demzufolge Unternehmen und natürliche Personen straf- und zivilrechtlich für Korruptionsvergehen im Ausland belangt werden können. Das Dodd-Frank-Gesetz  verpflichtet zudem alle an den amerikanischen Börsen gehandelten Unternehmen, Zahlungen an Drittstaaten nicht nur Land für Land, sondern Projekt für Projekt offenzulegen.

Haben Sie Verständnis für Asylbewerber aus Afrika?

Seitz: Die meisten Migranten aus Afrika kommen ohne akuten Fluchtgrund. Der Unterschied zwischen Asyl und Migration verwischt. In der Politik und der veröffentlichten Meinung ist nur noch von Flüchtlingen die Rede, nicht von illegalen Wirtschaftsmigranten. Entwicklungshilfe für Herkunftsstaaten muss deshalb künftig an eine Kooperation bei der Rückführung gekoppelt werden. Andererseits müssen Asylbewerber, deren Leben nachweisbar in ihrer Heimat bedroht ist, sich darauf verlassen können, bei uns willkommen zu sein.

Was passiert mit abgelehnten Asylbewerbern? Kennen Sie Zahlen, wie viele tatsächlich zurück in ihr Land gegangen sind?

Seitz: Unmittelbar ausreisepflichtige Asylbewerber werden in Deutschland zu 14 Prozent abgeschoben. Kein anderes Land hat eine so hohe Duldungsquote. Ohne die konsequente Einhaltung geltender Gesetze wird der Graben zwischen Wirklichkeit und Rechtsordnung immer größer. Wer  abgelehnt wurde (ohne Duldung), muss abgeschoben werden, dann hätten wir jede Menge Platz und Geld, für die wirklich Asylbedürftigen. Fehlende Aufnahmebereitschaft im Herkunftsland muss sich auf etwaige Hilfen auswirken.

Welche Botschaft möchten Sie den verantwortlichen Politikern mitgeben?

Seitz: Die effizienteste Hilfe ist Bildungs- und Wirtschaftsförderung. Eine Investition in Wissen bringt die besten Zinsen. Es wäre sinnvoll, den Flüchtlingen eine Rückkehr und eine Ausbildung im Heimatland zu bezahlen. Europäische Staaten könnten in den Ländern, aus denen die meisten Migranten kommen, duale Berufsausbildungszentren eröffnen, in denen die Ausbilder vor Ort die Lebensumstände der Migranten kennenlernen würden. Denkbar wäre auch eine europäische Berufsausbildungsinitiative, eine Art Senior Expert Service. Es gibt nach meiner Erfahrung genug europäische Handwerker im Rentenalter, die gerne ihr Wissen weitergeben würden. Europäische Entwicklungshilfegeber könnten für ein paar Jahre Wagniskapital zur Verfügung stellen. Die dann gegründeten Unternehmen, etwa in allen Handwerksbereichen, in Infrastruktur, Lebensmittelverarbeitung, Medizintechnik, Biotechnologie, Pharmazie und IT, würden dringend benötigte Arbeitsplätze schaffen.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist.

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Dietrich Herrmann / 11.10.2016

Merkel rautet durch Afrika und schüttet das segensreiche Füllhorn aus, ein Füllhorn, das mit Steuergeldern gefüllt ist. Und die schüttet es aus, ohne irgendwen zu fragen. Wie immer im Alleingang.

A. Walter / 10.10.2016

Hinweis: Den Senior Experten Service (SES) gibt es bereits. Die Organisation hat ihren Sitz in Bonn. Seniorexperten (Fach- undFührungskräfte) aus 50 Branchen stellen ihr Wissen und ihre Berufserfahrung ehrenamtlich auf der ganzen Welt vor Ort zur Verfügung. Mehr als 12.000 Senior Experten stehen hier zur Verfügung.

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