Deutschland feiert zwanzig Jahre Mauerfall. Doch an das Grauen der DDR-Diktatur erinnert niemand mehr. Ostalgie ist in Mode, die DDR wird verklärt, und die alten SED-PDS-Linkspartei-Kader reiben sich über die kollektive Amnesie die Hände. Immer mehr Stasi-Mitarbeiter wollen nun sogar zurück in die aktive Politik – so in Brandenburg, wo die Linkspartei mit Kerstin Kaiser bei den anstehenden Landtagswahlen eine Frau zur Ministerpräsidenten machen will, die für die Stasi in ganz besonderen Fällen aktiv war – wenn es darum ging, intime Details ihres Umfeldes auszuspionieren. Über Mitstudentinnen meldete sie der Stasi nicht nur, wer „keinen gefestigten Klassenstandpunkt“ habe oder wer in Klausuren abschreibe, sondern wer „Nickis auf bloßer Haut“ trage und wer „sexuell stark bedürftig“ sei.
Jetzt ist die eifrige Stasi-Dame Spitzenkandidatin im Linksparteien-Herzland Brandenburg und soll den einstigen Bürgerrechtler und Sozialdemokraten Mathias Platzeck um die politische Macht bringen. Nach jüngsten Umfragen liegt die Linkspartei in Brandenburg sogar vor der CDU.
Während die Opferverbände über den Fall Kaiser entsetzt sind, regt sich im Land eigentlich niemand mehr auf. Auch nicht darüber, dass den Bürgerrechtlern und Opfern des DDR-Regimes weder Denkmäler noch Straßennamen gewidmet werden. Dagegen prangt der Name von Karl Marx, dem geistigen Vater der kommunistischen Bewegung, 550 Mal auf Schildern im Straßenbild Ostdeutschlands. 250 Straßen oder Plätze sind nach seinem Mitstreiter Friedrich Engels benannt, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht kommen zusammen sogar auf 596 Straßen. Absoluter Spitzenreiter ist der frühere KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, an den 613 Straßen und Plätze erinnern. Jedes Navigationssystem zeigt: Ostdeutschland ist auch 2009 noch Thälmann-Land.
Doch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall werden im Osten nicht nur die kommunistischen Helden verherrlicht. Auch ihre Institutionen: 337 Mal erinnern „Straßen der Jugend“ an den kommunistischen FDJ-Jugendkult, 285 Mal verewigen „Straßen der Einheit“ an die Zwangsvereinigung von SPD und KPD. 220 Mal bewahren „Straßen der Freundschaft“ den „Bruderbund mit der Sowjetunion“.
Vor allem die Linkspartei wehrt sich vor Ort gegen eine Rücknahme dieses DDR-Kults, ja gegen eine kritische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit insgesamt. Sie kocht lieber Diktatur-Verniedlichungs-Süppchen mit einer Prise Ostalgie. Das wird dann unter dauerndem Eindreschen auf die Einheit, die Demokratie und ihre „sozialen Schieflagen“ umgerührt. Die ideologische Rezeptur für dieses Gebräu liefert die Rosa-Luxemburg-Stiftung. In einer ihrer Publikationen heißt es: „Wer heute noch mehr Würdigung für die Opfer der SED-Diktatur wünscht, scheint sich der Tatsache nicht bewusst zu sein, dass eine Gedenkstättenpädagogik viel Überdruss erzeugt.“ Überdruss! So, so. Die Opfer stören die Täter.
Der Vorstandsvorsitzende der Luxemburg-Stiftung ist übrigens ein brandenburgischer Genosse von Frau Kaiser: Heinz Vietze. Im Wendejahr 1989 war er Bezirkschef der Potsdamer SED, verfolgte gnadenlos Bürgerrechtler und verteidigte bis zuletzt die Mauer – noch im Herbst 1989 wollte er lieber schießen und internieren als Freiheit gewähren. Aber: Erinnern wir besser nicht daran. Sie wissen schon - der Überdruss.