Von Klaus Leciejewski
"Es kommt einfach darauf an, daß man daran glaubt, was man macht." (Kurt Tucholsky)
Wir wissen, Frau Merkel stammt aus einem gläubigen Elternhaus, aus einem protestantischen, aber ob die Protestanten den richtigen Glauben haben? Mindestens wissen wir, dass sie ihn in den schrecklichen deutschen Zeiten hatten, sie segneten die Heere. Auch später hatten sie den richtigen, sie glaubten an das Neue Deutschland. Ja, ich weiß, nicht alle, wahrscheinlich sogar viele nicht, wenigstens nicht so richtig, aber öffentlich waren es nur sehr wenige, die sich verweigerten. Woran im Elternhaus von Frau Merkel geglaubt wurde, wissen wir nicht so richtig, wollen es auch gar nicht, denn heute glaubt Frau Merkel.
Zuerst glaubt sie an die Alternativlosigkeit ihrer Politik. Das ist ihr gutes Recht, auch wenn Politik im allgemeinen Verständnis aus Alternativen besteht, aber im Glauben gibt es keine Alternativen, und über Glauben kann nicht diskutiert werden. Wer will schon einem Gläubigen beweisen wollen, dass Glaube eine Chimäre ist, denn dieser Typ glaubt ja nicht. Frau Merkel aber glaubt, das heißt, sie ist mit sich im Reinen, die Ungläubigen kommen niemals mit sich ins Reine, denn sie haben keine Gewissheit, sie denken immer nur an Alternativen. Das macht sie unsicher. Frau Merkel ist sich sicher, vor allem dass sie den Euro gerettet und uns damit Europa gesichert hat. Auch über Griechenland ist sie sich sicher, denn Griechenland gehört zu uns, und deshalb muss es bei uns bleiben, koste es, was es wolle, wobei die Kosten nichts mit Frau Merkel zu tun haben, die hat bekanntermaßen ihre Pension sicher, glaubt sie. Dabei stören nur die Nichtgläubigen. Das sind zumeist bloß Professoren und die haben deswegen auch keine absolute Gewissheit, weil eine solche eben jeglicher Wissenschaft eigen ist, weshalb die nur ihre Kalkulationen haben, und bekanntermaßen haben sich schon viele Menschen verkalkuliert, nur die Gläubigen nicht, wegen ihrer Gewissheit im Glauben.
Frau Merkel muss Tucholsky nicht kennen
Frau Merkel hat sich auch reinen Gewissens über die Flüchtlinge gefreut und als Fragen aufkamen, warum Hundertausende junger Syrer, Iraker und Afghanen nicht in ihrem Land für ihre Freiheit kämpfen, sondern dies Soldaten aus fremden Ländern überlassen, zumeist Ungläubigen, da sprach sie den bedeutungsschweren Satz, dass, wenn man sich darüber nicht ehrlichen Herzens freuen dürfe, dies nicht ihr Land wäre. Allerdings erklärte sie dazu nicht, welches dann ihr Land sein würde, was indessen auch nicht erforderlich gewesen war, denn eigentlich meinte sie damit nicht ihr Land, sondern das Land der Ungläubigen. Demgegenüber glaubt man in ihrem Land vor allem indem man an Frau Merkel glaubt, weil es einfach darauf ankommt, dass man das glaubt, was man macht. Frau Merkel muss Tucholsky nicht kennen, wenn sie dementsprechend handelt, zudem würde sie diesen üblen Satiriker heute sowieso nicht in ihrer Nähe haben wollen. Die Linken benutzen ihn als Säulenheiligen, allerdings nur sein Ausspruch „Alle Soldaten sind Mörder“, und allein damit wäre er Frau Merkel schon äußerst suspekt, selbst wenn er in der DDR eifrig gedruckt wurde, während dem die ihn nachahmenden Satiriker ins Loch kamen. Heute, unter der Glaubensgewissheit von Frau Merkel, haben sie es besser, sie kommen nur vor Gericht, aber vor einem deutschen Gericht und auf hoher See … Da Frau Merkel alles Weitere kennt, glaubt sie weniger an Gerichte als an den Geldhahn. Der ist heute wirkungsvoller, auch gegen Satire. Majestätsbeleidigung hin, Majestätsbeleidigung her, der Weg zum Geld ist näher. Der unangenehme Störenfried Tucholsky muss es schon damals geahnt haben, als er schrieb: Wohl aber jener Glaube, der Berge versetzt, und der – Wunder über Wunder – sogar über Menschen etwas vermag.
Frau Merkel arbeitet für ihr Volk, daran glaubt sie ganz gewiss. Dieses Volk ist die Projektionsfläche für ihren Glauben, und zu ihrem Volk gehören alle Menschen, die sich in ihrer Obhut befinden. Die Verfassung Deutschlands ist dafür belanglos, weil diejenigen Teile ihres Volkes, für die Glaube und Staat identisch sind, sowieso nicht auf die Verfassung schwören könnten, brauchen sie auch gar nicht, sie müssen nur an Frau Merkel glauben.
Reflektionen über ihren Glauben ist gefährlich. Herr Sarrazin hat das leiblich erfahren. Denn die Reflektion tötet. Der letzte Satz ist auch nicht von mir, sondern schon wieder von diesem Ungläubigen Tucholsky. Derselbe hatte auch die Frechheit zu behaupten, dass Satire alles darf und alles muss. Das liegt jetzt zwar schon 90 Jahre zurück, wäre aber in der Glaubensrepublik von Frau Merkel immer noch eine bodenlose Unverschämtheit, selbstverständlich! Früher, ganz früher, bedeutete Zweifel am Glauben eine Beleidigung der höchsten Autorität. Heute gibt es solche höchste Autorität nicht mehr, nur noch eine Politik ohne Alternativen und darüber hat sich das Volk zu freuen, das ganze Volk!
Ich glaube nicht, vor allem nicht an die Politik von Frau Merkel. Ob ich da wohl trotzdem zu ihrem Volk gehören darf?
Klaus D. Leciejewski hat an verschiedenen deutschen Hochschulen Wirtschaft gelehrt, ist Autor mehrerer Sachbücher und Publizist. Er ist mit einer Kubanerin verheiratet und lebt einen großen Teil des Jahres auf Kuba.