Eva Ziessler / 01.07.2016 / 15:00 / 17 / Seite ausdrucken

Eine Geschichte über Mississippi Burning und den Brexit

Am selben Abend noch griff der amerikanische Justizminister Robert F. Kennedy in Washington zum Telefon. Er ordnete den umgehenden Einsatz von 150 FBI-Agenten aus New Orleans in der Kleinstadt Meridian in Neshoba County, Mississippi, an. Drei junge Bürgerrechtsaktivisten waren am  Nachmittag des 21. Juni 1964 in Meridian spurlos verschwunden. Anders als vereinbart hatten sich nicht bei ihrer Einsatzzentrale im Büro des Congress of Racial Equality (CORE) zurückgemeldet, und ein paar Stunden später hatten zwei Indianer das noch brennende Auto der Bürgerrechtler am Rand einer Landstraße bei Meridian gefunden. Die drei jungen Bürgerrechtler, zwei Juden aus New York City und ein Schwarzer aus Mississippi, sollten dafür sorgen, dass sich die wahlberechtigten Schwarzen in Neshoba County in die Wählerlisten eintrugen – in den USA eine Voraussetzung dafür, bei Wahlen überhaupt seine Stimme abgeben zu dürfen.

Diese Unterstützung war bitter nötig, denn in den Südstaaten sorgten gut organisierte Teile der weißen Bevölkerung noch einhundert Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges und der Abschaffung der Sklaverei dafür, dass Schwarze nicht wählen würden – man hielt sie mit Drohungen und mit Gewalt davon ab, sich als Wähler zu registrieren. Man schlug sie zusammen, zündete ihre Kirchen an und schickte organisierte Lynchmobs gegen sie los. Seit der Verabschiedung des 15. Zusatzes zur amerikanischen Verfassung im Jahre 1870 waren Schwarze eigentlich ohne Einschränkungen wahlberechtigt.

Aber das hatte den gut organisierten Ku-Klux-Klan sowie dessen Schwesterorganisationen nicht davon abgehalten, geradedies mit allen Mitteln zu verhindern. Dabei fühlte man sich vollkommen im Recht. Denn der Zorn war gar nicht mal so sehr gegen die schwarzen Mitbürger gerichtet, sondern viel mehr noch gegen die Bundesregierung in Washington und den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, die den Südstaaten nicht nur die Sezession verwehrt hatten, sondern ihnen auch noch – so sah man das – per Bundesgesetz befahlen, wie sie ihre eigenen Angelegenheiten im Staat Mississippi regeln sollten. Dass der Umgang mit den dunkelhäutigen Nachfahren der früheren Sklaven „ihre“ Angelegenheit war, und dass Washington nicht befugt war, ihnen da hineinzupfuschen, stand für die meisten außer Zweifel.

Eine Mauer des Schweigens in der Bevölkerung und Polizeibehörden

Am Morgen des folgenden Tages schwärmten also auf Anweisung des Justizministers 150 Bundesagenten in Nehoba County aus, die ihre Anweisungen ausschließlich aus Washington erhielten. Da sie auf eine Mauer des Schweigens in der Bevölkerung und Polizeibehörden vor Ort stießen – keiner hatte irgendwas gesehen –, war ziemlich offensichtlich, dass etwas Schlimmes passiert war. Zudem kam jetzt heraus, dass in den vorangegangenen zwei Monaten acht Schwarze, darunter ein 14-Jähriger Junge und zwei Collegestudenten, ebenfalls spurlos verschwunden waren.

Die Polizeibehörden vor Ort hatten keinerlei Anstrengungen unternommen, nach ihnen zu suchen. Justizminister Robert F. Kennedy beorderte daraufhin mehrere Hundert Marinesoldaten und Marinetaucher der U.S. Navy nach Nehoba County. Sie unterstützten die FBI-Agenten dabei, das gesamte Gebiet sowie die nahegelegenen Sümpfe in Bogue Chitto zu durchkämmen. Als erstes stieß man auf die Leichen der schon vorher verschwundenen Schwarzen, die alle ermordet worden waren. Erst nach 44 Tagen fand man die in einem Erdwall verscharrten Leichen der drei Bürgerrechtler. Sie waren erschossen worden.

Es bestand der begründete Verdacht, dass nicht nur das Büro des Sheriffs in Meridian, sondern auch die anderen Polizeistellen in Nehoba County unmittelbar an den Morden beteiligt gewesen waren. Ein Zeuge hatte gesehen, wie eine Meute von Polizisten und anderen Bürgern dem Auto mit den Bürgerrechtlern gefolgt waren. Das letzte Lebenszeichen der drei war nämlich ihre kurzzeitige Verhaftung durch Nehoba County-Polizisten wegen zu schnellen Fahrens auf der Landstraße. Das war dokumentiert. Sie waren dann noch am selben Nachmittag wieder aus dem Gefängnis entlassen und danach angeblich von der Polizei nicht mehr gesehen worden. Auch war allgemein bekannt, dass etliche Polizisten Mitglieder des Ku-Klux-Klan und seiner erst vor kurzem gegründeten Schwesterorganisation, den White Knights of Mississippi, waren. Deshalb erstaunte es niemanden in den ganzen USA – über die Sache wurde mittlerweile bundesweit ausführlich im Fernsehen berichtet – , dass sich die Polizei in Nehoba County weigerte, in den Mordfällen auch nur zu ermitteln.

Der Staatsanwalt wollte die Sache aussitzen

Der Staatsanwalt wollte die Sache ebenfalls aussitzen. Weder erhob er Anklage, noch wies er die Polizei an, die Morde aufzuklären. Auch die übergeordnete Behörde, die Generalstaatsanwaltschaft des Staates Mississippi in der Landeshauptstadt Jackson, entschied sich, nicht einzugreifen. Und es bestand keinerlei Durchgriffsmöglichkeit für die Bundesregierung in Washington auf die Strafverfolgungsbehörden des Staates Mississippi.  Das liegt an einer Besonderheit des amerikanischen Föderalismus, der viel stärker ausgeprägt ist als zum Beispiel der deutsche: „Gewöhnliche“ Straftaten sowie deren Verfolgung unterstehen der Hoheit der einzelnen Bundesstaaten. Mord und Totschlag, Diebstahl, Raub und Vergewaltigung sind allein Sache des Gesetzgebers und der Strafverfolgungs- und Justizbehörden von Mississippi.

Der Kongress in Washington war noch nie dafür zuständig, etwa einen Straftatbestand Mord als Bundesgesetz zu verabschieden. Deshalb kennt das amerikanische Bundesrecht auch den Straftatbestand des Mordes nicht. Und deshalb unterscheiden sich die Strafrechtsordnungen der amerikanischen Einzelstaaten auch zum Teil ganz erheblich voneinander – man kennt das: Es gibt Staaten, in denen die Todesstrafe verhängt werden darf und andere, in denen das nicht geht; es gibt Staaten, in denen das Alkoholtrinken auf der Straße eine Straftat ist, für die man ins Gefängnis gehen kann und solche, in denen der Analverkehr zwischen Erwachsenen ein Verbrechen ist.

Man hatte also ein großes Problem – elf Mordopfer, und dem amerikanischen Justizminister waren die Hände gebunden. Er hatte keine Möglichkeit, irgendeine Behörde in Mississippi anzuweisen, wegen der Morde zu ermitteln und Anklage zu erheben. Das aber war nicht hinnehmbar. Auch Präsident Lyndon B. Johnson hatte sich inzwischen eingeschaltet, und es wurde nach einem juristischen Kniff gesucht, den extremen Föderalismus zu durchbrechen und so die Behörden in Mississippi dazu zu zwingen, die Mörder zu ermitteln und vor Gericht zu bringen. Die Juristen im Washingtoner Justizministerium wurden auch fündig: Die Bundesstaatsanwaltschaft durfte zwar nicht wegen Mordes ermitteln und anklagen, aber sie hatte die Befugnis, wegen eines Verstoßes gegen ein Bundesstrafgesetz eine Federal Grand Jury im Staat Mississippi einzuberufen, die in der Sache ermitteln und auch Anklage erheben konnte.

Eine Möglichkeit für die Einberufung einer Federal Grand Jury

Ein geeignetes Bundesstrafgesetz wurde gefunden: Nach 18 U.S. Code § 241 können „zwei oder mehr Personen, die sich verschwören, um andere Menschen an der Ausübung ihrer Grundrechte aus der Verfassung zu hindern, indem sie diese bedrohen, entführen, verletzen oder töten, mit bis zu lebenslanger Haft oder mit dem Tode bestraft werden“. Dieser Tatbestand war hier offenbar einschlägig, da die Bürgerrechtsaktivisten die wahlberechtigten schwarzen Bürger ja nur über ihre Rechte aufklärten und sie ermunterten, sich als Wähler zu registrieren. Sie hatten also ihr Grundrecht auf Redefreiheit nutzen wollen. Ein Pulk aus Polizisten und Klanmitgliedern hinderte sie daran, indem er sie entführte, ermordete und ihre Leichen verscharrte. Damit war die Möglichkeit für die Einberufung einer Federal Grand Jury eröffnet, sowie deren Unterstützung durch das FBI bei der Ermittlung der Tatumstände und der Täter.

Dennoch gelang es nicht, sämtliche Täter zu ermitteln, noch diejenigen zu verurteilen, gegen die überhaupt Anklage erhoben werden konnte. Schwarze und weiße Zeugen, die etwas wussten, wurden von den White Knights eingeschüchtert und bedroht, und das FBI bediente sich wohl einiger nicht ganz sauberer Techniken, um doch noch an Aussagen zu kommen. Im ersten Strafprozess, der acht Monate nach der Tat im Februar 1965 am Bundesgericht in Meridian eröffnet wurde, ließ der zuständige Bundesrichter, ein Verfechter der Rassentrennung, der vermutlich selbst Mitglied des Klans gewesen war, die Anklage gegen 16 der 18 Angeklagten mit fadenscheiniger Begründung fallen. Sie alle kamen auf freien Fuß. Im März 1966 hob der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten diesen Richterbeschluss wieder auf.

Die Geschichte wurde 1988 als Spielfilm verfilmt – unter dem Titel Mississippi Burning

Daraufhin war der Weg frei für einen neuen Prozess, der im Oktober 1967 in Meridian begann – allerdings vor demselben Bundesrichter. Der Hauptzeuge der Anklage wurde durch anonyme Todesdrohungen so eingeschüchtert, dass er einen Nervenzusammenbruch erlitt und zeitweise ins Krankenhaus musste. Mit Müh und Not gelang es am Ende, sieben der Angeklagten zu Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren zu verurteilen. Keiner von ihnen verbrachte mehr als sechs Jahre im Gefängnis. Im April 2005 wurde Edgar Ray Killen in Mississippi der Prozess gemacht, einem Sägewerksarbeiter und Baptistenpfarrer in Neshoba County, der zur Zeit der Morde Klanmitglied war. Killen galt als Kopf der Mörderbande und war mittlerweile 80 Jahre alt.

Diesmal konnte er wegen dreifachen Mordes vor einem Gericht des Staates Mississippi in Meridian angeklagt werden – der juristische Umweg über das Bundesstrafrecht und das Bundesgericht war 41 Jahre nach der Tat nun nicht mehr nötig. Eine Jury bestehend aus neun Weißen und drei Schwarzen verurteilte ihn am 21. Juni 2005, auf den Tag genau 41 Jahre nach den Morden, als Anführer – zwar nicht wegen Mordes aber wegen dreifachen Totschlags – zu 60 Jahren Gefängnis. Seitdem sitzt der heute 91-Jährige in einer Strafvollzugsanstalt des Staates Mississippi ein. Die Geschichte wurde 1988 als Spielfilm verfilmt – unter dem Titel Mississippi Burning. So hatte das FBI die Akten in diesem Fall beschriftet. Alan Parker, der Regisseur, gewann Gene Hackmann und Willem Dafoe für die Rollen der beiden leitenden FBI-Agenten.

Was hat das alles mit dem Brexit zu tun?

Warum habe ich das so breit ausgeführt, und was hat das alles mit dem Brexit zu tun? Das hat mit dem Brexit zu tun, weil dieses lange zurückliegende Geschehen in Mississippi sehr deutlich macht, dass ein Aufbegehren gegen eine mächtige und weit entfernte, zentralstaatliche Gewalt an einem fernen Ort durchaus nicht zwangsläufig nur edle Züge annehmen muss – von den wahren Motiven der Widerständler ganz zu schweigen. Wenn sich, wie im Fall Meridian, der widerständische Impuls gegen die Zentralgewalt vor allem aus dem unbändigen Hass auf diejenigen speist, die einen daran hindern wollen, mit Schwarzen nicht nur umzuspringen wie es einem beliebt und sie systematisch all ihrer Grundrechte zu berauben, sondern sie auch noch ungestraft verprügeln, verstümmeln, anzünden und ermorden zu können, dann bleibt gar nichts Begrüßenswertes von dem staatstheoretisch grundsätzlich sehr klugen Prinzip des Föderalismus oder der Subsidiarität mehr übrig.

Für das damalige Mississippi gilt: Man weiß nicht, was unter den Weißen stärker ausgeprägt war – der Hass auf die Schwarzen oder der Hass auf die „da oben“ in Washington; die Bürokraten mit fremder Mentalität – und beinahe auch fremder Sprache -, an die man auch noch Steuern abführen musste, die sie dann dazu verwendeten, sich in „unsere“ Angelegenheiten hier unten einzumischen, die sie gar nichts angehen und die sie auch überhaupt nicht verstehen.

Ich glaube, man darf das nicht unterschätzen. Das Gefühl umfassender Ohnmacht, das viele Menschen in den Südstaaten der USA seit ihrer Niederlage im Bürgerkrieg vor 150 Jahren bis heute prägt, ist ein psychologisch gesehen sehr wirkmächtiges. Der vermeintliche Autonomieverlust, den man als Bürger eines Staatenbundes mit (in den 1960er Jahren) 250 Millionen Einwohnern empfindet, ist ja auch nicht nur ein leerer und krankhafter Wahn, sondern ganz real. Im Fall der Südstaaten kommt noch dazu, dass sie sich nie freiwillig der Union angeschlossen haben, sondern als Kriegsverlierer zwangseingemeindet wurden. Dass seitdem 150 Jahre ins Land gegangen sind, spielt allenfalls eine geringe Rolle.

Narzisstische Kränkungen werden stets mythologisiert

Narzisstische Kränkungen werden stets mythologisiert und halten sich deshalb sehr lange in einer Bevölkerung – besonders dann, wenn diese im eher ländlichen Raum und in Kleinstädten lebt, wo über Jahrzehnte oder Jahrhunderte wenig Zuwanderung von außen stattfindet. Da man aber gegen die Zentralregierung nicht wirklich ankommt – der Preis wäre zu hoch! –, sucht und findet man stellvertretend ein anderes Ventil für seine Ressentiments und seinen Hass. Ob die Opfer dann die eigenen Ehefrauen (es sind überwiegend Männer, die ihren Hass durch Gewalt ausleben) und Kinder oder Schwarze oder Juden oder Polacken oder Muslime sind, ist dann schon fast egal und entscheidet sich letzten Endes an der jeweiligen Verfügbarkeit potentieller Opfersubjekte vor Ort – insofern ist es gut möglich, dass die noch nicht lange bestehende Möglichkeit, auf „sozialen“ Netzwerken im Internet ungehemmt pöbeln zu können, den beliebig ausgesuchten Opfern einiges erspart, weil ihnen dann wenigstens keine Gewalt angetan wird.

An den Vorfällen in Mississippi sieht man, dass zentralistischer Zwang – sei er nun ein nationaler oder auch ein supranationaler – nicht nur durchaus sein Gutes haben kann, sondern oft sogar die einzige Möglichkeit ist, um systematische – und immer und ausschließlich an Minderheiten ausgeübte – Gewalttaten vor Ort zu verhindern und zu unterbinden. Und selbst mithilfe der Zentralgewalt ist es ein langer und mühseliger Prozess, wie man in Mississippi sehen konnte: Nicht umsonst hat es 41 Jahre gedauert, bis die Tat vor einem örtlichen Gericht des Staates Mississippi verhandelt werden konnte.

Es dürfte nun deutlich geworden sein, dass ich sehr zögere, den möglichst kleinteiligen Dezentralismus oder Föderalismus für einen uneingeschränkten Segen zu halten. Dabei ist es egal, ob er entlang ethnischer, sprachlicher, religiöser, geographischer oder sonstiger Merkmale der kleinsten Einheiten verläuft. „Small is beautiful“ stimmt eben nur, solange auf Gemeindeebene über die Farbe des Gehwegpflasters und die Öffnungszeiten für das Schwimmbad entschieden wird. Fast alles, was darüber hinausgeht, sollte aus der Entfernung entschieden werden. Denn wenn die Kinder einer religiösen Minderheit am Ort durch Gemeindebeschluss von den anderen Schülern getrennt werden und den Winter im einzigen ungeheizten Raum der Schule verbringen müssen, dann wünsche ich mir, dass umgehend eine höhere Verwaltungsebene eingreift, die weiter weg ist; und wenn es sein muss eben auch die allerhöchste, die ganz weit entfernt sitzt. Ob die Bürokraten dort noch dieselbe Sprache sprechen, spielt keine Rolle. Menschenrechte entfalten universelle Geltung. In solchen Fällen lautet die Devise dann: „The bigger, the better!“

Ob uns  Glühbirnen von Brüssel oder Berlin verboten werden, ist egal

Nicht zufällig habe ich als Beispiel gegen einen ausgeprägten Dezentralismus oder Föderalismus eine Verletzung von Grundrechten – noch dazu bei Kindern! – angeführt. Denn nur bei Verletzung von Grundrechten (was aber gar nicht so selten vorkommt) greift meine Föderalismuskritik überhaupt. Der Eingriff in Rechte muss allerdings die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, damit er relevant wird. Deshalb finde ich es ganz grundsätzlich schwachsinnig, trotzdem aber nicht besonders erheblich, wenn zum Beispiel über die Frage, welche Leuchtmittel Menschen in ihren Wohnungen einsetzen, überhaupt politisch entschieden wird – und zwar egal auf welcher Ebene. Ob uns die Glühbirnen von Brüssel oder von Berlin aus verboten werden, spielt keine Rolle.

Hierbei handelt es sich gar nicht um ein Problem des Zentralismus versus Dezentralismus, sondern darum, dass überhaupt viel zu viele Gesetze gemacht werden – auf Landes-, auf Bundes-, sowie auf supranationaler Ebene. Ist die Rechtsverletzung dagegen erheblich, dann liegt es in der Natur der Sache, dass immer nur eine – zahlenmäßige –  Minderheit von ihr betroffen ist. So gesehen, würde ich sagen, kann man den politischen Zentralismus in erster Linie auch als das einzige wirksame Instrument zum Schutz von Minderheiten vor Grundrechtseingriffen begreifen. Ich würde sogar noch weitergehen und sage: Große zentralstaatliche und supranationale Einrichtungen sind ALLEIN dadurch gerechtfertigt, dass nur sie die Rechte von Minderheiten wirksam schützen und gegebenenfalls gegen lokale Tyrannen und den Mob durchsetzen können. Das ist ihre vornehmste Aufgabe im modernen Rechtsstaat, der sie im Großen und Ganzen auch gerecht werden.

Sehr schön spiegelt sich das auch im gerichtlichen Instanzenzug, der für uns, die privilegierten EU-Bürger, glücklicherweise bis ganz zum EUGH reicht. Nicht wenige Menschen in der EU sind sehr froh darüber, dass der Europäische Gerichtshof den Behörden ihres Heimatlandes Eingriffe in ihre Grundrechte untersagt hat – wenn es auch im Einzelfall sehr lange gedauert haben mag. Bei ihren nationalen Gerichten jedenfalls waren sie bis dahin alle gescheitert.

Die Brexit-Befürworter haben die Sache mit der Autonomie falsch verstanden

Was nun den Brexit angeht, so will ich damit selbstverständlich nicht sagen, dass die falsch verstandenen Autonomiebestrebungen, die rund 35 Prozent der Abstimmungsberechtigten dazu verleitet haben, für den Austritt aus der EU zu stimmen, darauf gerichtet waren, dass man in Zukunft ungestraft Minderheiten im eigenen Land drangsalieren kann, ohne in der Folge irgendwelche Sanktionen aus Brüssel befürchten zu müssen.   Falsch verstanden haben die Brexit-Befürworter die Sache mit der Autonomie nichtsdestotrotz. Der Austritt aus der EU führt nämlich nicht zu mehr Autonomie für jeden einzelnen Briten, sondern zu erheblich weniger Autonomie – ganz abgesehen davon, dass sie in Zukunft nicht mehr den EUGH werden anrufen können, um sich vor Rechtsverletzungen zu schützen, die ihnen die britische Krone zufügt.

Sie haben nämlich einen wesentlichen Punkt übersehen: dass sie sich selbst sowie allen ihren Mitbürgern damit auf einen Schlag ein ganz großartiges und weltweit sowie historisch wohl einmaliges Recht entzogen haben – das Recht auf die – fast bedingungslose – Freizügigkeit von Personen in einem Rechtsraum, der 28 Staaten mit über 500 Millionen Einwohnern umfasst. Vielleicht dämmert es ihnen langsam, aber das wird nun nicht mehr helfen. Und das sage ich ganz ohne Genugtuung oder Schadenfreude. Die Sache ist einfach zu traurig. Und mich betrifft es ja auch. Auch mir ist von den 35 Prozent mein Freizügigkeitsrecht zum Teil entzogen worden.

Bis vor einer Woche hätte ich von heute auf morgen beschließen können, von Hamburg nach London umzuziehen und da so lange zu leben, wie ich lustig bin. Ich hätte niemanden in England fragen müssen, ob ich das darf und hätte mich nicht einmal irgendwo anmelden müssen, weil Großbritannien im Unterschied zu Deutschland kein Melderecht kennt. Mein Umzug wäre genauso einfach oder so umständlich gewesen wie der von Hamburg nach Berlin oder nach München.

Das kann ich nun nicht mehr tun, denn ganz ohne irgendeinen Eingriff aus dem ihnen so verhassten Brüssel haben die 35 Prozent dafür gesorgt, dass meine Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden ist. Das nehme ich ihnen ganz persönlich übel. Zumal ich die Freizügigkeit, die wir in der EU haben, nicht nur als eine schöne Angelegenheit oder Bequemlichkeit ansehe. Ich halte sie für ein Menschenrecht, das allerdings bedauerlicherweise bislang nur in der EU anerkannt wird und selbst hier nur für EU-Bürger gilt, nicht aber für Ausländer, die in der EU leben.

Die Geschichte entbehrt nicht einer gewissen Ironie

Trotz allem entbehrt die Geschichte auch nicht einer gewissen Ironie. Ich stelle mir vor, wie die 35 Prozent nun mit stolzgeschwellter Brust und einigermaßen verständnislos dastehen und ihren wütenden Mitbürgern zurufen: „Aber wir sind doch jetzt endlich wieder ein selbstbestimmtes Volk und ein souveränes Land! Worüber regt ihr euch denn auf? Brüssel kann uns doch nun nichts mehr vorschreiben! Wir haben jetzt doch endlich die Kontrolle darüber zurückgewonnen, wie wir leben und wie viele Ausländer wir ins Land lassen wollen! Was kann man denn daran auszusetzen haben?“

Ich stelle mir vor, wie einer aus der Menge der wütenden 65 Prozent zurückbrüllt: „Ganz toll! Dann kannst du jetzt ja Glühbirnen produzieren, die aber keiner mehr kauft, weil Halogenlampen sowieso besser sind und auch länger halten! Auch egal, weil ja keine Polen mehr kommen dürfen, um in deiner Glühbirnenfabrik zu arbeiten…Deine Kinder werden nicht mehr einfach nach Paris, Berlin oder Rom zum Studieren gehen können. Und wenn du nach Marbella fliegst, in dein Ferienhaus, dann machen sie dir jedes Mal einen Stempel in den Pass, und dann darfst du nie länger als drei Monate am Stück dableiben, und wenn du deinen Ruhestand da verbringen willst, dann musst du eine Aufenthaltserlaubnis beantragen – wie jeder Nigerianer oder Chinese oder Inder auch! Ich wünsche dir und deinen Kindern viel Spaß auf dem Sofa im Licht eurer Glühbirnen!“ Man könnte auch sagen, die 35 Prozent hätten den – nur vermeintlichen – Teufel mit dem echten Beelzebub ausgetrieben.

Dieser Text erschien zuerst auf Eva Ziesslers Blog hier.

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Hans-Peter Hammer / 03.07.2016

Falsch, Frau Ziessler! Weder Ihnen, noch den Briten ist die Freizügigkeit entzogen worden! Die Bestimmungen des EU Vertrages enden (nach Art. 50 EUV) erst wenn die Übergangsverhandlungen abgeschlossen sind, bzw. 2 Jahre nach Mitteilung des austrittswilligen Landes darüber, daß es austreten will; sofern der Europäische Rat keine Verlängerung beschließt/zuläßt! Bis dahin haben alle Bestimmungen des EUV weiterhin Gültigkeit! Und ich wage vorherzusagen, daß sich effektiv am Ende nicht viel ändern wird! Dazu ist der britische Markt (und der erleichterte Zugang zu den Märkten vieler der ehemals zum Empire, jetzt zum Commonwealth gehörenden Länder) für die EU, und der europäische Markt für die Briten zu wichtig! Desweiteren wird die EU sicher keine Konkurrenz-Organisation mit einer wieder auflebenden (und evtl. erweiterten) EFTA fördern wollen! Nur die könnte ihnen, wenn sie sich GB gegenüber starr- und dickköpfig erweisen, was anderen Ländern, die auch mehr oder weniger zähneknirschend das derzeitige böse Spiel in Brüssel mitmachen, Auftrieb geben würde (“Schaut euch an was die mit den Briten machen, nur weil sie ein Recht des Vertrages in Anspruch nahmen! Das wollen wir nicht! Also lieber jetzt raus, bevor es am Ende unmöglich ist!”) und deren Austritt in Gang setzte, genau dadurch blühen! Also wird man - wenn die Schnappatmung aufgehört hat und das Gehirn wieder mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird (und nach Zurücktreten der größten Pfeifen (Juncker, Schulz, Oettinger, etc.) - rational verhandeln und rationale Folgeverträge schließen, zum Wohle Beider! Aber leider wird auch das das größte Manko der EU, die fehlende demokratische Legitimität (Die aus meiner Sicht DER Grund für den Brexit ist. Nicht umsonst ist GB/UK die älteste europäische Demokratie) nicht beseitigen! Man sehe nur was Gabriel an “Reformvorschlägen” gerade verkündet hat. Die Regierung der EU (auch wenn sie weiterhin “Kommission” hieße) vom Parlament wählen lassen, also Einführung echter repräsentativer Demokratie, kommt bei Ihm nicht vor! (Das die EU-Kommission vom europäischen Rat (der Versammlung der EU-Regierungschefs) bestimmt wird und das Parlament darauf so gut wie keinen Einfluß hat, zeigt den Fehler im System sehr deutlich! Das ist als würde in Deutschland der Bundesrat (!) den Bundeskanzler und die Bundesminister bestimmen!) Und Freizügigkeit (über Staatsgrenzen hinaus) IST kein Menschenrecht! (Das mögen Sie anders sehen, die AEM gibt es aber nicht her und DIE ist maßgeblich! Allerdings bin ich ein Unterstützer dessen was die US-Verfassung so schön als “Recht auf Streben nach Glück” formuliert! ) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sagt dazu: >Artikel 13 1. Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.  (Innerhalb!) 2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.  (Was nicht bedeutet daß ihn ein anderes (außer Asyl) aufnehmen muß!) Artikel 14 1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. 2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsächlich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen.< Und das >Ob die Opfer dann die eigenen Ehefrauen (es sind überwiegend Männer, die ihren Hass durch Gewalt ausleben).... < nehme ich Ihnen - da dies im Zusammenhang wohl auf häusliche Gewalt gemünzt ist - wirklich übel! Inzwischen steht durch unzählige, auch internationale, Untersuchungen fest, daß diese Gewalt zu nahezu gleichen Teilen von beiden Geschlechtern ausgeht! Hier die alte feministische, zudem falsche, Propaganda auszupacken, die genauso falsch ist wie der “GenderPay-Gap”, macht ihre Ausführunge nicht besser!

Andreas Mertens / 02.07.2016

Man muß den Menschen gestatten, große Fehler zu ihrem Schaden zu begehen, um ein größeres Übel zu verhindern: Die Knechtschaft. (Luc de Clapiers Vauvenargues.)

Hartmut Pilch / 02.07.2016

Prinzipiell formuliert Frau Zieseler hier sehr eloquent und flüssig lesbar einige ehrenwerte Gedanken, die den Kern der Auseinandersetzungen unserer Zeit berühren.  Menschenrechte als globaler Standard einerseits, reale Gesellschaftsverträge und aus ihnen abgeleitete Bürgerrechte andererseits.  Ein Fehler liegt wohl darin, die Menschenrechte für eine irgendwie vorhandene Realität zu halten, die ein Gericht nur finden muss.  Im Fall von Mississipi musste das Mordverbot nicht gefunden sondern nur gegen lokale Omertá durchgesetzt werden.  Wenn es aber darum geht, dass Straßburg die Ausweisung eines Terroristenführers oder die Zurückweisung von Kähnen vor Libyen verbietet, haben wir es mit Rechtssetzung durch Gerichte zu tun, die sich damit über die Parlamente und Völker stellen.  Die Briten sind halt der Meinung, dass London als Gesetzgeber vertrauenswürdiger ist als Brüssel.  Es gibt einen grundlegenden Widerspruch zwischen der Anmaßung globaler Bürgerrechte (“Menschenrechte”) und dem Fehlen eines globalen Gesellschaftsvertrages.  Letztlich handelt es sich bei Frau Zieselers Artikel um den poetischen Ausdruck des Wunsches aller Erdenbürger nach der gemeinsamen Mama, die sie nährt, entlastet und entpolitisiert, indem sie ihnen die ein für alle mal zuverlässig ermittelten Menschenrechte zuteil werden lasst.  Dieser Wunsch liegt dem Großteil des politischen Diskurses der vermeintlich Gebildeten auch in der Brexit-Debatte zugrunde.  S. auch Ausführungen zu diesem Artikel in http://bayernistfrei.com/2016/07/02/kopftuch-vormarsch

Markus Schmidt / 02.07.2016

Fr. Zissler,  sie tun ja so, als würden wir uns ohne ihre geliebte EU alle zurückentwickeln. Wir werden wieder heidnischen Bräuchen nachgehen, auf Bäumen sitzen, und uns gegenseitig Tannzapfen an den Kopf schmeissen. So ihr Schreckenszenario. Nichts davon wird passieren. Das deutsche Grundgesetz, dass jedem Menschen die Menschenwürde garantiert, wurde bereits lange vor der EU in DE installiert.  Ich bin damals bereits, ohne die Erlaubnis aus Brüssel einzuholen,  nach Italien, Frankreich und Spanien verreist. Einen der Hauptgründe für den BREXIT sprechen sie nicht einmal an.  Der ISLAM, und all die Probleme die diese aggressive Ideologie verursacht, wird in ihrem Beitrag kein einziges mal erwähnt. Warum nicht Fr. Zissler?

Martin Johannes Marhoff / 02.07.2016

Sehr geehrte Frau Ziessler, auch eine Zentralregierung kann eine Diktatur sein. So etwas gab es schon häufiger.

Eva Ziessler / 02.07.2016

@ Stefan Fischer “Die Einlassungen zum europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind schon fast peinlich. Die Briten sind weiterhin Teil des Europarates (wie zB auch Russland), das hat mit der EU wenig zu tun. Auch gilt die Europäische Menschenrechtskonvention weiterhin, auch diese steht nicht zur Disposition und auch diese hat nichts mit der EU zu tun.  Die Briten genießen weiterhin den Schutz durch den EGMR.” Sehen Sie, Herr Fischer, genau hier liegt das Problem. Ich sprach vom EUGH, nicht vom EGMR. Der eine hat seinen Sitz in Luxemburg, der andere ist in Straßburg. Und Sie verstehen den Unterschied nicht, sind sich aber ganz sicher, dass Sie ihn verstanden haben, ich ihn hingegen nicht kenne. Tatsächlich ist es aber so, dass britische Bürger nach dem Brexit den EUGH nicht mehr werden anrufen können - und er ist das bei weitem wichtigere Gericht.

Anne Cejp / 01.07.2016

Liebe Frau Zieseler, 1. Sie wollen doch, um Gottes Willen, der britischen Bevölkerung nicht unterstellen, sie hätte sich für den Brexit entschieden, um in Zukunft ihre bösen Taten vertuschen zu können.  Gibt es tatsächlich in GB den Fall, dass Kinder einer religiösen Minderheit in ungeheizten Klassenräumen verbringen müssen oder ist das eine herbei phantasierte Vorstellung um den Brexit zu delegitimieren?  Ich denke, eine Verfassung und Rechtsnormen wird es in GB weiterhin geben. 2. Wenn nur eine Zentralregierung die “vernünftigen” Entscheidungen treffen kann, wie ist es möglich, dass nach 1933 die ungeheuerlichen Entscheidungen in Deutschland ausgerechnet von der “Zentralregierung” ausgingen? 3. Wenn die Freizügigkeit ein Menschenrecht wäre, müsste sie weltweit gelten.  Wie das praktisch zu verwirklichen wäre, ist schwer vorstellbar. 4. Das Gegenüberstellen von imaginären Prozentzahlen ist nicht relevant, da niemand weiß, welche Meinung die Nichtwähler haben. 5. Es ist bekannt, dass die Briten regelbewusst sind und “fair play” schätzen. Vielleicht liegt ihre Entscheidung nicht an Glühbirnen, sondern an der Einsicht, dass sie in einem unberechenbaren, sich nicht an Regeln haltenden Europa befinden. (Nicht etwa in einem Europa, das ihnen das Morden verbieten will.  

Ralf Schmode / 01.07.2016

Sehr geehrte Frau Ziessler, wohin die von Ihnen bejubelte “fast bedingungslose (–) Freizügigkeit von Personen in einem Rechtsraum, der 28 Staaten mit über 500 Millionen Einwohnern umfasst” führt, dürfen wir in Deutschland gerade genießen und bezahlen, in unvorstellbar viel klingender Münze und mit dem galoppierenden Verlust von Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und innerer Sicherheit. Ihr Traum impliziert nämlich die faktische (schlimm genug) oder juristische (noch viel schlimmer) Unmöglichkeit, selbst zu bestimmen, wer in dieses Land kommen darf und wer nicht. Vielleicht muss man Frau Merkel dankbar sein, dass sie den Briten diesen Anschauungsunterricht, was eine von allen rechtsstaatlichen Hemmungen befreite Politik für die Bürger bedeutet, rechtzeitig hat zukommen lassen. Sollte mich jemals der Drang packen, nach Paris oder London umzuziehen, würde ich geradezu darum bitten, von den französischen oder britischen Behörden intensiv befragt zu werden, was mein Begehr sei - vorausgesetzt natürlich, dieser Prozedur müsste sich jeder unterziehen, der die Grenze eines dieser Länder zu überschreiten beabsichtigt. Ach ja, seit dem September letzten Jahres soll die Anzahl Deutscher, die ihrem Land für immer den Rücken kehren, sprunghaft angestiegen sein, und deren Hauptziele sind eher nicht die Länder, in denen man Zuwanderungswilligen keine Fragen stellt, sondern die, die dies sehr ausführlich tun und ein robustes “nein!” auszusprechen und durchzusetzen bereit sind. Diese Länder werden Ihnen was husten bezüglich Ihrer Vorstellung von der Immigration als Menschenrecht, und sie fahren verdammt gut damit. Dass Sie dann auch noch im Handstreich die Nichtwähler des Brexit-Referendums für Ihre Position vereinnahmen (“Menge der wütenden 65 Prozent”) - geschenkt. Dergleichen Gejammer gehört mittlerweile zum eisernen Repertoire all derer, die mit knapper relativer Mehrheit irgendwo unterlegen sind. Symptom des Verfalls demokratischer Kultur bleibt es allemal. Es ist ja nett, dass Sie den Befürwortern des Brexit zwar ein bisschen Begriffsstutzigkeit unterstellen (”...falsch verstanden…”), aber wenigstens nicht, dass diese die Absicht hätten, “in Zukunft ungestraft Minderheiten im eigenen Land drangsalieren” zu wollen. Oder? Ihre länglichen Ausführungen über “Mississippi Burning” und die arg konstruierte Parallele zum Brexit-Votum hinterlassen da einen ziemlich üblen Nachgeschmack, denn Sie schlagen in dieselbe propagandistische Kerbe wir ungezählte Politiker und Medien des EU-gewogenen Mainstreams, bei denen die Behauptung, der Brexit sei ein Werk alter männlicher Rassisten mit geringer Bildung, zum Kern ihrer “Argumentation” geworden ist. Ich behaupte, dass das von Ihnen gezeichnete Bild der rassistischen, provinziellen südstaatlichen Kleingeister genau diese Assoziation bedienen soll. Das wohlfeile Beschimpfen der Brexit-Befürworter dürfte übrigens einer der Gründe für deren Erfolg und darüber hinaus das sicherste Mittel sein, um Frau Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich möglichst viele Wähler zuzutreiben.

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