Wolfram Weimer / 30.04.2016 / 11:50 / Foto: Lionel Allorge / 4 / Seite ausdrucken

Ein Schreckgespenst geht um in Berlin

Es ist eine politische Sensation in Österreich: In der Stichwahl um das Amt des Bundespräsidenten gibt es keinen Kandidaten der Volksparteien mehr. In Wien kann man studieren, was Deutschland bevorsteht. Die Kommentare reichen von “politisches Erdbeben” über “historischer Rechtsruck” bis “demokratisches Debakel”. Ein Debakel erleben vor allem die beiden Volksparteien in Österreich. Seit dem Zweiten Weltkrieg kam bisher jeder Bundespräsident von SPÖ oder ÖVP, beide Parteien holten bei jeder Präsidentenwahl mehr als 80 Prozent der Stimmen. Diesmal sind es gerade noch 22 Prozent – aus der drohenden Niederlage ist ein Zusammenbruch geworden.

Zum ungewöhnlichen Erfolg der FPÖ gehört ein Kuschel-Spitzenkandidat, der die bürgerliche Mitte für sich gewinnen kann. Dem 45 Jahre alten Norbert Hofer gelingt das geschmeidig. Er ist bekennender Katholik, vierfacher Vater, gelernter Flugingenieur, konziliant im Ton, das sanfte Gesicht seiner Partei – sogar als einfühlsamer Sozialexperte mit Schwerpunkt Behindertenpolitik kommt er daher. Sein Engagement für Behinderte beruht auf einem schweren Unfall beim Paragliden. 2003 stürzte Hofer in Stubenberg am See ab und verletzte sich nachhaltig an der Wirbelsäule. Ein inkomplettes Querschnittssyndrom zwang ihn zunächst in den Rollstuhl, heute läuft er am Stock.

Es ist diese Kombination aus eigener Verletzlichkeit, dem sanften Helferton und der gleichwohl harten Position in der Sache, die Hofer nun beste Chancen bescheren, in die Hofburg einzuziehen. Denn politisch ist er ein Rechtspopulist reinen Wassers. Die Flüchtlingsbewegung nennt er “Invasion von Muslimen”. Das Türkei-Abkommen lehnt er kategorisch ab. Er will massive Grenzsicherung, nicht nur am Brenner. Und die EU kann sich seiner Grundsatzkritik sicher sein. Hofer ist Schütze, Waffenbesitzer und Ehrenmitglied der deutschnationalen Burschenschaft Marko-Germania Pinkafeld. Die bezeichnet sich selbst als “national-freiheitlich” und bekennt sich zur “deutschen Kulturgemeinschaft”; ihre Schärpe, mit der auch Hofer schon öffentlich auftrat, hat die Farben Schwarz-Rot-Gold.

Wahrscheinlich ist er eher ein neo-konservativer Reformer

Für Linke ist Hofer ein halbbrauner Demokratiegefährder. Für Rechte ist er ein Retter der Nation. Wahrscheinlich ist er eher ein neo-konservativer Reformer. Mit Blick auf die Kompetenzen des Bundespräsidenten kündigte er in einer Fernsehdebatte provokant an: “Sie werden sich noch wundern, was alles gehen wird.”

Als ersten Schritt könnte Hofer, sobald er in der Hofburg sitzt, Kanzler Faymann und die ganze Regierung entlassen. Im Herbst gibt es Neuwahlen und Hofers FPÖ-Parteifreund Strache könnte neuer Bundeskanzler Österreichs werden. Das rechte Doppel in Hofburg und Kanzleramt wäre eine spektakuläre Zeitenwende für Österreich.

Doch die Wiener Wellen der politischen Erschütterung erreichen auch Berlin. “Was in Österreich passiert, das könnte auch uns in Deutschland bald drohen. Unsere Wählerbindung schwindet rapide”, warnen besorgte CDU-Abgeordnete mit Blick auf die Migrationspolitik Angela Merkels. In Berlin wird in den Parteizentralen bereits ängstlich gefragt: Löst sich die formierte Volksparteiendemokratie, die über Jahrzehnte stabil funktioniert hat, vielleicht in rascher Geschwindigkeit auf? Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien ist jedenfalls kein Rand-Protest-Phänomen mehr – es bringt die politischen Architekturen der Republiken zusehends ins Wanken. Und warum soll das, was dem Front National in Frankreich, der Fidesz in Ungarn, der SVP in der Schweiz oder der FPÖ in Österreich gelingt, nicht auch der AfD in Deutschland möglich sein?

Die Volksparteien sind europaweit in Existenznot

Inzwischen sind alle unmittelbaren Nachbarn Deutschlands von Polen bis zur Schweiz, von Dänemark über die Niederlanden bis Österreich im politischen Rechtsruck. Die Volksparteien der Mitte zittern europaweit in schierer Existenznot. “Die Presse” aus Wien kommentiert bereits: “Die Wahrheit für SPÖ und ÖVP lautet schlicht: Eure Zeit ist vorbei.” Die “Neue Zürcher Zeitung” nennt den Wahlausgang ein Fiasko für Volksparteien: “Die Sozialdemokraten und die Konservativen, die während Jahrzehnten politisch schalten und walten konnten, wie es ihnen beliebte, haben ihre Mehrheitsfähigkeit verloren.”

In den Parteizentralen von SPD und CDU ahnt man Ungemach. “Die Migrationskrise, die Terrorgefahren durch den Islamismus und die Ängste um die Identität der Gesellschaft bekommen wir politisch kaum in den Griff”, gesteht ein hochrangiger Sozialdemokrat. Zudem werden auch in Deutschland CDU und SPD zusehends als verkrustetes Machtkartell wahrgenommen. Politologen warnen die Volksparteien bereits: Die jüngsten Wahlergebnisse und die aktuellen Umfragen kämen einem Achsbruch gleich, denn die beiden Parteien verlören – genau wie in Österreich – zusehends ihre Autorität selbstverständlicher Macht und Mehrheit.

Die SPD leidet obendrein an einem Führungsproblem mit ihrem wankelmütigen Vorsitzenden Sigmar Gabriel. Die CDU wiederum ist unter Angela Merkel so weit nach links gerückt, dass sie ihre Kernwählerschaft verliert. Die Union hat derzeit keinen konservativen Flügel mehr, auch ihr wirtschaftsliberaler ist weitgehend verschwunden. Der Partei fehlen profilierte Köpfe wie Friedrich Merz oder Roland Koch. Einzig Wolfgang Bosbach ist wie ein letzter Herold des Traditionsbürgerlichen tapfer unterwegs und wird vom Kanzleramt nurmehr geduldet wie ein Hofnarr seiner Majestät. Die Deformierung der Partei hin zum reinen Kanzlerinnen-Wahlverein lässt in Berlin die Sorge wachsen, die CDU könne das Schicksal der ÖVP oder gar der italienischen Democrazia Cristiana erleiden. Die deutschen Parteistrategen können nun jedenfalls studieren, was in Österreich genau passiert. Den Namen Norbert Hofer jedenfalls merken sie sich im Adenauer-und Willy-Brandt-Haus bereits.

Dieser Text erschien zuerst auf The European hier

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Horst Jungsbluth / 01.05.2016

Wahrscheinlich haben die Bürger in Österreich das Lügen, die Skandale, das so tun, als ob und die oft bodenlose Dummheit der Politiker, die mit einer infamen Arroganz verdeckt wird, genau so satt, wie es in der Zwischenzeit viele in unserem eigenen Land haben. Die geifernde Hysterie angesichts des möglichen Erfolges von Norbert Hofer (FPÖ) zeigt, dass vieles mit dem sogenannten Rechtsstaat nicht stimmen kann, da selbst ein Bundespräsident wohl kaum die bestehenden Gesetze ändern oder gar brechen darf. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Unsere Politiker orientieren sich nicht an zwingende Vorschriften und auch nicht an die dringenden Erfordernisse, sondern agieren mit den Medien als sehr labile “Krücken” und mit der Justiz als “Netz und doppelten Boden” selbstherrlich am Volk vorbei, wobei man sogar vergisst, dass eigentlich nur die arbeitende und abgabenzahlende Bevölkerung dafür sorgt,, dass der “Laden” überhaupt am Leben gehalten werden kann.

Manfred Wolke / 30.04.2016

Danke für diesen Meinungsartikel. In einem Punkt bin ich allerdings anderer Meinung. So schnell geht das in Deutschland nicht mit der schnellen Abwahl der herrschenden Parteien. Dazu wird dieses Parteiensystem durch das Mediensystem zu gut und effizient abgeschirmt. Jeder, der sich mit einer kritischen Distanz Beiträge im Deutschlandfunk, DR Radio Kultur oder WDR5 anhört (Tip: Mal den täglichen Podcast durchgehen) und dazu noch ARD und ZDF weiß, was ich meine. Diese Medieninstitutionen sind praktisch komplett besetzt mit links orientierten Journalisten. Eine Vielfalt, wie man sie z.B. bei der BBC sieht und hört, gibt es nicht. Es gibt nur eine geduldete Grundhaltung - eine mitmenschliche, mitfühlende, die von nichts weniger beseelt ist als von der Rettung der Welt. 80 Jahre, nachdem die Deutschen die Rolle des personifizierten Bösen inne hatten, soll nun der Deutsche das personifizierte Gute sein. Zwischentöne gibt es für die Journalistenschaft nicht.

Thomas Weidner / 30.04.2016

Zwei Dinge stören mich: Einmal an Ihnen Ausführungen, Herr Weimer: Sie schreiben von “politischem Rechtsruck”. Ist das nicht schlicht falsch, wenn die etablierten Parteien nach links driften und der Souverän da bleiben möchte wo er ist - also die Linksdrift nicht mitmachen möchte? Zum zeiten stört mich an den Politikern eines gewaltig: Deren Einstellung zur Demokratie: Die Politiker respektive die politischen Parteien machen dem Souverän ein Angebot in Form eines Programmes. Wenn der Wähler das nicht will, dann hat die Partei eben Pech gehabt. DAS IST IN DER DEMOKRATIE SO. Wer das anders sieht - ist schlicht und einfach kein Demokrat.

Lubomir Rehak / 30.04.2016

Nach bekanntgabe der Ergebnisse in Österreich ist wie zu erwarten war, zu einer Welle Hasstiraden aus der linksextremen Seite. Laut wiener Zeitung Die Presse hat der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic auf Facebook so reagiert: “Diese Selbstgefälligkeit, diese moralische Selbstüberhöhung, diese selbstzweifelsfreie Gewaltsprache, mit der hier Menschen, die ich für intelligent halte, alle Wähler von Norbert Hofer in Bausch und Bogen als Nazis, Pack, Bagage und Abschaum niedermachen, ist mir zuwider. Nur weiter so. Irgendwann bringen wir uns gegenseitig um. Miteinander reden, auch wenn man unterschiedliche Standpunkte hat, scheint schon zu einer Obszönität herabgekommen zu sein.” Eine mutige und vernünftige Erklärung, eines Schriftstellers würdig. Leider eher ziemlich einsame.

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