Ein Prost auf die Prohibition

Von Christoph Lövenich.

Beim Fußballspiel Hannover 96 gegen Eintracht Braunschweig am Ostersamstag wurde im Stadion nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt – aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. „Alkohol ist bei öffentlichen Großveranstaltungen wie Fußballspielen eine Seuche“, urteilte bereits  im vergangene Jahr Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), „und deswegen ist es richtig, dass mein französischer Kollege ein Alkoholverbot für die Stadien ausgesprochen hat." Damit steht er in der langen Tradition derjenigen, die Fehlverhalten auf das Wirken einer Substanz zurückführen, statt die Verantwortung des Einzelnen ernst zu nehmen. Gewalt, Kriminalität, Familienelend oder auch Verkehrsunfälle werden pauschal auf den Alkohol geschoben.

Doch der behauptete kausale Zusammenhang von Suff und Verbrechen lässt sich nach wie vor nicht belegen. In den USA der vorletzten Jahrhundertwende engagierten sich christliche Frauenverbände für die Alkoholprohibition, weil sie sich nicht trauten, die häusliche Gewalt durch prügelnde Männer zu thematisieren. Und aus Schlägern wurden Opfer des Trunks, bemitleidenswerte hilflose Kreaturen statt selbstbestimmter Individuen, die man auf ihr Handeln ansprechen und sie dafür zur Verantwortung ziehen kann.

Heute sind es besinnungslose Jugendliche und Suchtklinikinsassen, die man den Sündenböcken Bier, Schnaps und Wein die Schuhe schiebt. Umgekehrt werden die positiven Wirkungen des Konsums unter den Tisch gekehrt und sollen in der Wahrnehmung möglichst überschattet werden vom Randphänomen des Alkoholismus, um dadurch der Alkoholbekämpfung Auftrieb zu verleihen.

Dem amerikanischen Abhängigkeitsexperten Stanton Peele zufolge führen aber gerade in „alkoholfreundlicheren“ Ländern, etwa im südlichen Europa, die kulturellen Akzeptanzmuster von Kindheit an zu einem kompetenteren und weniger gesundheitsgefährdenden Umgang mit alkoholischen Getränken. Preiserhöhungen führen denn auch nicht zu weniger Alkoholismus, vielmehr hatten Preissenkungen in skandinavischen Ländern weniger Probleme zur Folge. Die Dämonisierung des Alkohols, so sein Fazit, schadet mehr als sie (vermeintlichen) Nutzen bringt.

Paternalistische Vorschriften in der Tradition calvinistischer Vorfahren

In Deutschland lassen sich paternalistische Vorschriften aus der Heimat von de Maizières calvinistischen Vorfahren, wie beim Trinken in Fußballstadien, nicht so ohne weiteres dekretieren. Aber es zeigt sich eine ähnliche Tendenz: Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen und in Nahverkehrsmitteln, Verbote von Flatrate-Tarifen in Gaststätten, paternalistische Präventionskampagnen, Debatten über Null-Promille-Grenzen für Autofahrer oder Forderungen nach Maßnahmen gegen „Koma-Saufen“.

Immerhin sieht der Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg die Abschaffung einer landesweiten Einschränkung vor: Der Verkauf alkoholischer Getränke im Handel nach 22 Uhr, zum Beispiel an Tankstellen, soll wieder erlaubt werden. Als dies untersagt war, sei einer Studie zufolge dadurch die Zahl der Alkoholvergiftungen bei jungen Leuten um sieben Prozent zurückgegangen – kurioserweise waren aber bundesweit, also nicht nur im Ländle, 2013 die einschlägigen Krankenhausbehandlungen von Kindern und Jugendlichen um 13 Prozent gesunken. Davon abgesehen: Bei dem überwiegenden Teil dieser Krankenhauseinlieferungen handelte es sich um Vollräusche, die der Nachwuchs früher noch einfach zu Hause ausgeschlafen hat.

Weit unterhalb der Rauschschwelle liegen die als gesundheitlich unbedenklich empfohlenen Mengen reinen Alkohols. Solche Leitlinien existieren in vielen Ländern. Für Deutschland setzt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) das Limit bei täglich 20 Gramm für Männer fest, Frauen sollen sich mit zwölf Gramm begnügen. Selbst die puritanischen USA gewähren mit 28 Gramm eine größere Menge. In Spanien kommt es auf den Standort an: Für Kastilien mit der Hauptstadt Madrid gilt ein Wert von 30 Gramm, während für Katalanen (aus der Gegend um Barcelona) selbst 70 Gramm unproblematisch sind.

Der Volksgesundheits-Apparat in staatlichen Behörden und akademischen Elfenbeintürmen operiert ansonsten mit „Einheiten“ Alkohol, die ebenfalls umständliche Kalkulation erfordern. Dabei wird mit erhobenem Zeigefinger mitgeteilt, wie viel noch gerade so gestattet ist und mit ein paar Gläsern an einem Abend ist man schnell ein „Binge-Drinker“ (früher: jemand, der auch mal ein Gläschen trinkt), der nicht „risikoarm“ konsumiert. Trinkfreude soll durch Einheitenzählen ersetzt werden wie Essgenuss durch Kalorienzählen. Gefährlich ist nach dem Stand der Forschung aber die Totalabstinenz, da sie mit einem gegenüber maßvollen Konsumenten höheren Sterblichkeitsrisiko einhergeht. Demzufolge müssten konsequenterweise gesundheitlich erforderliche Alkohol-Mindestmengen festgelegt werden. Oder man sieht ein, dass mündige Menschen für die einfachen Dinge des Lebens keiner amtlichen Anleitung bedürfen.

Totales Werbe- und Sponsoring-Verbot für alkoholische Getränke?

Hinter dem Feldzug gegen das Trinken stehen oftmals Organisationen mit einschlägiger Kontinuität: Etwa der Guttempler-Orden, eine Abstinenzlersekte, die bereits ab dem 19. Jahrhundert in den USA tätig war und im Hier und Jetzt Einfluss auf die politischen Vorstellungen zum Beispiel der staatlich geförderten Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ausübt. Die DHS war vor mehreren Umetikettierungen ursprünglich als „Reichsstelle gegen die Alkohol- und Tabakgefahren“ unter dem Reichsgesundheitsführer Ende der 1930er Jahre gegründet worden.

Restriktive alkoholpolitische Vorhaben aus dieser Ecke fanden vor ein paar Jahren Unterstützung beim Drogen- und Suchtrat der Bundesregierung. International vernetzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diverse einschlägige Organisationen, wie die Guttempler, EUROCARE (mit Beteiligung der DHS und Subventionen der EU), Verbände gesundheitswirtschaftlicher Akteure und weitere Lobbyorganisationen. Dabei wird die Taktik fürs globale Vorgehen und in den einzelnen WHO-Mitgliedsstaaten beraten. Es werden Resolutionen gefasst, die politischen Druck auf die Nationalstaaten ausüben sollen.

Das totale Werbe- und Sponsoring-Verbot für alkoholische Getränke, ein Verbot des Automatenverkaufs, Warnhinweise auf Getränkebehältnissen und deutlich höhere – nach Alkoholgehalt ansteigende – „Spritpreise“ stehen in diesem Zusammenhang auf der Wunschliste. All dies erinnert an die Bekämpfung des Tabaks, dessen Erfolge Vorbildcharakter für die Trockenheitsapostel haben. Wie beim Tabak wird eine „Denormalisierungs“-Strategie gefahren, die zumindest bestimmte Konsumformen, letztlich aber auch den Genuss alkoholischer Getränke insgesamt, zum abweichenden, minderwertigen Verhalten deklassieren will.

Dabei geht der Alkoholkonsum seit Jahrzehnten zurück, auch bei Jugendlichen. Die Zahl der Verkehrstoten im mutmaßlichen Zusammenhang mit Alkoholkonsum sinkt ebenso seit Jahren. Nicht eine tatsächliche Problemlage, sondern der Hang zur immer kleinteiligeren Einmischung in das individuelle Privatleben leitet die Politik. Ohne Rücksicht auf nüchterne Fakten regiert man sich in einen Rausch der Bevormundung hinein.

Christoph Lövenich ist Redakteur bei Novo-Argumente, wo dieser Beitrag zuerst erschienen ist.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Hubert Paluch / 28.04.2017

Wer einmal Ultras und Hools im Fanbus begleitet oder im Regionalexpress in Aktion erlebt hat, denkt über Alkoholverbote im öffentlichen Raum vielleicht doch ein wenig anders und erkennt, dass eine kleine Gruppe schwer erziehbarer junger Männer ohne strikte Einschränkungen ihrer “Freiheiten” leider nicht sozial verträglich existieren kann. Dass das zu mindestens 50% genetisch determinierte menschliche Suchtverhalten verhaltenstherapeutisch schwer zu beeinflussen ist, schließt nicht aus, dass einige Maßnahmen doch einen positiven Effekt über die Jahrzehnte gezeigt haben. Studien legen so eine Korrelation für die Preisgestaltung, Altersgrenzen und Restriktionen beim Verkauf nahe.

Peter Volgnandt / 28.04.2017

Dazu passt auch, dass die Drogenbeauftragte der Regierung, Frau Morteler, den “Haustrunk” der Brauereien verbieten wollte, dies würde die Sucht begünstigen. Beim Haustrunk handelt es sich um ein steuerfreies Deputat für Mitarbeiter, die eine gewisse Menge an Getränken, es können auch nichtalkoholische sein, mit nach Hause nehmen können. Man muss dazu bemerken, dass in den meisten Brauereien während der Arbeitsziet Alkoholverbot besteht.

Ulrich Drübbisch / 28.04.2017

Genau diese moralische Bevormundung durch kirchlich-bürgerliche Tugendwächter hatten ausgerechnet in den USA nämlich der Unsitte des üppigen Alkoholgebruches zur Entstehung des Mafia-Wesens beigetragen. * Nach Beendigung der Prohibition musste sich diese Gangster-Clique dann eine neue Verdiensquelle besorgen: Heroin und Kokain. Danach konnte die 1st. Globalisierungswelle starten. Mal sehen, wann wir unter rot-schwarz-grüner-Regierung auch frei Haschisch rauchen(!!!) dürfen, jedoch Tabak und Schnaps in Flüsterclubs heimlich von der Mafia erweben können. *entgegen aller gängigen Meinungen waren die Amerikaner des 19Jhrts, ein sehr schluckfreudiges Völkchen und die Damen hatten auch ein Likör-Fläschen im Rüschenbeutelchen….

Wilfried Cremer / 28.04.2017

Wenn ein großer und wachsender Anteil der Bevölkerung Alkohol grundsätzlich verteufelt, bleibt auch das mit Sicherheit nicht ohne Auswirkungen.

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