Von Johannes Kaufmann.
„Fighting for peace is like fucking for verginity“. Dass dieser Satz amerikanischen und nicht israelischen Ursprungs ist, dürfte nicht überraschen. Als in den USA Transparente und Graffiti mit dem Spruch auftauchten, kämpfte Israel gerade ums Überleben. Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser erklärte in einer Ansprache, der Boden Palästinas werde beim Einmarsch der ägyptischen Armee „mit Blut gesättigt“. Am 27. Mai 1967 verkündete er: „Unser grundlegendes Ziel ist die Vernichtung Israels.“
Eine Woche später war Ägyptens Luftwaffe nur noch ein rauchender Trümmerhaufen – zerstört innerhalb weniger Stunden von israelischen Kampfflugzeugen. Flugzeuge vom Typ Mirage, Mystère, Vautour und Ouragan, die Schimon Peres in Frankreich gekauft hatte. Das gleichzeitige Streben nach militärischer Macht und Frieden war für Peres kein Widerspruch. Im Gegenteil, sein Motto war nicht das der Aktivisten gegen den Vietnamkrieg, sondern das des US-Präsidenten Theodore Roosevelt: „Speak softly and carry a big stick.“
Es war Peres, der Israels legendären politischen und militärischen Führern der Gründergeneration um David Ben Gurion, Mosche Dajan, Jizchak Rabin, Golda Meir und Ariel Scharon diesen Knüppel besorgte. Ben Gurion war der Vater des Staates Israel, Peres der Vater seiner Rüstungsindustrie. 1951, im Alter von gerade einmal 29 Jahren, wurde Peres Generaldirektor im Verteidigungsministerium. Um Israel Waffen zu beschaffen, verhandelte er nicht nur mit Frankreich, sondern ab 1957 auch mit Deutschland – keine 20 Jahre nachdem Deutsche den Teil seiner Familie, der in Polen geblieben war, ermordet hatten.
In seiner Biografie beschrieb Peres die Angst, die er verspürte, als sein Auto bei einem geheimen Besuch in Deutschland mit einer Panne liegenblieb. Für Israels Sicherheit war er bereit, diese Angst zu ertragen. Denn Peres war klar, dass im Nahen Osten Sicherheit und Frieden nur aus Stärke heraus entstehen können. Nach dem Sechstagekrieg von 1967 versuchte Ägypten noch ein letztes Mal, Israel militärisch zu besiegen. Der Versuch endete mit der Überquerung des Suez-Kanals durch israelische Truppen und den durch die militärische und politische Führung nur mühsam im Zaum gehaltenen Ambitionen Ariel Scharons, auf Kairo zu marschieren. Israels militärische Überlegenheit war eindeutig, wenige Jahre später unterschrieben Ägypten und Israel einen Friedensvertrag.
Ohne den großen Knüppel würde niemand zuhören
„Frieden schließt man mit Feinden und nicht mit Freunden“, hat Peres’ Weggefährte Jizchak Rabin gesagt. Dass die alten Feinde Ägypten und später Jordanien zum Frieden bereit waren, dazu hat Peres’ großer Knüppel beigetragen. Er gestattete es Peres zuletzt – als Außenminister in den Verhandlungen mit der PLO in Oslo und später als Staatspräsident – mit der sanften Stimme zu sprechen, für die er von Politikern auf der ganzen Welt geschätzt wurde. Zu ihnen zählte auch US-Präsident Barack Obama, der sich bei der Beerdigung in Jerusalem von seinem Freund verabschiedete. Zu den „Feinden“, die Peres die letzte Ehre erwiesen, gehörte der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stellte am Tag nach Peres‘ Tod bei einer Sondersitzung des Kabinetts fest: „Dies ist der erste Tag in der Geschichte des Staates Israel ohne Schimon Peres.“ Die sanfte Stimme ist verstummt, aber dieser Teil des Vermächtnisses von Israels neuntem Staatspräsidenten lebt im „Peres Center for Peace“ weiter, wie derzeit in vielen Nachrufen zu lesen ist.
Doch mindestens genauso wichtig ist der andere Teil seines Vermächtnisses: Die von Peres mitbegründete „Behörde für die Waffenentwicklung“ (RAFAEL) sorgt seit Jahrzehnten dafür, dass die Technologie des israelischen Militärs stets der seiner Konkurrenten mindestens um einen Schritt voraus ist. Das von RAFAEL entwickelte Abwehrsystem „Iron Dome“ schützt die israelische Bevölkerung vor den Kassam-Raketen und Mörsergranaten der Hamas. „David’s Sling“ soll notfalls Raketen mittlerer und großer Reichweite abfangen.
Ohne den großen Knüppel (und nun auch Schild) würde niemand in der Region zuhören, sollte Israel zu seinen kriegerischen Nachbarn oder den Palästinensern mit sanfter Stimme sprechen.
Johannes Kaufmann (Jahrgang 1981) arbeitet als Wissenschaftsredakteur bei der Braunschweiger Zeitung. Neben Wissenschaftsthemen von der Grünen Gentechnik über die Infektionsforschung bis zur Lebensmittelsicherheit beschäftigt er sich vor allem mit der Geschichte der israelischen Armee.