Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 19.11.2012 / 09:34 / 0 / Seite ausdrucken

Ein in der Wolle gefärbter Bilanzskandal der EU

Da die Europäische Union gerade Hunderte von Milliarden Euro für die Rettung der Währung des Kontinents locker macht, wäre es beruhigend zu wissen, dass man ihr das Geld auch anvertrauen kann. Dem vergangene Woche erschienenen Jahresbericht des Europäischen Rechnungshofs zufolge besteht jedoch wenig Grund zu solchem Optimismus.

Die Beurteilung der Rechnungsführung der EU durch den Rechnungshof ist alles andere als schmeichelhaft: „Der Hof gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die geprüften Überwachungs- und Kontrollsysteme die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der der Jahresrechnung zugrunde liegenden Zahlungen insgesamt bedingt wirksam gewährleisten.”

Das klingt vielleicht formal und harmlos - bis die Prüfer dann alle Themenkreise aufführen, die „in wesentlichem Ausmaß mit Fehlern behaftet“ sind: „Landwirtschaft: Marktstützung und Direktzahlungen“, „Entwicklung des ländlichen Raums, Umwelt, Fischerei und Gesundheit“, „Regionalpolitik, Energie und Verkehr“, „Beschäftigung und Soziales“ sowie „Forschung und andere interne Politikbereiche“. Anders ausgedrückt: im Prinzip überall dort, wo die EU Geld ausgibt.

Insgesamt schätzt der Rechnungshof die wahrscheinlichste Fehlerquote bei Zahlungen im Vorjahr auf 3,9 %, was die europäischen Steuerzahler rund 5,2 Mrd. € kostet. Auf Grund dieser Unregelmäßigkeiten lehnte der Rechnungshof die Erteilung einer formellen Zuverlässigkeitserklärung ab - wieder einmal.

Der Schuss vor den Bug, den der Hof mit Sitz in Luxemburg abgibt, ist inzwischen zu einem traurigen Ritual geworden. In den letzten 18 Jahren hat der Hof die EU-Kommission jedes Jahr ermahnt. Aber spielen nach all dieser Zeit seine Bekanntmachungen noch irgendeine Rolle?

Was eigentlich ein europaweiter Skandal sein sollte, schafft es kaum je in die Schlagzeilen – das ist schade, denn die Prüfung der EU durch den Rechnungshof hat eigentlich durchaus Unterhaltungswert. Erstaunlich nur, wie einfach es ist, unberechtigterweise an EU-Mittel zu kommen.

Die Beantragung von EU-Subventionen für nicht existierende Schafe ist eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, denn das scheint allgemein üblich zu sein. In einem im Bericht angegebenen Beispiel wurde einem Betriebsinhaber eine Sonderprämie für die Haltung von 150 Schafen gewährt.  Leider wurde bei einer genaueren Kontrolle festgestellt, dass er überhaupt keine Schafe hielt und die erhaltenen Zahlungen daher „vorschriftswidrig“ waren.

Ein weiteres vom Gerichtshof aufgeführtes Beispiel betraf Subventionen für Dauergrünflächen – wobei sich dann herausstellte, dass diese aus steinigem Boden bestanden oder mit dichtem Gestrüpp oder sogar mit dichtem Wald bewachsen waren. Dadurch waren sie nicht nur als Weideland ungeeignet, sondern kamen auch für Beihilfen nicht infrage. Dennoch waren diese Zahlungen problemlos erhältlich.

Natürlich gibt es im Landwirtschaftsbereich einfach deshalb reichlich Beispiele für Fehlbuchungen, weil er den größten Brocken der EU-Ausgaben ausmacht. In anderen Politikfeldern sieht es jedoch vielleicht sogar schlimmer aus. Im Europäischen Sozialfonds (ESF), dem Hauptinstrument der EU für Beschäftigungs- und Sozialpolitik, findet sich offenbar ebenfalls eine Fülle von Problemen.

Es mag bizarr klingen, aber als der ESF Schulungen bereitstellte, in denen Arbeitnehmer im Elektroniksektor neue Qualifikationen und Fachkenntnisse erwerben sollten, stellte der Rechnungshof fest, dass „viele Teilnehmer außerhalb des Elektroniksektors tätig waren und daher nicht für solche Schulungsmaßnahmen in Betracht kamen“. Erstaunlicherweise ging fast ein Drittel der Ausgaben des ESF für diese Schulungsprogramme an Teilnehmer, die gar nicht förderfähig waren. Offensichtlich waren die ESF-Mitarbeiter nicht so helle wie die angeblichen Elektriker, deren Schulung sie finanzierten.

Das waren nicht die einzigen Probleme, die in den Verfahren des ESF festgestellt wurden. Projektkosten wurden falsch berechnet, Personalkosten unberechtigt ausgezahlt, Compliance-Verfahren nicht eingehalten. Das bedeutet zwar nicht automatisch, dass in diesen Fällen Betrug oder Korruption im Spiel war, doch ebenso klar ist, dass EU-Mittel in höchstem Maße fahrlässig ausgegeben und verwaltet wurden.

Eine Gesamtfehlerquote bei Zahlungen von 3,9 Prozent klingt vielleicht nicht allzu dramatisch, doch der Rechnungshof legt auch eine alternative Ermittlung der Richtigkeit der EU-Rechnungsführung vor, die sich bemisst nach der „Anzahl der geprüften Vorgänge, die mit einem oder mehreren Fehlern behaftet waren“.

Nach diesem Kriterium betrug die „Fehlerhäufigkeit“ für alle EU-Ausgaben umwerfende 44 Prozent. Der am wenigen fehleranfällige Bereich war tatsächlich die Verwaltung, in der nur 7 Prozent der Vorgänge mit Fehlern behaftet waren. Im Bereich Regionalpolitik, Energie und Verkehr dagegen lag der Anteil bei 59 Prozent.

Gerechterweise muss man sagen, dass die EU für die von ihrem Rechnungshof festgestellten Fehler nicht allein verantwortlich ist. Rund vier Fünftel aller EU-Ausgaben werden von einzelstaatlichen Behörden verwaltet. Wenn auf nationaler Ebene Fehler gemacht oder überflüssige Ausgaben getätigt werden, so tragen zunächst die Mitgliedstaaten die Verantwortung für eine falsche oder „unregelmäßige“ Mittelverwendung. Dennoch hätte man nach jahrzehntelanger Erfahrung mit laxen Vorgehensweisen auf nationaler Ebene erwarten können, dass die EU selbst mehr Kontrolle ausübt.

Das alljährliche Rechnungsführungsdebakel ist symptomatisch für den Zustand der EU insgesamt. Irgendwo zwischen der Kommission in Brüssel und den fiktiven Schafen in Spanien reißt die Kette der Rechenschaftspflicht. Die EU-Politik mag wohlmeinend und voller guter Absichten sein, solange jedoch eine verantwortungsbewusste Governance auf dem Kontinent nur sporadisch betrieben wird, funktioniert das System nicht so gut, wie es Europas Steuerzahler mit Recht erwarten dürfen.

Schulungen für nicht förderfähige Arbeitskräfte, Beanspruchung von Subventionen für Dauergrünland, das in Wirklichkeit dichte Wälder oder steiniges Buschland sind, oder einfach die Nichteinhaltung von Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe beweisen sämtlich die gleiche Missachtung von Vorschriften und Gesetzen, die das gesamte Europa-Gebäude belastet. Die Europäische Währungsunion mit ihren Verschuldungs- und Defizitregelungen, die ignoriert werden, oder ihrem No-Bailout-Grundsatz erinnert laufend an dieses Problem.

Nach 18 Jahren vernichtender Berichte des Rechnungshofes ist schwer zu sagen, was schlimmer ist: Die ständigen Unregelmäßigkeiten der EU bei der Vergabe ihrer Mittel? Oder die Tatsache, dass dieser Zustand so normal geworden ist, dass kaum jemand Notiz davon nimmt?

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘A dyed-in-the-wool EU accounts scandal’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 15. November 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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