Wenn ich spätabends vor dem Schlafengehen auf die Toilette gehe, höre ich durch das offene Fenster häufig aus der Ferne das Tatütata eines Streifenwagens. Und wenn ich nachts mal aufwache, höre ich es auch. Am nächsten Morgen, wenn ich ausgeschlafen und gut gelaunt aus dem Fenster schaue, ebenfalls. Und tagsüber natürlich sowieso. Die Polizei ist Tag und Nacht im Einsatz. Manchmal geht auch ein Polizistenpärchen durch unsere Straße, klingelt an jedem Haus und gibt den Leuten Tipps, wie sie sich am besten vor Einbrechern schützen. Den größten Teil der polizeilichen Arbeit bekommt man als normaler Bürger nur selten mit. Und um es gleich klar zu stellen: Wenn ich Polizisten sage, meine ich Männer und Frauen bei der Polizei.
Seit ich als 23jähriger Student eine Woche bei der Freiburger Kripo hospitiert habe (im Rahmen der heute für Jurastudenten vorgeschriebenen dreimonatigen „praktischen Studienzeit“ , bei der die Polizei aber meines Wissens leider nicht mehr mitmacht) habe ich ein Herz für Kripo, Schupo, Wapo und Bepo. Bis zu unserem Umzug von Freiburg nach Stuttgart 1969 hatte ich fünf Jahre lang in der Schießabteilung des Polizeisportvereins Kontakt mit Polizisten. Bei meinem Weggang sagte einer zu mir: „Wenn Sie je mal im Innenministerium in Stuttgart landen, denken Sie an uns.“
Er hatte dabei die damals erbarmungswürdige Ausstattung der Polizei im Auge. Bei der Nachtstreife, auf der ich zwei Kripobeamte begleitete, hielt der Beifahrer während der Fahrt ständig die Tür des hochbetagten VW-Käfers fest, weil sie andernfalls aufzugehen drohte. Und nach einem Banküberfall, bei dem die Täter mit einem Porsche entkamen, aber ein Walkie-Talkie zurückließen, kam dieses – vorschriftswidrig – nicht in die Asservatenkammer, sondern wurde im Einsatz benutzt. Als ich dann Ende 1982 tatsächlich in der Polizeiabteilung des Innenministeriums (dem Landespolizeipräsidium) landete, hatte sich, vor allem unter Innenminister Lothar Späth, die Situation bereits grundlegend verbessert. In den gut fünfeinhalb Jahren meiner Tätigkeit als Referatsleiter und Stellvertreter des Landeskriminaldirektors lernte ich die Polizei von innen kennen und (noch mehr) schätzen. Diese Hochachtung habe ich bis heute bewahrt. Ähnlich geht es mir mit Altenpflegerinnen und Altenpflegern – aber das steht auf einem anderen Blatt.
Innere Sicherheit – ein politisches Schlagwort, das nach jedem spektakulären Verbrechen, nach jedem Terroranschlag, vor allem aber vor einer Wahl die Schlagzeilen dominiert. Innere Sicherheit, das sind die 220.813 Polizisten in den 16 Bundesländern und die 33.267 Bundespolizisten , macht zusammen 253.580. Das ist beinahe der Stand von 1999: 252.230. Jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, sollen es wieder mehr werden: rund 15.000, wenn es nach der Union geht.
Doch was sagen solche Zahlen über die Befindlichkeit des einzelnen Beamten im täglichen Dienst? Auch wenn uns die zahllosen Krimis manchmal ein anderes Bild vermitteln: Polizisten sind Menschen wie Sie und ich, die Tag und Nacht für unsere innere Sicherheit sorgen und dabei ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren (die Soldaten tun das gleiche für unsere äußere Sicherheit). „Die erste Leiche vergisst man nicht“ – egal ob es sich um einen Suizid, einen Mord oder einen Verkehrsunfall handelt. Unter diesem Titel erzählen Polizisten (vier Frauen sind auch darunter) über ihren Berufsalltag (Piper 2005, herausgegeben von Kriminalhauptkommissar Volker Uhl). Nach einem unnatürlichen Todesfall in seinen verschiedenen Erscheinungsformen kommt stets noch die schreckliche Aufgabe, die Angehörigen zu unterrichten.
„Die Polizei, dein Feind und Helfer“
Aber es sind nicht nur die Gefahren und die grauenvollen Anblicke, die unsere „Ordnungshüter“ auf sich nehmen. Es ist auch die zunehmende Feindseligkeit, die ihnen nicht selten in Alltagssituationen begegnet. Wobei „Bulle“ mittlerweile von der Beleidigung beinahe zum Ehrentitel avanciert ist („Scheißbulle“ und „Bullenschwein“ fallen natürlich nicht darunter): Der Bund Deutscher Kriminalbeamter vergibt jährlich den BDK-Verdienstorden „Bul le mérite“. Erster Preisträger war übrigens 1975 der „Fernsehfahnder“ Eduard Zimmermann (Aktenzeichen XY...ungelöst). Zwar sind die ganz großen Einsätze wie „Wackersdorf“ (Wiederaufbereitungsanlage), „Startbahn West“ (Ffm.) oder „Gorleben“ (Atommülllager) vorbei, bei denen Polizisten auf übelste Weise beschimpft, bespuckt, bedroht und auch angegriffen wurden.
Dafür spielt sich Vergleichbares jetzt zunehmend im Alltag ob, wo sich eine Streife schon mal von ein paar Dutzend feindseligen „Bürgern“ umringt sieht, von so genannten No-go-Areas ganz abgesehen (es ist sicher kein Zufall, dass dieser Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch entlehnt wurde). Zeit-Online fragt verständnisvoll: „Doch wenn es in der Bevölkerung tatsächlich wachsenden Widerstand gegen die Polizei gibt, stellt sich die Frage: Was löst ihn aus?“ Die Antwort ergibt sich aus der Überschrift: „Die Polizei, dein Feind und Helfer“.
Wenn man zu alledem noch die mäßige Bezahlung, den Überstundenberg und die nicht selten erbärmlichen Räumlichkeiten nimmt, in denen Polizisten arbeiten müssen, dann wundert es mich immer wieder, dass sich noch Männer und Frauen finden, die sich für diesen Beruf entscheiden. Da tut es trotz satirischer Übertreibung gut, wenn man Polizistensohn Jan Böhmermann rappen hört und sieht: „Ich hab Polizei“.
Ein Dank an alle Polizisten!