Vera Lengsfeld / 29.04.2018 / 17:00 / 14 / Seite ausdrucken

Ein furchtbar irrender Jurist

Nachdem viele Juristen die „Gemeinsame Erklärung 2018“ unterschrieben hatten, sah der vormalige Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, Wolfgang Ewer, dringenden Handlungsbedarf. Er griff zur Feder und ließ das Ergebnis seiner Phantasien als Editorial in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 17/2018) unter dem Titel „Die zweite Verantwortung“ veröffentlichen. „Die dritte Schuld“ wäre passender gewesen.

Er zitiert eingangs die "Erklärung 2018" und behauptet:

„Zur These, dass die Zulassung der massenhaften Einreise von Flüchtenden illegal sein soll, reicht der Hinweis, dass das BVerfG eine gegen diese Verfahrensweise gerichtete Verfassungsbeschwerde durch den Beschluss von 10.2.2016 nicht zur Entscheidung angenommen hat.“

Dass dies ohne Begründung geschah, fügt Ewer nicht hinzu. Das von Ewer als zweiten „Beweis“ herangezogene EuGH-Urteil beschäftigt sich lediglich mit den europäischen Aspekten der Massenaufnahme von „Flüchtlingen“, nicht mit der Gesetzmäßigkeit an der deutschen Grenze. Last but not least, wirft Ewer den Unterzeichnern vor, nicht zwischen Einwanderern und Flüchtlingen unterscheiden zu können. Ein Defizit, das auf ihn zutrifft, denn wenn die erdrückende Mehrheit der Ankömmlinge weder einen Asyl- noch einen Flüchtlingsstatus anerkannt bekommen hat, sind es eben keine Flüchtlinge. Ein Jurist sollte das eigentlich wissen.

Im zweiten Teil seiner Ausführungen wird es unappetitlich. Ewer führt angebliche Vorkommnisse auf, die von den Unterzeichnern mit ihrer Unterschrift gebilligt wurden. Nur ein Beispiel: Er zitiert einen Redner, der 2015 bei einem „Aufmarsch“ in Dresden gesagt haben soll: „Es gäbe natürlich andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider außer Betrieb.“ Dieses „Zitat“ war eine Zeitungsente und musste von dutzenden Medien richtiggestellt werden, was der Anwalt Joachim Steinhöfel für den Redner gerichtlich erstritt. Dass ein Top-Jurist eine erwiesene Falschmeldung in einem juristischen Fachblatt als Argumentationshilfe präsentiert, ist mehr als merkwürdig. Mit Fahrlässigkeit kann das nicht mehr entschuldigt werden.

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Gertraude Wenz / 29.04.2018

Danke für Ihr unermüdliches Engagement, liebe Frau Lengsfeld! Die Reaktionen auf die Erklärung 2018 nehmen ja inzwischen groteske Züge an und erinnern an absurdes Theater. Das hat ganz eindeutig damit zu tun, dass den Protagonisten der sich damit auf den Fuß Getretenen die Argumente fehlen. Ja, weit und breit kein einziges überzeugendes Gegenargument. Da gerät der sich angegriffen Fühlende in Panik, wird kopflos und greift letztlich gern zu unlauteren Mitteln, zu Verleumdung und Diffamierung, Damit entlarvt er sich dann selbst. Ich wundere mich nur, dass unsere vermeintliche Intelligenzia in so großer Mehrheit so verblendet ist oder so opportunistisch, wer weiß.

Paul Siemons / 29.04.2018

Es ist Methode. Besonders beliebt auf Seiten derer, die sich so lauthals über Fakenews beschweren.

Hubert Bauer / 29.04.2018

Ich bin kein Jurist, aber wohl ein leicht überdurchschnittlich Gebildeter mit gesunden Gerechtigkeitsempfinden. Die Gesetze und die tatsächliche Rechtsdurchsetzung sollten in einem ideologiefreien Rechtstaat eher von Leuten wie mir als von Prädikatsjuristen nachvollziehbar sein. Und ich verstehe nicht, warum das BAMF fein säuberlich nach Recht und Gesetz die Menschen, die zu uns kommen, in Asylbewerber nach GG, nach AsylG, nach subsidiär Geschützten usw. einordnet, dann langwierige und teure Gerichtsverfahren geführt werden, aber im Ergebnis fast Alle bleiben dürfen. Und ich verstehe nicht, warum man ohne Pass nach Deutschland darf, aber fast alle anderen Länder der Welt, ihre eigenen Bürger ohne Pass nicht mehr zurücknehmen. Und warum zahlen wir mehr Geld für illegal bei uns eingereiste junge gesunde Männer, als zu Bekämpfung des Hungers auf der ganzen Welt notwendig wäre? Haben die Menschen, die nicht zu uns “geflohen” sind weniger Menschenwürde? Warum ist es für hochqualifizierte Chinesen, Inder usw. schwieriger eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in Deutschland zu bekommen als für Analphabeten aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten? Für mich sind das nicht nachvollziehbare Widersprüche und die Rechtsordnung in einem ideologiefreien Rechtstaat sollte meines Erachtens widerspruchsfrei sein. Auch wenn eine Rechtsordnung nie ganz widerspruchsfrei sein kann, sollten Prädikatsjuristen eher daran arbeiten, als Wortklauberei und Paragrafenreiterei bei Petitionen zu betreiben.

Gottfried Meier / 29.04.2018

Ob sich dieser Jurist irrt, ist für mich nebensächlich. Dass er irrt, glaube ich noch nicht einmal.  Mich würde viel mehr   seine Intention interessieren und das was er damit erreichen will.

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