Von Thomas Rietzschel.
In der Uniform eines preußischen Hauptmanns, die er zuvor beim Trödler erworben hatte, betrat der Schuster Friedrich Wilhelm Voigt am 16. Oktober 1906 das Rathaus von Köpenick, damals noch ein Vorort der Hauptstadt Berlin. Die Beamten trauten dem Anschein der militärischen Obrigkeit. Sie zitterten vor dem Kostüm.
Ohne nach einer Legitimation des vermeintlichen Offiziers oder gar nach einer schriftlichen Legitimation zu fragen, ließ sich der Bürgermeister „im Namen Seiner Majestät“ verhaften, während der Hochstapler die Stadtkasse an sich nahm und schleunigst das Weite suchte. Als der Schwindel schließlich aufflog, das Bubenstück ruchbar wurde, schütteten sich die Leute vor Lachen aus. Die schlichte Verkleidung eines armen Schluckers hatte genügt, die preußische Staatsmoral der Lächerlichkeit preiszugeben.
Dass es auch umgekehrt geht, dass einer nur die Uniform der Bundeswehr ablegen und so tun muss, als sei er auf der Flucht, um beim Staat abzukassieren, haben wir in der abgelaufenen Woche erfahren. Die Geschichte des Oberleutnants Franco A. kann es durchaus mit der des Hauptmanns von Köpenick aufnehmen.
Nachdem sich der aktive Offizier, nun seinerseits zivil verkleidet, am 29. Dezember 2015 in Bayern als syrischer Flüchtling hatte registrieren lassen, ein paar Brocken Arabisch stammelte, so tat, als verstehe er kein Wort Deutsch, obwohl er Französisch mit deutschem Akzent sprach, wurde er umgehend als „Asylsuchender“ in die nächste „Erstaufnahmeeinrichtung“ eingewiesen.
David Benjamin klingt echt arabisch, oder?
Dass er, nunmehr erfasst unter dem Namen David Benjamin, dort gelegentlich ausrückte, weil er als Franco A. nebenher noch Dienst in der Kaserne tun musste, fiel ebensowenig auf wie das Fehlen jeglicher Papiere, die seine syrische Herkunft hätten belegen können. Ihr Verlust während der vorgeblichen Flucht verstand sich sozusagen von selbst. Den Beamten genügte, was er erzählte - von der Erschießung seines Vaters durch den IS und von einem Gemüsehandel, den er in Damaskus betrieben haben wollte.
Das Verfahren lief wie geschmiert. Am 12. Mai 2016 stellte der Teilzeit-Flüchtling einen regulären Asylantrag. Sechs Monate Später, am 7. November 2016, wurde er abermals zu den Beweggründen seiner Flucht befragt. Und wieder sahen die Mitarbeiter des BAMF, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, keinen Grund, dem Asylsuchenden zu misstrauen. Das schwere Schicksal, von dem sie hörten, untersagte jeglichen Zweifel. Schließlich hatte die Kanzlerin verkündet, dass sich ihr Deutschland durch vorbehaltlose Hilfsbereitschaft auszuzeichnen habe. Die Sachbearbeiter kuschten vor Merkels Staatsmoral wie die Beamten im Köpenicker Rathaus vor der preußischen Uniform seinerzeit.
Freilich ist der Schuster Voigt damals auch ein armer Teufel gewesen, der aus der Not heraus zum Betrüger wurde; einer, der sich die Butter aufs Brot nicht leisten konnte. Das unterscheidet den falschen Hauptmann wesentlich von dem falschen Flüchtling unserer Tage. Immerhin steht dieser im Rang eines Oberleutnants bei der Bundeswehr, gewiss kein ganz schlecht bezahlter Posten. Auf die materiellen Zuwendungen, die jedem anerkannten Flüchtling zustehen, dürfte der Offizier kaum angewiesen gewesen sein, obwohl auch das nicht völlig auszuschließen ist, da sich der mittlerweile Verhaftete bisher beharrlich ausschweigt.
Wenn einer vom anderen abschreibt
Was wir über den Fall wissen, beruht auf Gerüchten und Vermutungen, die einer vom anderen abschreibt, die nachgeplappert werden, ohne dass sie sich belegen ließen. Alles, was wir zu lesen und zu hören bekommen, entspricht allenfalls den geläufigen Denkmustern einer geistig uniformierten Medienlandschaft: Der Mann „soll“ einen „Anschlag“ geplant und „Todeslisten“ geführt haben, will BILD von einem „politischen Aktivisten“ erfahren haben, noch bevor es der FOCUS von BILD abschrieb. Eine „rechtsradikale Gesinnung“ wird landauf, landab vermutet.
SPIEGEL ONLINE, immer an vorderster Front, wenn es um das Aufspüren derartiger Umtriebe geht, spricht bereits von „der Vorbereitung zu einer schweren staatsgefährdenden Straftat“. Dafür habe sich der Terrorverdächtige“ eine Pistole besorgt, mit der er am Wiener Flughafen „erwischt“ wurde. Bei näherem Hinsehen erwies sich die Waffe allerdings als ein Modell aus dem Zweiten Weltkrieg, ein bei Sammlern beliebtes Objekt. Indes, auch die österreichische Kaiserin Sissi wurde 1898 von dem italienischen Anarchisten Luigi Lucheni mit einer verrosteten Feile erstochen. Insofern mag durchaus Gefahr im Verzug gewesen sein.
Nimmt man das alles zusammen, so hat sich Franco A. als Flüchtling aus Deutschland nach Deutschland eingeschlichen, um als Asylant ein Attentat zu begehen, das dann wiederum den Flüchtlingen zur Last gelegt worden wäre. Darauf muss man erst einmal kommen, was nicht heißen soll, dass es nicht so gewesen sein könnte. Ebenso gut könnte es aber sein, dass es sich bei all den Vermutungen um einen großen Mumpitz handelt, der über das Wesentliche hinwegtäuschen soll.
Nichts Genaues weiß man nicht
Denn das Einzige, was wir bis heute verbindlich feststellen können, ist doch die Tatsache, dass sich der deutsche Staat wieder einmal von einem Schwindler hat vorführen lassen. Kein Dramatiker, kein Zuckmayer, kein Brecht, kein Sternheim hätte sich eine solche Satire auf den Untertanengeist in der merkelschen Flüchtlingsrepublik ausdenken können.
Ehedem, als herauskam, wie der Schuster Voigt die Staatsdiener zum Narren gehalten hat, quoll die Presse noch über vor höhnischen Kommentaren. Man amüsierte sich köstlich über den „Räuberhauptmann“. Sogar der Kaiser besaß Humor genug, über die Blamage zu lachen. „Da kann man sehen“, soll er gesagt haben, „was Disziplin heißt. Kein Volk der Erde macht uns das nach.“ Und selbst wenn die Worte nicht genauso gefallen sein sollten, ist doch belegt, dass Wilhelm II. seinen „Hauptmann von Köpenick“ in einem Gespräch mit dem Korrespondenten der Daily Mail als „genialen Kerl“ rühmte.
Nun wäre es sicher vermessen, würden wir erwarten, dass Angela Merkel später einmal Ähnliches über den Oberleutnant Franco A. sagt. Gleichwohl ist ihm ein Streich gelungen, der die Macht bloßstellt, der offenbart, wie es hierzulande drunter und drüber geht. Erst werden die Bürger angefeuert, die Flüchtlinge mit Blumen und abgetragenen Kleidern zu begrüßen, "Willkommenskultur“ zu zeigen; dann sagt die Kanzlerin, es sei ihr doch „egal“, wenn sie Schuld an der massenhaften Zuwanderung trage; und nun sucht die Bundesregierung „Freiwillige“, die helfen sollen, die Zuwanderer wieder abzuschieben.
Event folgt auf Event. Längst schon leben wir in einer Spaßgesellschaft, in der es nichts mehr zu lachen gibt. Und nur ein falscher Flüchtling kann noch einen echten Skandal provozieren.