Ein erfülltes Leben gibt es nur mit Wahrhaftigkeit

Ich werde oft gefragt, ob man versuchen sollte, seine „wahre Leidenschaft“ zu finden, oder ob das bloß ein Klischee ist. Nun, es ist auf jeden Fall ein Klischee. Es gehört zu den Vorstellungen, die mir bei esoterischen Denkern ziemlich auf die Nerven gehen. Tatsächlich kann man jedoch herausfinden, was einen anzieht und was einem ermöglichen könnte, ein erfülltes Leben zu führen – trotz des Leids, das zum Leben dazugehört.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich selbst zu beobachten und herauszufinden, in welchen Tätigkeiten man vollkommen aufgeht. Davon muss man Notiz nehmen. Es ist in gewisser Weise etwas, das mit einem passiert, und nichts, das man aktiv tut. Man muss darauf achten, in welchen Situationen man vollkommen in einer Sache aufgeht. Und dann muss man daran arbeiten, die Zeit auszubauen, die man in solchen Situationen verbringt.

Natürlich gibt es auch moralische Erwägungen. Ein Mensch, der durch das Quälen kleiner Tiere in einen glücksseligen Zustand versetzt wird, sollte diese Tätigkeit wohl nicht weiterverfolgen. Wer sein Leben darauf ausrichtet, Situationen vollkommener Vertiefung zu maximieren, muss also noch andere Dinge beachten. Dazu gehört auch, sich selbst klar zu machen, wer man ist und was man tut. Daher sollte man unbedingt damit aufhören, sich selbst und andere Menschen zu täuschen.

Erfüllung ist also mit dem Streben nach Wahrheit verbunden

Denn wer auf Täuschung setzt, macht sich krank. Genauer: Er schädigt die Struktur seines Nervensystems und kann dessen Signalen dann nicht mehr vertrauen. Wer herausfinden möchte, welche Tätigkeiten ihn glücklich machen, und sein Leben danach ausrichten will, muss sich auf sein Nervensystem verlassen können. Er sollte es daher von frei von Müll halten, der seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen könnte.

Das Streben nach Erfüllung ist also mit dem Streben nach Wahrheit verbunden. Man sollte die Wahrheit zum höchsten Wert machen, sonst kann man sich nicht auf sich selbst als Führer verlassen. Die katholische Theologie setzt sich schon länger mit diesem Problem auseinander. Katholiken glauben, vereinfacht gesagt, dass die Menschen sich bei Fragen von Gut und Böse nicht auf ihre Instinkte verlassen können. Sie sind voll von Sünde und brauchen daher die Kirche und die Priesterschaft als Vermittler.

Natürlich kann man diese Sichtweise in Frage stellen, und genau das haben Protestanten traditionell getan. Aber man muss es den Katholiken lassen: Menschen sind nicht von Natur aus rein. Ihr klarer Blick wird nicht nur durch gesellschaftliche Faktoren getrübt. Individuelle Menschen können unglaublich korrupt sein. Sie brauchen die Gesellschaft als Quelle von Wertvorstellungen. Wer zum Gestalter seines Lebens werden will, muss also zuerst dafür sorgen, dass er sich auf seine eigenen Einschätzungen verlassen kann.

Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus einer Fragestunde auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson. Hier geht’s zum Original-Video.

Foto: jordanbpeterson.com

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Werner Arning / 12.04.2018

Sich auf Wahrheitssuche (oder Entdeckung des Selbst) zu begeben, kann zu einer nervenaufreibenden, aber spannenden Sache werden. Vielleicht ist es wie die Suche nach dem Goldschatz. Zunächst muss man sich mit dem Finden winziger Stückchen zufrieden geben. Doch der wahre Goldsucher ist von einer Sucht gepackt, er verfolgt ein Ziel, ohne genau zu wissen, worin es besteht. Und er nimmt Strapazen und Rückschläge in Kauf. Er ist dankbar für jeden Hinweis, doch überlässt er seine Suche niemals einer weltlichen Autorität und käme sie noch so kirchlich daher. Er beschäftigt er sich mit Dingen, die gar nichts mit Wahrheits- oder Selbsterkenntnis zu tun haben, oder mit der Entdeckung des Gesuchten. Zumindest auf den ersten Blick nicht, handelt es sich doch um recht Banales, der Gedanke an Gold scheint weit entfernt. Und doch kommt er dem Goldschatz immer näher. Es muss ihm nur bewusst werden, er muss lernen zu beobachten. Und er darf keinem von ihm selber oder anderen festgelegten Bild entsprechen wollen. Dann können wahre Wunder zu Tage kommen.

Frank Meier / 12.04.2018

Die “Gesellschaft als Quelle der Wertvorstellungen”? Von der Antike bis zur Gegenwart gab und gibt es Gesellschaften, die es als gerechtfertigt ansahen, Menschen als Sklaven zu halten oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu töten. Und die Kirche soll mir als Maßstab dienen? Jene Kirche, die einst Menschen folterte, weil sie das heliozentrische Weltbild vertraten?

Helmut Driesel / 12.04.2018

Was soll man davon halten, was ein esoterischer, amerikanisch geprägter Denker so sagt? Alt-Papst Benedict behauptete, der Mensch besitze keine Wahrheit, eher besäße die Wahrheit den Menschen. Darüber kann man sehr lange nachsinnen. Es ist weise, obwohl metaphysisch. Die Menschen leben an ihren Wünschen entlang. Nicht an den sie betreffenden Wahrheiten. Die nehmen sie nur an, wenn es im Konfliktfall keine andere Wahl gibt. Auch die katholischen Würdenträger wollen im Wohlstand möglichst alt werden. Die Einladung, als nächster Messias ans Kreuz genagelt zu werden, würden sie dankend ablehnen.

Helge-Rainer Decke / 12.04.2018

Die Bergpredigt, der kategorische Imperativ Kants, Goethes „Westöstlicher Divan“, Schillers „Das Ideal und das Leben“ Adornos „minima moralia“, sind Prämissen vernunftbegabten Tuns oder Unterlassens. Allein, der Euphemismus vom „mundus vult decipi, ergo decipiatur“, beherrscht den Zeitgeist. Fake News wurde Methode. Sie vergewaltigt erfolgreich die Wahrheit.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jordan B. Peterson, Gastautor / 08.11.2023 / 11:00 / 15

112-Peterson: Leben ohne Vaterfigur

Ich wurde gefragt, was ich raten würde, wenn man seinen eigenen Vater nicht aus dem „Bauch des Wals befreien kann“ (wie in der Geschichte von…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 31.05.2023 / 10:30 / 26

112-Peterson: Auch Frauen sind grausam

Wir reden viel über toxische Männlichkeit, vor allem in Gestalt körperlicher Gewalt. Was ist das weibliche Gegenstück dazu? Ausgrenzung und Rufmord. Als ich mich mit…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 19.04.2023 / 11:00 / 8

112-Peterson: Schule ist nicht auf Jungs ausgerichtet

Die Schule ist nicht besonders gut auf Jungs ausgerichtet. Sie sind nicht dafür geschaffen, sieben Stunden am Tag still zu sitzen und sich zu Tode…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 28.12.2022 / 10:00 / 4

112-Peterson: Der Feind in uns

Wer ist hier der Feind? Die Schlange in unserem Herzen? Die Lüge auf unserer Zunge? Die Arroganz unseres Intellekts? Die Feigheit unserer Weigerung zu sehen?…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 21.12.2022 / 10:00 / 25

112-Peterson: Die israelische Frage

Jordan B. Peterson sprach mit Benjamin Netanyahu über das Existenzrecht Israels. Im Folgenden geben wir einen Auszug aus einem Gespräch zwischen Jordan B. Peterson und…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 27.07.2022 / 10:00 / 52

112-Peterson: Der Westen spielt mit dem Feuer

Was würde es für die Russen bedeuten, zu verlieren? Glauben Sie, Russland wird einfach klein beigeben? Und wir werden nicht ebenso mitverlieren? Das wird nicht…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 30.06.2022 / 10:00 / 9

112-Peterson: Kollektivisten landen immer beim Individuum

Vertretern der postmodernen Identitätspolitk ging plötzlich folgendes auf: Man müsse in puncto Unterdrückung Rasse und Geschlecht zusammen denken, also etwa anhand des Beispiels einer schwarzen…/ mehr

Jordan B. Peterson, Gastautor / 08.06.2022 / 10:00 / 7

112-Peterson: Der Weg zur Besserung

Wenn man sich eingesteht, dass das eigene Leben schrecklich ist, weil man 50 Dinge falsch macht, heißt das, dass man diese Dinge auch richtig machen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com