Hansjörg Müller / 11.03.2015 / 11:05 / 1 / Seite ausdrucken

Ein Brief könnte das Schlimmste verhindern

Barack Obamas aussenpolitische Zwischenbilanz erinnert an einen irischen Witz: Ein Mann in County Kerry, weit im Westen des Landes, fragt einen andern nach dem Weg nach Dublin. «Vor allem sollten Sie nicht von hier losgehen», lautet dessen bestechend einfache Antwort. Ähnlich stellt sich die derzeitige Ausgangslage für den Westen in diversen Krisengebieten dar. Was die Ukraine, vor allem aber Syrien betrifft, kann in Europa und Amerika keiner sagen, was dort sinnvollerweise zu tun wäre. Um wirksam zu intervenieren, ist es in beiden Fällen zu spät.

Hätte der Westen früher gehandelt, etwa durch die raschere Einführung härterer Sanktionen oder die rechtzeitige Lieferung militärischen Materials an die richtigen Leute, es wäre womöglich nie so weit gekommen. Das Misstrauen, das der Obama-Regierung nun anlässlich ihrer Verhandlungen mit Iran entgegenschlägt, ist vor diesem Hintergrund verständlicher, als uns manche Kommentatoren glauben machen wollen. Wobei sich in diesem Fall ausnahmsweise einmal nicht ein allzu zögerliches, sondern ein überstürztes Vorgehen als fatal erweisen könnte.

Der US-Präsident will im Ringen um die Zukunft des iranischen Atomprogramms eine schnelle Lösung, weswegen seine Kritiker fürchten, am Ende könne ein Deal herausspringen, der es dem Mullah-Regime irgendwann doch noch erlauben würde, sich die Bombe zuzulegen. Der Westen befände sich dann einmal mehr in einer Situation wie jener irische Wanderer.

Um Obamas Kurs zu sabotieren, greifen seine Kritiker zu unkonventionellen Methoden: Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu hielt letzte Woche eine Mahnrede vor dem US-Kongress, ohne dass der amerikanische Präsident ihn eingeladen oder auch nur empfangen hätte.

Nun haben 47 US-Senatoren, allesamt Mitglieder der Republikanischen Partei, darunter die möglichen Präsidentschaftskandidaten Marco Rubio, Ted Cruz und Rand Paul, einen Brief an das Teheraner Regime geschrieben. Ein wenig oberlehrerhaft erklären sie den Mullahs darin die amerikanische Gewaltentrennung. Ein Abkommen, das der demokratische Präsident ohne Zustimmung des mehrheitlich republikanischen Parlaments abschliesse, könne von Obamas Nachfolger «mit einem Federstrich» nullifiziert werden.

Natürlich ist das Vorgehen der Senatoren ein beispielloser Verstoss gegen die Washingtoner Etikette. Wer ihnen parteipolitische Motive unterstellt, liegt wohl ebenso wenig falsch wie diejenigen, die Netanyahus Auftritt mit dem israelischen Wahlkampf erklären. Doch heisst das, dass sie in der Sache unrecht haben? Einer der schärfsten Kritiker Netanyahus in Israel, der Schriftsteller David Grossman, wirft der amerikanischen Regierung in der italienischen Zeitung «La Repubblica» «kriminelle Naivität» vor. Was das iranische Atomprogramm angehe, habe Netanyahu recht. In dieser Frage, so Grossmann, gebe es in Israel keine Differenzen zwischen Linken und Rechten.

Welchen Einfluss der Brief aus dem Washingtoner Kapitol auf die Verhandlungen tatsächlich haben wird, muss sich nun zeigen. Im Idealfall könnte das Wissen darum, dass nicht jedes beliebige Abkommen vom Kongress angenommen würde, den Druck sowohl auf die Obama-Administration als auch auf Teheran erhöhen. Die US-Regierung könnte dies dazu bringen, härter zu verhandeln, die Mullahs könnte es zu mehr Nachgiebigkeit anhalten. Der skurrile Brief der Senatoren, der nun mit so viel Häme bedacht wird, könnte so unter Umständen helfen, das Schlimmste zu verhindern.

Erschienen in der Basler Zeitung, hier.

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Christopher Reiss / 12.03.2015

“The longest blowjob a Jew ever received.” Daily Show-Host Jon Stewart hat auf seine Art deutlich gemacht, dass die minutenlangen donnernden Standing Ovations, die Netanyahu von den republikanischen Abgeordneten erhalten hat, nicht so sehr dem Inhalt der Rede geschuldet waren. Beiden Seiten ging es darum mit diesem formell schmutzigen Akt den Commander-in-Chief zu brüskieren. In Israel und den USA stehen große Wahlkämpfe an, da kann nicht gekleckert und auf jede Etikette geachtet werden. Gerade die Republikaner stehen angesichts einer möglichen Kandidatur von Hillary Clinton – die Zeichen verdichten sich – vor einer scheinbaren Mission Impossible. Selbst Mitt Romney möchte nicht mehr antreten. Und der will eigentlich immer. Innenpolitisch hinterlässt Obama ein relativ vorzeigbares Haus, die Wirtschaft brummt durchaus und sozialpolitisch ist ihm mit seiner Gesundheitsreform ein kleines Husarenstück geglückt. Lediglich in der Außenpolitik fehlen die ganz großen Erfolge, hier böte sich Angriffsfläche an. Ein für alle Beteiligten zufriedenstellender Verhandlungsabschluss mit dem Iran wäre zum Abschluss von Obamas Amtszeit das Worst case Szenario für jeden republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Der Brief an den Iran soll also tatsächlich das Schlimmste verhindern – eine neuerliche Wahlniederlage In so fern wundert es nicht, dass Ted Cruz und Co. alles daran setzen die Verhandlungen mit dem Iran zu torpedieren. In Stil und Rhetorik den Mullahs angepasst, pfeifen sie auf Diplomatie und markieren den starken Max. Ganz im Geiste derer, die schon immer ganz genau wussten wo Gut und Böse zu verorten sind. Die schon immer ganz genau wussten, wer sich für harte Sanktionen und wer sich für die “rechtzeitige Lieferung militärischen Materials” eignet. Das die Obama-Administration in diesen Fragen einen Schlingerkurs fährt kann nur als außenpolitischer Fortschritt bezeichnet werden.

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