Vera Lengsfeld / 29.08.2017 / 06:10 / Foto: Tim Maxeiner / 22 / Seite ausdrucken

Ein Besuch im Phantasialand der CDU

Der neueste Verkaufsschlager der CDU, kürzlich von Kanzlerin Merkel eingeweiht, soll ein begehbares „Wahlprogramm“ sein. Ich habe mir die Sache näher angesehen. Schon das Gebäude in Berlin-Mitte ist interessant. Zu DDR-Zeiten logierte hier das „Deutsche Modeinstitut“, das Produkte herstellte, die der Bevölkerung zeigten, wie schön Mode und Design sein kann, die aber mit der tristen Realität so viel zu tun hatten, wie ein Mercedes mit dem Trabant.

Schon von außen wird auf das Haus mit einem Mix aus Schwarz, Rot, Gold hingewiesen. Die Nationalfarben wurden zerlegt, „neu interpretiert“ haben das die Werbeleute wahrscheinlich genannt, die von der Kanzlerin beauftragt wurden. Das setzt sich im Inneren fort. Man kann auf einer Treppe, auf der Streifen in diesen Farben wild durcheinander laufen, in den ersten Stock schreiten. Ein Konservativer könnte sich an dem Glauben festhalten, dass die Nationalfarben noch nicht aufgegeben wurden. Ein „Progressiver“ kann sicher sein, dass diese Art, mit Schwarz-Rot-Gold umzugehen, eine Auflösung der nationalen Tradition symbolisiert.

Diese Zweideutigkeit ist Absicht. Es soll möglichst allen etwas geboten werden. Die vollständige Entpolitisierung der Botschaft macht es möglich. Dazu passt, dass weit und breit kein Politiker zu sehen ist, mit dem man diskutieren könnte. Stattdessen freundliche Hostessen beiderlei Geschlechts, die lächelnd zuhören, aber nichts zu sagen haben. Sie können die technischen Finessen der Show erklären, in politischen Fragen, auf die es im Wahlkampf ankommen sollte, sind sie deutlich überfordert.

In der Mitte des Saales im Erdgeschoß hängt ein Riesenherz, dessen Zuckungen mit Herztönen untermalt werden. Es soll wohl die Dynamik von Wirtschaft und Gesellschaft symbolisieren. An den Wänden rechts und links sind die modernen Wandzeitungen, die von den Erfolgen Merkelscher Politik künden sollen. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, das hat aber nichts mit dem Wirken der Kanzlerin zu tun. Sie arbeitet im Gegenteil, mit der „Energiewende“ und jetzt noch der „Verkehrswende“, zielstrebig darauf hin, das Land zu deindustrialisieren. Ganz im Sinne des von den Grünen propagierten „ökologischen Umbaus“.

„Schnellstmöglich“ kam nie

In den zwölf Jahren unionsgeführter Regierung, steht auf einem ergänzenden Flyer, seien über 5 Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden. Keine Auskunft gibt es darüber, wie viele davon staatssubventioniert sind. Man denke nur an den ökologisch-industriellen Komplex mit seinem Schwerpunkt "Energiewende". Oder an die vielen anderen planwirtschaftlichen Wirtschaftsbereiche, die ohne Staat nicht funktionieren würden, weil sie unproduktiv sind. Auch von der boomenden Asylindustrie ist keine Rede. Seit über 20 Jahren habe es nicht eine so niedrige Arbeitslosigkeit gegeben wie jetzt, heißt es. Immerhin wird zugestanden, dass dies nicht allein die Politik zustande gebracht hat: „Auf diesen gemeinsamen Erfolg können wir alle stolz sein.“

Die CDU will auch weiter „um jeden Produktionssektor und jeden Arbeitsplatz“ kämpfen. Mitarbeiter der einstmals prosperierenden großen deutschen Energieversorger, deren Arbeitsplätze zu Tausenden auf dem Altar einer grünen Ideologie geopfert wurden, dürften sich an dieser Stelle verhöhnt fühlen. Auch die Mitarbeiter der deutschen Autoindustrie und ihrer zahlreichen Zulieferer werden wohl eher mit dem Kopf schütteln. Hat doch die Kanzlerin bereits das Ende der klassischen Autoindustrie angekündigt. Zehntausende Arbeitsplätze sind akut gefährdet, wegen des verrückten Plans, Elektroautos durchzudrücken – koste es, was es wolle.

Zu den Versprechungen in der Abteilung Wirtschaft gehört die angebliche Absicht, die Einkommenssteuer und den Solidaritätszuschlag zu senken, aber – Vorsicht – erst ab 2020 und nur „schrittweise“, dafür aber „schnellstmöglich“. Das erinnert stark an die DDR-Verheißungen, die Segnungen der „entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ irgendwann genießen zu können. Bekanntlich kam „schnellstmöglich“ nie.

In einem besondern Raum, der symbolträchtig aus Pappe gebaut wurde, wird die geplante „Familienpackung“ der CDU gepriesen. Flexible „Elternzeiten“, höheres Kindergeld von 300 Euro in einem Jahr (das ist etwa ein Drittel dessen, was heute ein neuer Kinderwagen kostet) und „Rechtsanspruch auf Grundschulbetreuung“ werden angekündigt. Der Staat mischt sich immer massiver in die Erziehung der Kinder ein. Das DDR-Modell lässt grüßen. Die einzig wirklich spürbare Hilfe für berufstätige Eltern, ein höherer Kinderfreibetrag, wird für die nächste Legislaturperiode angekündigt. Ganz bestimmt kommen die Kinderrechte ins Grundgesetz, das ist schließlich eine Forderung der Linken und Grünen. Solche Forderungen hat die Regierung Merkel immer zuverlässig umgesetzt.

Überall sind neckische Spielchen eingebaut. Man kann in ein Loch greifen und ertasten „was Oma alles liegen lässt“. Mit solchen Kindereien soll die Wahlentscheidung erleichtert werden. Bei mir hat das nachhaltig funktioniert.

Durch einen schwarzen Tunnel

Richtig hipp wird es im Raum „Cyber Hero“. Hier erfährt man, dass die CDU „auf den starken Staat setzt, der seine Bürger schützt: vor Kriminalität im Alltag, Terrorismus und Cyber-Angriffen“. Steht so da, echt. Auch was Cyber-Angriffe betrifft, ist die Welt in Deutschland in bester Ordnung, jedenfalls, wenn man der CDU glauben will. Mit einem „IT-Sicherheitsgesetz“ ist schon der erste Schritt getan. Außerdem wurde ein neues „Cyberkommando“ aufgestellt. Ob es sich um die von IM Victoria geleitete „Task Force“ handelt, ist nicht ersichtlich. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann mit einer speziellen „Cybereingreiftruppe“ bei „schweren Cyberangriffen“ helfen. Außerdem sollen neue Stellen bei der Bundespolizei und im Bundeskriminalamt geschaffen werden. Ob das am Ende so aussieht wie in NRW, wo die CDU im Wahlkampf eine Verstärkung der Polizei versprochen, als eine der ersten Regierungshandlungen aber einen Abbau derselben betrieben hat?

Auch hier wird der Besucher durch Videospielchen um die Klippe herumgeführt, ob sich Versprechungen und Realität im Einklang befinden. Auf Bildschirmen kann man Industriespione und Terroristen abwehren. Pädagogisch besonders wertvoll ist ein Monitor, in dem man sich gegen „Mobbing“ von bösen Trollen wehren kann. Wer fleißig denunziert, wird ein besonders verdienter „Cyber Hero“. Früher war der Denunziant der größte Schuft im Land, jetzt ist er der Held im begehbaren CDU-Wahlprogramm.

Ist das noch zu toppen? Ja. Der vorläufige Gipfel der Infantilisierung der Wähler ist mit dem Raum „Youropa“ erreicht. Im Beiblatt stehen lauter Märchen. Die Flüchtlingszahlen „konnten deutlich gesenkt“ werden (zählt Italien, das kurz vor dem Flüchtlingsnotstand steht, nicht mehr zu Europa?). Der Euroraum sei wieder stabil. Nur die Sparkonten der deutschen Euroraum-Bewohner sind es leider nicht, sie schrumpfen durch die abenteuerliche Null-Zinspolitk der EZB.

Angeblich soll sich die EU-Kommission wieder mehr auf „große Themen“, statt auf „bürokratisches Klein-Klein“ konzentrieren. Das habe die Akzeptanz für Europa so erhöht, dass Menschen nicht mehr gegen, sondern für Europa auf die Straße gingen. Schließlich habe die EU ja die Roaming-Gebühren abgeschafft.

Dann geht es durch einen schwarzen Tunnel, der wohl die historische Finsternis symbolisieren soll, der alle glücklichen EU-Bewohner entrinnen. Es folgt ein Saal mit einem Sternenhimmel. In der Mitte steht ein Gerät, auf dem man wählen kann, welchen Begriff man für Europa am wichtigsten findet. Bekanntlich hat unsere Kanzlerin „Freiheit“ gewählt. Freiheit steht denn auch an erster Stelle der Auswahl. Ich habe auch „Freiheit“ gewählt, weil es das ist, was Europa am dringendsten braucht. Vorher musste ich meinen Namen eingeben. Sobald ich auf den Knopf gedrückt hatte, erschein am Himmel eine Leuchtschrift „Freiheit, Vera“. Und von irgendwoher kommt die Botschaft: „Du bist ein Teil Europas“. Na bitte.

Die Welt als Kinderspiel. Vor dem Ausgang komme ich noch an einem riesigen Spiegel vorbei. „Wie blickst Du in die Zukunft?“, lautet die dazugehörige Frage, neben der sogenannte "Emojis" aus dem Internet abgebildet sind. Ratlos schaue ich auf mein Spiegelbild. Sofort ist einer der freundlichen jungen Männer zur Stelle, der mich aufklärt. Sanft geleitet er mich zu einer bestimmten Markierung. Jetzt soll ich das passende Gesicht aufsetzen. Aber egal, welche Fratze ich schneide, mich schaut immer ein lächelndes Emoji mit zwei Herzaugen an. So sieht also die Zukunft mit Kanzlerin Merkel aus.

Foto: Tim Maxeiner

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Christian Kühn / 29.08.2017

Ich beneide Sie um Ihre Ruhe und Fassung, Frau Lengsfeld. Ich hätte am Ende dem freundlichen jungen Mann in Vertretung…irgendwas gesagt. Laut. Durchsetzt mit bayrischen Kraftaus- und Krafteindrücken. Meinertreu…

Clemens Hofmeister / 29.08.2017

Ist das jetzt echt Ernst? Wenn Politiker von ihren Wählern tatsächlich diese Meinung haben, die dieses Ding zum Ausdruck bringt, dann gehörten sie weg. Die Politiker und sonstigen derartigen Eliten. Und wenn Wähler tatsächlich so zu ködern sind, dann verdienen sie nichts anderes als genau diese Schlächter. Freiheit schließlich ist ein gefährlicher Begriff: er bedeutet die prinzipielle Unwissbarkeit der in dieser Freiheit gesetzten Handlungen. Das macht Politk schwierig und daher ist Freiheit unbeliebt. Freiheit ist aber jedenfalls nichts, was einem einfach so zusteht, weil es in irgendeinem Gesetzbüchl so drinsteht. Freiheit muss man sich immer wieder aufs neue verdienen, vor allem dadurch, dass man sich diekörperlichen und geistigen Mühen antut, die mit ihr verbunden sind. Und jeder, der Freiheit garantiert, ist ein Betrüger, und eine Schwätzerin die, die darüber redet.

beat schaller / 29.08.2017

und wer bezahlt das alles? glauben kann man es ja schon gar nicht. Fake-news? leider nein. b.schaller

Rudolf George / 29.08.2017

Ich habe das “begehbare Wahlprogramm” nicht besucht. Die Schilderung von Frau Lengsfeld erweckt in mir aber die Vorstellung einer Inszenierung, die eher an Filme oder Fernsehserien der 60er Jahre als an einen Kinderspielplatz erinnert. Darin kam es oft vor, dass der Held sich unvermittelt in Räumlichkeiten wiederfand, die surreal waren, z.B. mit schiefen Ebenen und rotierenden Spiralen, kaleidoskopartig wechselnden Farben und begleitet von nervenaufreibenden Tönen, alles um ihn aus der Fassung zu bringen, an seiner Wirklichkeit zweifeln zu lassen und auf diese Weise gefügig zu machen.

Leo Lepin / 29.08.2017

Das Wahlprogramm der CDU ist laut einer Untersuchung eines Teams der Uni Hohenheim unter Leitung Frank Brettschneiders das sprachlich am leichtesten zu verstehende. Nicht klar wurde mir, ob das ein Kompliment sein sollte.

Birger Barth / 29.08.2017

Gruselig!

Caroline Neufert / 29.08.2017

Als ich das erste Mal Washington DC besuchte, gehörte zum Pflichtprogramm der (übrigens kostenfreie) Besuch der Smithsonian Museen. Mit deutschen Museumskonzepten sozialisiert, verließ ich die Museen mit spöttischem Lächeln über die albernen Ausstellungsstücke. Jahre, gar Jahrzehnte später gehe ich nur noch selten in Museen, schau mir lieber die Menschen, die reingehen an, aber was in meinem Kopf geblieben ist, sind die Kleider der First Ladies, die Kanonen, die blutbefleckte Flagge des Unabhängigkeitskampfes ... und nicht die tausendste Scherbe, der Krug oder Löffel, der irgendwo gefunden wurde. Nun mag es daran liegen, dass mir fast alles in und aus Amerika gefällt und ich einfach gestrickt bin, aber das sind viele ... Hm, dass das begehbare Programm Sie als CDU-Mitglied nicht “abholt”, verwundert, ist doch die Idee nicht schlecht gemacht. Um tatsächlich die Unentschlossenen zu entschlossenen CDU- Mitstreitern werden zu lassen, bedarf es zwar ein bisschen mehr, aber das pulsierende Herz des Cyber Heros Jung von Matts bleibt hängen ... Btw Disney World zieht jedes Jahr Millionen Besucher an :-)

Andreas Rochow / 29.08.2017

Als Berlinerin haben Sie eine Extrachance gehabt, am Wahlkampf teilzuhaben. Herzlichen Dank für den anschaulichen Bericht vom Besuch des Traumschiffs der Angela Merkel. Wenn man schätzt, was dieses Unternehmen gekostet haben mag, ist “Infantilisierung der Politik” ziemlich euphemistisch. Ich halte das wie die teuren Hubschrauberflüge der Bundeskanzlerin für ingaltsleeren, zynischen Kokolores. Aber es stimmt: Es erleichtert die Wahlentscheidung.

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