Dirk Maxeiner / 12.04.2017 / 06:00 / Foto: Jörg Bittner / 4 / Seite ausdrucken

Ein Atheist auf Vortragsreise

Interview. Dirk Maxeiner sprach mit Claude Cueni.

Der Schweizer Claude Cueni schrieb Romane, Theaterstücke, Hörspiele und über 50 Drehbücher für Film und Fernsehen ("Tatort", "Peter Strohm", Eurocops). Sein historischer Roman über den Papiergeld-Erfinder John Law ("Das Grosse Spiel") war auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Mit seinen Romanbiographien über Charles Henri Sanson ("Der Henker von Paris"), Gustave Eiffel ("Giganten"), die Entdeckung der Philippinen ("Pacific Avenue") und die Dramatisierung des Gallischen Krieges ("Cäsars Druide") hat er sich einen Namen gemacht. Mit "Godless Sun" schrieb er einen religionskritischen Roman. Der Deutschlandfunk nannte das Buch "das deutsche Pendant zu Michel Houellebecqs Roman 'Unterwerfung'".

Herr Cueni,  Ihr Roman "Godless Sun" dreht sich um die Rolle der Religion und insbesondere die des Islam. Musste das sein, wollen Sie sich mit Gewalt unbeliebt machen?

Ursprünglich war es die Geschichte eines Science Fiction Autors, der ein Buch über Atheismus schreibt. Er wird wider Willen zum Guru einer neuen Bewegung, die sich ironischerweise zu einer Sekte entwickelt. Also in gewissem Sinne ähnlich wie die Anfänge bei L. Ron Hubbard 1950. Die Migrationskrise hat sich nachträglich von selbst in den Plot eingefädelt. Ein Atheist auf Vortragsreise gerät zwangsläufig in Konflikt mit religiösen Extremisten, das ist die dramatische Geschichte von "Godless Sun". Auch Michel Houellebecq wollte ursprünglich einen ganz anderen Roman schreiben und änderte aufgrund der Aktualität die Story von "Unterwerfung". Was soll daran falsch sein?

Als Beispiel fällt mir Michael Crichton ein mit seinem Klima-skeptischen Roman "Welt in Angst" ein. Nachdem er den geschrieben hatte, war er in Deutschland unten durch.

Das wird ihn kaum beeindruckt haben. Er war an Lymphdrüsenkrebs erkrankt und hatte bereits vier Scheidungen hinter sich, ich glaube, das hat ihn mehr gestresst.

Setzt  man sich nicht, wenn man ein solches aktuelles Thema in einen Roman einwebt, dem Vorwurf aus, den aktuellen "Zeitgeist" (egal ob nun rechts oder links) zu bedienen?

Ein Atheist auf Vortragsreise stösst immer auf Kritik und Widerstand. Ich hätte als Gegenspieler auch den katholischen Pfarrer nehmen können, der 1951 weisse Mäuse in die Kinosäle warf, um die Vorführung des Skandalfilms "Die Sünderin" mit Hildegard Knef zu verhindern. Das hätte sogar zu Hubbard gepasst. Aber es ist wesentlich vielschichtiger und anspruchsvoller, wenn man Kulturfremde beschreibt, die bei uns mit den Gesetzen der freien Welt ihren Traum von einer unfreien Welt verwirklichen wollen.

Haben Sie nicht auch eine politische Agenda?

Ich habe weder mit Religionen noch mit Ideologien etwas am Hut. ich bin ein freiheitsliebender Demokrat und ein Freund von Rechtsstaatlichkeit und insbesondere von Rechtsgleichheit. Ich habe kein Verständnis für religiös begründete Sonderwünsche. Religion muss Privatsache sein wie Kuchen backen oder Tennis spielen. Es ist auch kein Buch gegen den Islam, ich habe ja selbst muslimische Freunde, die genau wie ich den politischen Islam ablehnen.

Schielt man bei der Auswahl so eines Themas nicht automatisch auch auf die Auflage?

Ich suche mir keine Stoffe aus. Ich lese täglich drei bis vier Stunden in- und ausländische Tageszeitungen und trage stets ein Dutzend möglicher Stoffe mit mir herum. Die einen legen an Gewicht zu, die anderen verkümmern. Und eines morgens stehe ich auf und weiss genau, was ich in den nächsten Monaten schreiben werde. Es ist eher so, dass die Stoffe zu mir kommen und Szenen und Dialoge beinahe von selbst entstehen. Ich habe noch nie ein leeres Blatt angestarrt.

Unter deutschen Buchhändlern regiert überwiegend der linksgrüne Zeitgeist. Ein Buch wie Ihres dürfte es da wohl kaum neben die Kasse schaffen. Und auch mit Rezensionen dürfte es schwer werden. Wie ist das eigentlich in der Schweiz?

Das ist in der Schweiz ähnlich, aber nicht so extrem wie in Deutschland. Die Literaturagentur, die mich 20 Jahre lang erfolgreich im Ausland vertreten hat, wollte den Text nicht einmal einem Verlag anbieten. Der Inhaber, er war mittlerweile ein Freund von mir, schrieb, er habe die ersten 100 Seiten gelesen und dann noch den Schluss. Er war sehr aufgebracht und hat seitdem keine Mails mehr beantwortet. Sein gutes Recht. Klärt man bei Buchhandlungen das Interesse für Lesungen ab, wollen in der Regel 9 von 10 Buchhandlungen einen Event, bei "Godless Sun" war nur eine Buchhandlung interessiert. Jeder Buchhändler hat natürlich das Recht, etwas nicht zu wollen, und ich habe das Recht, etwas zu schreiben, das er weder lesen noch verkaufen will. Aber er sollte sich dann verkneifen, nach einem Glas Rotwein Voltaire zu zitieren.

Raphael Urweider, der Präsident des staatlich finanzierten Schweizerischen Schriftstellerverbandes (AdS) rief vor einigen Jahren auf Facebook dazu auf, ihm alle Personen zu melden, die an einem Wahlkampfvideo der Schweizerischen Volkspartei, der grössten im Lande, beteiligt waren: "Wer hat in diesem SVP-Video Kostüme gemacht, wer hat geschminkt, gefilmt, Sound aufgenommen, Licht gestellt, Regie gemacht, getanzt, komponiert? Mit all diesen 'Kunstschaffenden' sollte ab sofort nicht mehr zusammengearbeitet werden." Erinnert an die McCarthy-Tribunale, aber andersherum. Gemäss Statuten setzt sich der AdS für die "kulturelle Verschiedenartigkeit" und "Freiheit der Meinungsäusserung" ein. Aber in der Schweiz ähnelt der Literaturbetrieb einer religiösen Sekte. Das stärkste verbindende Element ist die gemeinsam praktizierte Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Wären solche Leute an der Macht, hätten wir an jeder Bushaltestelle eine Guillotine.

Werden Sie vom Schweizer Kulturbetrieb immer noch geliebt? Oder: besser: Wer liebt sie noch immer und wer nicht mehr?

Wenn sie einen Roman schreiben wollen, brauchen Sie weder die Liebe des Kulturbetriebs noch die Mitgliedschaft in einem Autorenverband. Sie brauchen einen Computer. Hilfreich sind auch Fantasie, Handwerk, Ausdauer und Disziplin. Als junger Autor wurde ich noch vom Feuilleton gelobt, da schrieb ich pubertären Schwachsinn. Als ich dann zusätzlich Drehbücher für Film, Fernsehen und die ersten Computerspiele schrieb (und ordentlich verdiente), wurde ich exkommuniziert. Im Schweizer Kulturbetrieb ist Gelderverdienen beinahe ein Offizialdelikt. Ich gehöre seitdem trotz internationalem Erfolg zu den Randständigen der Schweizer Literatur.

Und was sagen die Leser?

"Auf den Punkt gebracht" ist der häufigste Kommentar. Nur eine Leserin schrieb, sie habe das Buch in den Müll geworfen. Ich war erschüttert, dass sie ihren Müll nicht trennt.

Und was sagt die Auflage?

Der Verlag schreibt bereits schwarze Zahlen, in den nächsten Tagen kommt das eBook, das bei einigen meiner Titel bereits 50 Prozent ausmacht.

Was sind  für Sie klassische "politische" Romane. Oder ist jeder Roman automatisch politisch, je nach dem von wem er gelesen wird? Haben sie da ein paar Vorlieben oder Vorbilder? Und wenn ja, welche und warum?

Autoren, die jeder Figur ein paar Seiten eines Parteiprogamms in den Mund stopfen, finde ich langweilig. Ich will nicht belehren, sondern intelligent unterhalten und zeigen, dass Wissen sexy ist. Rilke und Stefan Zweig haben mich gelehrt, wie poetisch Sprache sein kann, aber Henry Miller hat mich ermuntert, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und zu den eigenen Ansichten zu stehen. Ohne ihn hätte ich wohl nicht frühzeitig Elternhaus und Schule verlassen und zehn erfolglose Anfangsjahre durchgestanden.

Die Leute glauben oft, die politische Meinung wird am meisten von den Politik-Redakteuren der großen Medien beeinflusst.  Hat nicht ein x-beliebiger Tatort, bei dem der Mörder immer reich ist und in einer Villa wohnt, einen viel unterschwelligeren und damit größeren Einfluss auf die Meinungsbildung der Menschen? Heute wird man ja sogar bei gewöhnlichen Rezept-Seiten mit irgendwelchen Bio-oder Ess-Ideologien agitiert. Wie sehen Sie das?

Ja, das ist tatsächlich so. Das wirkt auf Dauer wie die jährliche Grippeimpfung. Es wird ja oft gesagt, eine falsche Behauptung werde durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Das Gegenteil ist der Fall. Anders ist zum Beispiel nicht zu erklären, dass wir alle Migranten immer noch pauschal Flüchtlinge nennen, obwohl nicht einmal 10 Prozent der Asylsuchenden Flüchtlinge sind. Die übrigen 90 Prozent sind Wirtschafts- oder Abenteuermigranten aus sicheren Herkunftsländern. Die meisten Redakteure sind rotgrün und kaufen Drehbücher ein, die ihre Ideologie propagieren. Ich war vor zehn Jahren nebenbei "Intendant Fernsehspiele" für das Bundesamt für Kultur und musste Drehbücher lesen, die das Schweizer Fernsehen zur staatlichen Co-Finanzierung einreichte. Viele Autoren dachten, wenn der bad guy ein Schweizer Bankier und der Sympathiegräger eine junge Frau mit Migrationshintergrund ist, haben sie die Förderung auf sicher. Aber die Leute wollen Geschichten, die berühren, Menschen, um die man sich Sorgen macht.

Wie kommt ein Autor von historischen Romanen dazu, ein aktuelles Thema zu bearbeiten?

Ich habe mich während meines ganzen Berufslebens mit historischen Stoffen beschäftigt. Ich glaube, dass gerade Autoren von historischen Romanen prädestiniert sind, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Wer Historie und Gegenwart kennt, kann sich vielleicht eher ein Bild einer wahrscheinlichen Zukunft machen. In gewissem Sinne können Science-Fiction-Autoren die Charttechniker der Gesellschaft sein, aber mein Buch ist kein SF-Roman. Wenn ich die News in der deutschen Regionalpresse lese, sehe ich Bilder aus "Godless Sun". Was Rainer Wendt, Tania Kambouri, Heinz Buschkowsky und die Sicherheitsexperten in Europa schildern, ist in "Godless Sun" bereits Alltag und weitergesponnen. Das gefällt natürlich nicht allen. Aber man kann nicht allen gefallen, damit man niemandem missfällt. Wenn Sie es allen Recht machen wollen, müssen Sie morgens im Bett bleiben. Ich bin heute um drei Uhr morgens aufgestanden.

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M. Hans Mayer / 12.04.2017

Es ist zum Fürchten: Cueni beschreibt die erschreckenden Verhältnisse im schweizerischen Kulturbetrieb, sagt aber, das sei in der Schweiz “nicht so extrem wie in Deutschland”. Gott steh uns bei, kann man da nur sagen, wenn dieser Wunsch in diesem Kontext auch deplatziert klingen mag.

Martin Landvoigt / 12.04.2017

Als bekennender Christ bin ich keineswegs begeistert, wenn man den Atheismus ins heldenhafte stilisiert, aber auch mir ist Meinungsfreiheit sehr wichtig. Das Interview hat mich positiv berührt und mich neugierig gemacht.

Volker Kleinophorst / 12.04.2017

Ich schließe mich den Lesern des Buches an, was dieses Interview betrifft: “Auf den Punkt gebracht.” “Godless sun” hab ich bestellt, den Chrichton “Welt der Angst” auch, trotzdem in den Amazon-Rezensionen steht, dass sich die deutsche Übersetzung an einigen Stellen sehr stark vom Originaltext unterscheide, zensiert sei. Wundert mich jetzt nicht. Ebenfalls schwer erschüttert war ich, dass die Kritikerin, die das “Godless sun” in den Müll geworfen hat, diesen “mutmaßlich” nicht trennt.

Kari Köster-Lösche / 12.04.2017

Ich freue mich, dass es noch mehr Autoren gibt, die ihren Widerstand im Buch formulieren.

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