Hannes Stein / 24.12.2006 / 18:17 / 0 / Seite ausdrucken

Ein antisemitisches Weihnachtsgeschenk vom “Spiegel”

Ein ganz besonderes Weihnachtsgeschenk legt uns der “Spiegel” dieses Jahr auf den Gabentisch: eine Titelgeschichte, die vor theologisch unterfüttertem Antisemitismus nur so strotzt. Der “Spiegel” wärmt zu diesem Behufe gleich zwei alte Legenden wieder auf: 1. Die antike Welt sei eine Idylle der religiösen Toleranz gewesen, weil sie ja von Polytheisten bevölkert wurde, bis die Juden in sie einbrachen und durch die “mosaische Unterscheidung” (Jan Assmann) zwischen wahrer und falscher Religion Hass und Zwietracht säten. 2. Die Juden hätten ihren Monotheismus von Echnaton geklaut, und die Exodusgeschichte hätten sie nur erfunden, um sich groß und mächtig zu fühlen.

Zu diesen beiden Legenden lässt sich allerhand sagen, nicht aber, dass sie originell seien. Man findet sie in dieser und ähnlicher Form bei Verächtern der Juden von Schopenhauer bis Heinrich Himmler, Vorformen davon gibt es schon in der Antike, etwa der “counter history” des ägyptischen Priesters Manetho. (Er beschrieb die Juden als Haufen von Pestkranken, die aus Ägypten vertrieben worden seien, damit sich die Nichtjuden nicht bei ihnen anstecken.) Aber betrachten Sie einmal die Sprache, in der das Hamburger Nachrichtenmagazin seine Befunde präsentiert. Die hat es nämlich in sich:
“Die aus Legenden geformte Vergangenheit der Israeliten besteht im Prinzip aus einer Abfolge von Massakern, Strafaktionen und Blutvergießen. Im Namen Jahwes werden Vertreibungen und die Zwangsscheidung von Mischehen durchgesetzt.” (Wir können wohl froh sein, dass die Vergangenheit der Israeliten “aus Legenden geformt” wurde, sonst müssten wir eine Anklage vor dem Gerichtshof von Den Haag befürchten.)
“Vormals, im Polytheismus, hieß es: Leben und leben lassen. Jahwe dagegen war rachedurstig, ja rechthaberisch – eine Himmelsmacht, die nichts und niemanden mehr neben sich duldete.” (Wie lieb und friedfertig die heidnischen Götter waren, lässt sich bekanntlich in der “Ilias” nachlesen. Oder in der “Bhagavadgita”.)
“Die biblischen Mahner gingen mit allen Tricks vor. Sie drohten mit Unheil, schmähten und fluchten.” (Wie Juden eben so sind.)
“Als `fanatische Gesinnungsethiker´ hat der Heidelberger Religionssoziologe Franz Maciewski diese frühen Monomanen eingestuft. Andere sprechen von `Hornissen des Geistes´.” (Und was gegen Hornissen hilft, wissen wir doch alle?)
Die Bibel sei “eine Camouflage, eine Art Märchenbuch, das wie eine Zwiebel aus Hunderten von alten, immer wieder umformulierten Schriften und Überlieferungssträngen besteht”. (Sagen wir´s doch, wie es ist: typisch jüdische Propaganda.)
“In der jüdisch-christlichen Religion gibt es kein Zurücklehnen, es geht um Schuld und Sühne.” (Hitker formulierte denselben Gedanken viel eingängiger: “Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung. Es ist, wie die Beschneidung, eine Verstümmelung des Menschen.” Zur Beschneidung kommen wir übrigens noch!)
“Wie alle Revolutionäre griffen die Jahwe-Anhänger zu Zwangsmitteln, um die alten Bräuche zu tilgen. Ständig führten sie Wörter wie `ausrotten´, `töten´, `ausmerzen´ im Munde.” (Im Unterschied zu den Nazis. Die sprachen ja nur von der “Endlösung der Judenfrage”.)
“Die Priester in Jerusalem setzten ein Patriarchat ohnegleichen durch.” (Die Griechen dagegen lebten bekanntlich in matriarchalen Gesellschaften. Wie die Römer etc.)
Ein eigener Horror (wie schon angedeutet): die Beschneidung. “Der Mohel nahm das Baby, ritzte mit dem Fingernagel dessen Vorhaut ein und riss sie ab – ein blutiges Attentat, das sich wie ein Mal in den Körper brannte… Es ist dieser Ritus, der zur Ausbildung einer kollektiven kultischen Identität der Juden führte.” Später heißt es, “jenes blutige Werk” präge “die jüdische Seele bis heute”. (Ja, wundert Sie da noch etwas?)
“Die Juden kupferten ab. Ihre Idee vom einen Gott stammt in Wahrheit aus – Ägypten.” (Also abgekupfert auch noch. Das wird ja immer schöner!)
“Die Söhne Gottes” – gemeint sind immer noch die Juden – “blieben gefeit gegen Abfall und Ketzerei. Sie brauchten nur ihre Mannbarkeit zu beschauen, um zu ahnen, mit welch furchtbaren Schnitten der Herr die Abtrünnigen bestrafen würde. Und sie vollbrauchten einen letzten ausgebufften Trick, um sich an die Spitze der Bewegung zu setzen…”
Und so kommt es, dass der Jud´ schuld ist, nicht etwa irgendwelche durchgeknallten Muslime, wenn es heute auf der arabischen Halbinsel eher schlecht ausschaut: “2500 Jahre danach ist der Nahe Osten immer noch ein Pulverfass.” Gleichsam die Anschauung zu diesem philosophisch-theologischen Befund liefert im selben Heft eine Reportage über die Familie von Ahmed Chatib, einem kleinen palästinensischen Jungen, der tragisch und versehentlich von der israelischen Armee in Dschenin erschossen wurde. Sein Vater entschloss sich, die Organe des toten Kindes für Transplantationen zur Verfügung zu stellen. Der “Spiegel” kontrastiert diese großmütige muslimische Tat mit der Verstocktheit einer orthodoxen jüdischen Familie in Jerusalem, deren Tochter durch Ahmeds Lunge gerettet wurde – die Chatibs aber will sie trotzdem nicht kennenlernen. “Wie ist eine so hartherzige Reaktion bei Menschen zu erklären, die an einen barmherzigen Gott glauben, zu ihm täglich und inbrünstig beten?”, fragt der “Spiegel” scheinheilig. Er hat aber doch grade selber lang und breit erklärt, dass “Jahwe”-Jünger grausam, intolerant und verlogen sind und warum das so sein muss.
Ich habe am Schluss, weil mir nun doch die Ironie im Halse steckenbleibt, zwei klitzekleine Fragen.
Erstens: Der Schutzheilige des “Spiegel”-Artikels (wenn der Ausdruck in diesem Zusammenhang gestattet ist) heißt Jan Assmann. Ich habe diesen Ägyptologen vor ein paar Jahren kennengelernt, fand ihn – bei aller intellektuellen Gegnerschaft – freundlich und redlich, habe auch allerhand von ihm gelernt und weiß vor allem, dass er sich sehr bemüht, mit seiner These von der “mosaischen Unterscheidung” kein Wasser auf die Mühlen von Antisemiten zu gießen. Wie findet Assmann diesen Artikel? Sollte er vielleicht das eine oder andere Wort dazu sagen?
Zweitens: Die christlichen Kirchen haben sich, vor allem in Deutschland, große Mühe gegeben, das antijüdische Erbe in ihrer eigenen Tradition aufzuspüren und unschädlich zu machen. Viele Christen haben kapiert, dass sie gar keine Christen sein können, wenn sie das jüdische Erbe in ihrer Religion nicht würdigen. (“Der Stern zeigt auf Jerusalem”, schrieb etwa der Papst, als er noch Ratzinger hieß und Kardinal war. “Er erlischt und geht neu auf im Wort Gottes, in der Heiligen Schrift Israels.”) Sollten Christen – Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, gleichviel – sich durch einen so ungeheuerlichen Text in einem nicht ganz unbedeutenden Hamburger Nachrichtenmagazin nicht herausgefordert fühlen und darauf reagieren?
In diesem Sinne: fröhliche Weihnachten.

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