Rainer Grell / 25.02.2017 / 06:13 / Foto: Zarateman / 0 / Seite ausdrucken

Ein Ameisenforscher erklärt die Welt

Von Rainer Grell

Jeder versucht, die Welt zu erklären. Die meisten für sich und ihre Familie, einige auch für ihre weitere Umgebung, wenige für die ganze Welt. Dabei kommt auch schon mal so ein Blödsinn raus wie der vom „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama: "The End of History").

Die beste Erklärung, die ich kenne, stammt von einem Mann, der sich ausgerechnet als Ameisenforscher einen Namen gemacht hat: Edward O. Wilson. Kurioserweise hat Tom Hanks in dem Film „Verschollen“ ("Cast Away"), dessen Robinsonade nach einem Flugzeugabsturz allerdings nur vier Jahre dauert (offenbar schlägt die Schnelllebigkeit unserer Zeit auch hier durch), einen Ball, dem er ein Gesicht aufgemalt hat und der sein einziger „Gesprächspartner“ ist, „Wilson“ genannt; allerdings nicht nach unserem Edward Osborne, sondern nach dem Hersteller des Balls Wilson Sporting Goods. Trotzdem: ein amüsanter Zufall. Der besagte Satz von Wilson lautet:

„Der Mensch hat steinzeitliche Gefühle, mittelalterliche Institutionen und eine gottgleiche Technik.” Im eng­lischen Original klingt das noch besser: “We have created a Star Wars civilization, with Stone Age emotions, medieval institutions, and godlike technology.” Diese drei Stufen erklären auch, warum es immer wieder zu Kriegen kommt: Es sind unsere steinzeitlichen Gefühle, die uns aufeinander einschlagen lassen. Unsere mittelalterlichen Institutionen, wie beispielsweise die UNO, können das schon deshalb nicht verhindern, weil sie von Menschen mit steinzeitlichen Gefühlen beherrscht werden. Und die gottgleiche Technik sorgt dafür, dass die Zahl der Toten nie gekannte Ausmaße erreicht.

Nach dem Abwurf der beiden US-amerikanischen Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 sah es so aus, als ob der Krieg, ein Weltkrieg jedenfalls, ein für alle Mal unmöglich geworden wäre. Der Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit seiner unvorstellbaren Zahl von 60 Millionen Toten (das ist in etwa die Einwohnerzahl von Frankreich) spiegelt sich in der Präambel zur UNO-Charta wieder:

Frieden für selbstverständlich gehalten

„WIR, DIE VÖLKER DER VEREINTEN NATIONEN - FEST ENTSCHLOSSEN,
künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren  Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat, unseren Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung  von Mann und Frau sowie von allen  Nationen, ob groß oder klein, erneut zu bekräftigen, Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können, den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern,

UND FÜR DIESE ZWECKE
Duldsamkeit zu üben und als gute  Nachbarn im Frieden miteinander zu leben, unsere  Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird, undinternationale Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, um den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker zu fördern -

HABEN BESCHLOSSEN, IN UNSEREM BEMÜHEN UM DIE ERREICHUNG DIESER ZIELE ZUSAMMENZUWIRKEN.
Dementsprechend haben unsere Regierungen durch ihre in der Stadt San Francisco versammelten Vertreter, deren Vollmachten vorgelegt und in guter und gehöriger Form befunden wurden, diese Charta  der Vereinten Nationen  angenommen und  errichten hiermit eine internationale Organisation, die den Namen ‚Vereinte Nationen‘ führen soll.“

"Nichts ist sicher. Selbst das nicht."

Um die steinzeitlichen Gefühle auszuleben, genügten den Menschen für eine gewisse Zeit lokale oder regionale Kriege oder „kriegerische Auseinandersetzungen“. Und als das Nobelkomitee in Oslo 2012 der Europäischen Union den Friedensnobelpreis verlieh, erntete es Verwunderung, wenn nicht gar leisen Spott, weil Frieden zwischen den Staaten Europas für selbstverständlich gehalten wurde.

Ein Dritter Weltkrieg erschien völlig außerhalb jeder Vorstellung, hatte doch eine Geistesgröße wie Albert Einstein über diesen gesagt: „Ich bin [mir] nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Doch plötzlich scheint das Unmögliche doch vorstellbar. Dafür sorgen Namen wie Putin, Trump, Erdoğan, Iran und wer weiß noch alles. Es bedurfte offenbar erst eines versoffenen Dichters wie Joachim Ringelnatz, um zu erkennen: „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ Aber wer will das schon hören?

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