Ingo Schulze hat eine Heldentat vollbracht. Er hat etwas getan, wozu ungeheurer Mut gehört, eine geradezu übermenschliche Kraft, die sich sicher aus Verzweiflung speiste. Verzweiflung über den Verfall der Staatlichkeit in deutschen Landen, Verzweiflung über die Bedrohung des Kulturlebens, Verzweiflung über – ja, sprechen wir es ruhig aus! – Tendenzen der Re-feudalisierung.
Unter Re-feudalisierung versteht Schulze, daß Wirtschaftsunternehmen, die viel Geld einnehmen, ein bißchen von dem Geld für kulturelle Zwecke spenden, zum Beispiel für Literaturpreise. Nicht, daß es in deutschen Landen generell zu wenig Literaturpreise gäbe; es gibt hier mehr als in irgendeinem anderen Land der Welt, und Schulze hat in den letzten zehn Jahren ungefähr zehn Literaturpreise bekommen, was einem steuerfreien Zusatzeinkommen von rund 100 000 Euro entspricht.
Das ist natürlich nichts gegen die fünfeinhalb Milliarden Euro, die der Stromkonzern E-on als Jahresgewinn vor Steuern ausweist – eine Zahl, die jetzt feuilletonistisch bedeutsam wird, weil Schulze öffentlich daran Anstoß nahm. Und zwar nahm er Anstoß anläßlich der Verleihung des von E-on gesponserten Thüringer Literaturpreises an ihn selber. Genau das war seine Heldentat: er kritisierte die Herkunft des ihm zugedachten Geldes, dem er so schutzlos ausgeliefert war.
Ja, so ein Preis ist schon eine Bedrohung. Plötzlich hängt ein Werbeplakat von E-on im Saal, womöglich ist auch der Firmenchef anwesend und will mit aufs Foto, da ist es um die innere Freiheit des Schriftstellers schnell geschehen. Wie gut, daß einer wie Schulze dagegen aufmuckt und verlangt, Literaturpreise sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Denn wenn statt eines PR-versessenen Firmenchefs irgendein PR-versessener Politiker die Preisverleihung vornimmt und aufs Foto will, dann ist für Schulze alles in Ordnung, dann fühlt er sich nicht mißbraucht.
Und daß das Geld, das er dann aus der Staatskasse erhält, möglicherweise auch aus dem Fünfeinhalbmilliardengewinn von E-on kommt, nur eben nach Steuern, das ist ein Gedanke, den Schulze erst noch haben müßte. Denn Ingo Schulze ist dem zufolge, was er da in Thüringen von sich gegeben hat, ein bißchen naiv – ein netter Typ, der natürlich gar nichts dafür kann, daß die DDR in seinem Leben so lange gedauert hat. Diese Tatsache hat er zwar mit seinen Büchern bisher bestens rentabilisiert, aber sie verhindert offenbar, daß er die fabelhafte Freiwilligkeit der ganzen Chose erfaßt. Weder er noch irgendjemand sonst wird im Kapitalismus gezwungen, einen Literaturpreis, der stinkt, entgegenzunehmen.