Vera Lengsfeld / 31.12.2008 / 16:49 / 0 / Seite ausdrucken

Deutschland im 20.Jahr nach der Revolution

Ohne 1949 wäre 1989 undenkbar

Zum Jahreswechsel 1989 ahnte niemand, was das neue Jahr an revolutionären Umwälzungen bringen würde. Er möge keine Revolutionen, notierte Walter Kempowski, der Chronist des Jahres 1989, am Neujahrsmorgen. Revolutionen seien, wie Nietzsche bemerkt hätte, eine “blutige, pathetische Quacksalberei“ Die Kultur der Gewalt, die von den modernen Revolutionen, angefangen mit der Französischen, die sich 1989 zum 200sten mal jährte, begründet und in den kommunistischen Umstürzen des 20. Jahrhunderts zementiert wurde, schien zur festen Größe in der Geschichte geworden zu sein. Der kommunistische Block stand bis an die Zähne atomar bewaffnet den westlichen Demokratien gegenüber. Daran hatte auch der letzte Partei-, und Staatschef der Sowjetunion, Gorbatschow nichts geändert. Er hatte seine Politik der Perestroika, des Umbaus,  eingeführt, um den Kommunismus zu retten, nicht um ihn abzuschaffen.
Aber Gorbatschows politische Zugeständnisse , besonders der Glasnost, der Transparenz politischer Entscheidungen, lösten eine Eigendynamik aus, mit denen die Parteifunktionäre nicht gerechnet hatten. So ahnte Erich Honecker nicht, wie recht er haben würde, als er „tiefgreifende Entwicklungsprozesse in allen sozialistischen Ländern“ in seiner Neujahrsansprache für das Jahr 1989 ankündigte.
Unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit hatte sich in fast allen sozialistischen Ländern in den 80er Jahren eine Opposition gegen das kommunistische Regime herausgebildet, die im Laufe des Jahrzehnts immer aktiver und effektiver wurde. In der DDR versammelte sich diese Opposition in den Räumen der Evangelischen Kirche, die einen Freiraum boten, weil hier die Staatssicherheit weder Verhaftungen vornehmen, Versammlungen auflösen, Veranstaltungen verbieten, noch Ausstellungen abbauen durfte. Am Ende der 80er Jahre gab es mehr als 3000 aktive Bürgerrechtler, organisiert in mehr als 100 Gruppen im ganzen Land. Es gab noch mehr Menschen, die einfach nicht mehr in diesem Land leben wollten. So kamen zwei Prozesse zusammen, die den Lauf der Ereignisse des Jahres 1989 bestimmten und beschleunigten: die Ausreisewilligen, die erst in westlichen Botschaften in der DDR und in anderen sozialistischen Ländern Zuflucht suchten, um ihre Ausreise zu erzwingen. Im Sommer schwoll dieser Strom auf tausende Menschen an, die alles stehen-, und liegen ließen, um über Ungarn oder die Tschechoslowakei in den Westen zu flüchten. Sie entzogen damit dem Regime jede Legitimation. Gleichzeitig organisierten die Oppositionellen, die das Land nicht verlassen, sondern verändern wollten, immer Aufsehen erregendere Aktionen..
Ein Beispiel ist die massenhafte Kontrolle der Stimmauszählung bei den Kommunalwahlen im Mai durch Bürger, die begannen, ihre rechtlichen Spielräume auszunutzen. Als im Herbst sich nach der ersten „Montagsdemonstration“, die von der Leipziger Nikolaikirche ausging, in rascher Folge in mehr als 30 Städten und Gemeinden Folgedemonstrationen stattfanden, die kurz darauf die Mauer zum Einsturz und das Regime zu Fall brachten, waren die meisten Beobachter völlig überrascht. Vor ihren Augen hatte sich eine Revolution abgespielt, die alle bislang geltenden wissenschaftlichen Kriterien über den Haufen warf:. Keine gut organisierte Minderheit eroberte die Macht und verteidigte sie blutig gegen die Mehrheit. Das Unverständnis ist so groß, dass bis heute die Rolle der unbekannten Maueröffner nicht gewürdigt wird. Kein Politiker war an diesem Prozess beteiligt. Im Gegenteil, die Politik konnte über ein Jahr nur nachvollziehen, was auf der Straße an Tatsachen geschaffen wurde.
Die Ereignisse des Jahres 1989 waren nicht nur das Ende des Kommunismus als Weltmacht, sie waren vor allem ein radikaler Bruch mit der Kultur der Gewalt, die im 20en Jahrhundert Millionen von Menschen zum Verhängnis geworden war.
Niemand kam auf den Gedanken, Rache an den ehemaligen Machthabern zu üben .Sie wurden mit gutmütigem Spott in die Machtlosigkeit verabschiedet.  Auch das macht Beobachter und Kommentatoren bis heute ratlos: was sind das für Revolutionäre, die nach vollbrachter Tat einfach nach hause gehen und keine Anstalten machen, ihre Macht zu sichern?
Also machte man sich daran, das Unbegreifliche nach herkömmlichen Kriterien umzuinterpretieren. Am 10. Jahrestag des Mauerfalls wurden Bush senior, Gorbatschow und Kohl als Maueröffner gefeiert. Die Regierungspartei der DDR, die SED, nutzte unter ihrem neuen Vorsitzenden Gregor Gysi die Gunst der Stunde, benannte sich mehrmals um und strebt heute als „Linke“ wieder an die Macht, in den Ländern, aber auch im Bund. Selbst hoch dotierte Journalisten unseres Landes, wie Peter Frey vom ZDF halten die SED-Linke inzwischen für eine Neugründung , die bestenfalls noch durch ihre Altmitglieder etwas mit der SED gemein hat. Dass die Partei ihre Ziele zwar modisch neu beschrieben, aber in der Substanz nicht aufgegeben hat, bleibt ebenso unbemerkt, wie die Frage nach dem verschwundenen DDR-Vermögen, von geschätzten 12 Milliarden Euro, die unter
Gysis politischer Verantwortung als letzter SED-Chef in dunkle Kanäle verschoben und nur zum geringsten Teil entdeckt und dem Staatshaushalt zugeführt werden konnten, nicht gestellt wird. Die Sache mit dem verschwundenen Vermögen ist so unbekannt, dass Gysi, Bisky und Brie bis heute nicht öffentlichkeitswirksam aufgefordert erden, ihr Wissen , das sie dem Bundestagsuntersuchungsausschuss seinerzeit verschwiegen haben, endlich preis zu geben. Die Linke gilt vielen wieder als möglicher Koalitionspartner bei der Regierungsbildung, wie stellvertretend Franz Müntefering kürzlich erneut klar gemacht hat. Die nachgeschobene Versicherung des Kanzlerkandidaten der SPD Steinmeier, dies gelte nicht für den Bund, wird durch häufige Wiederholung nicht glaubwürdiger. Auch Steinmeier hat den Wortbruch von Andrea Ypsilanti , nach der Wahl keine Regierung mit Hilfe der Linken zu bilden, nicht verhindert. Er hat die vier aufrechten Sozialdemokraten, die diesen Wortbruch verhindert haben nicht unterstützt. Es gab keinen Landesverband der SPD, der den Vieren politisches Asyl angeboten hätte, nachdem ihre politische Karriere von den hessischen Parteifunktionären beendet wurde. Die SED greift im Jahr 20 nach dem Mauerfall nicht nur im Saarland und in Thüringen, sondern auch im Bund nach der Macht. Es besteht die reale Gefahr, dass sie trotz des Rückschlags in Hessen, damit Erfolg hat.
Um zu verhindern, dass die SED wieder die Möglichkeit erhält, ihre bereits gescheiterten Rezepte erneut auszuprobieren, sollte das Jahr 2009 zum Jahr der Aufklärung werden. Der Jahrestag muss nicht nur genutzt werden,
um darüber aufzuklären, dass es sich bei dem SED-Regime um eine Diktatur gehandelt hat, die am Ende ein finanziell bankrottes, wirtschaftlich, ökologisch und mental verwüstetes Land hinterlassen hat, dem seine Bürger massenhaft den Rücken kehrten. Es muss auch darüber aufgeklärt erden, dass die Alternative zum zusammengebrochenen Kommunismus nicht ein Dritter Weg des „Demokratischen Sozialismus“ war, sondern der demokratische Rechtsstaat, wie er in der Alt-Bundesrepublik seit 1949 bestand.
Insofern gehören die beiden Gedenkdaten, 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution und der 60. Jahrestag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland eng zusammen. Die Ostdeutschen haben sich die Demokratie erobert. Sie konnten beim Neuaufbau ihrer Heimat auf die Hilfe ihrer Landsleute jenseits der ehemaligen Todesgrenze bauen. Die Westdeutschen haben die Demokratie nach Niederschlagung des Nationalsozialismus von den Siegermächten geschenkt bekommen. Sie haben in vierzig Jahren danach darauf ein stabiles Staatswesen gebaut, das sich seitdem in manchem Sturm bewährt hat, nicht zuletzt gegen militante Versuche der RAF und ihrer Anhänger, es in den Totalitarismus zurück zu bomben.
Auch in den unübersichtlichen , schwierigen Zeiten nach der Vereinigung und dem Kollaps der alten wirtschaftlichen Strukturen in den Neuen Ländern hat sich der Rechtsstaat als belastungsfähig erwiesen. .Ost-, wie Westdeutsche haben begriffen, dass Demokratie und Rechtsstaat etwas sind , das täglich verteidigt werden muss. Dabei haben sie sich als lernfähig erwiesen. Sie heben der Welt klar gemacht, dass sie nichts von einem wiedervereinten Deutschland zu befürchten hat .Zum ersten mal hat sich bei der Reichstagsverhüllung in Berlin gezeigt, dass die neuen Deutschen sich zu ihrer Herkunft bekennen können, ohne in nationalistischen Größenwahn zu verfallen. Sie haben das in den wunderbaren Tagen der Fußballweltmeisterschaft eindrucksvoll unterstrichen. Es ist ihnen gelungen, sich ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu stellen, ohne sie zu verdrängen. Das lässt mit einiger Berechtigung hoffen, dass auch die notwendige Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Diktatur erfolgreich sein wird, obgleich auch hier die Widerstände stark sind. Nicht nur die
Erben der SED versuchen mit allen Mitteln das Regime ihrer Partei zu verharmlosen, auch die westdeutsche Linke, die in der DDR stets den besseren deutschen Staat sah,  ein „vertretbares Experiment“, das man um so leidenschaftlicher verteidigen konnte, weil man es selbst nicht aushalten musste. Das Jahr 2009 ist bestens geeignet, diesen Verharmlosungen den Kampf anzusagen. Die neuen Deutschen haben bisher in der Wirtschaftskrise große Gelassenheit gezeigt. Sie beweisen täglich, dass sie weniger anfällig für hysterische Reaktionen und Verhaltensweisen sind, als ihre Vorfahren. Die Krise ist bisher nicht zur Stunde der Demagogen und ihrer scheinbar einfachen Lösungen geworden.
Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass dies so bleibt.
Erschienen in der Tagesost
http://www.tagespost.de

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