Die Ziege war süß. Ohne sie wäre es glatt eine Kuhmödie geworden, der Jubiläumsmünstertatort zum 10. Geburtstag. Aber auch mit ihr war’s der schlappste „Tatort“ aus Münster seit dem Jahre Eins. Witzischkeit hat schon mal besser ausgesehen.
Warum haben sie sich das angetan, Axel Prahl als Hauptkommissar Thiel, Jan Josef Liefers als Rechtsmediziner Boerne und die wunderbare ChrisTine Urspruch als Boernes Assistentin? Bei einem sensationellen Marktanteil von 31,7 %, dem besten Ergebnis für den Tatort aus Münster, achwas: dem besten Ergebnis für eine Tatort-Folge seit 1978, haben mithin 12,11 Millionen Zuschauer mitgekriegt, dass Drehbuch, Regie und Schnitt zum Traumduo Boerne und Thiel nichts mehr eingefallen ist.
Eigentlich will man ja nicht kleinkariert sein und dem „Wolbecker Wunder“ vorhalten, was ihm schlechterdings nicht vorzuwerfen ist – Wunder sind immer unwahrscheinlich und was hat ein Fernsehkrimi schon mit der Realität zu tun? Die Münsteraner sind Publikumslieblinge, weil das Zusammenspiel zwischen dem prolligen Thiel und seinem manierierten Vermieter Boerne voller Sprachwitz und Spiellaune ist, weil die Nebenfiguren schon fast Hauptfiguren sind, wie „Alberich“ Urspruch oder Thiels Hippievater, der ewige Taxifahrer. Wer noch dem lahmsten Kalauer und dem plattesten Klischee soviel Drall geben kann, dem verzeihen wir vieles.
Aber man kann die bedingungslose Liebe des Publikums auch überstrapazieren. Auf dem Tatort-Forum http://www.tatort-fundus.de sackte das „Wunder von Wolbeck“ auf Rang 831 ab. Verdient.
Mal ehrlich: soviel Pfau war nie. Und so viel Verstoß gegen Glaubwürdigkeit und Wahrscheinlichkeit auch nicht. Und wenn dann die Witze nicht mehr richtig witzisch sind - dann werden wir Zuschauer eben doch kleinkariert.
Das Wunder von Wolbeck ist vor allem, dass sich hochgestylte Damen aus aller Welt mit dem Taxi (gefahren von Vater Thiel) vom Flughafen Düsseldorf ausgerechnet zu einem Heilpraktiker auf plattestem Lande kutschieren lassen, um sich einen Kinderwunsch erfüllen zu lassen. Gibt’s da echt keine besseren Adressen? Und dann, shit happens, liegt der Wunderheiler auch noch tot im Wohnzimmer, die Tatwaffe ist offenbar ein Siegelring, den Abdruck hat er unübersehbar im Gesicht. Was für eine faszinierende Spur.
Die führt zu Bauer Kintrup, der so schwächelt wie sein Zuchtbulle, weshalb er berechtigte Zweifel an der eigenen Vaterschaft hegt, sprachlos leidend, wie Männer und Bauern nunmal so sind. Kintrup ist die Parodie eines Bauerntrottels – doch so doof kann niemand sein, der über eine riesige Rinderherde samt Ziegenvolk gebietet (ja, man sagt Rinder, nicht Kühe, sofern es sich nicht ausschließlich um letztere handelt), um die er sich auch noch im Alleingang kümmert. Kein Wunder, dass er keine Zeit hat für seine polnische Milena, die topgefärbt und supergeschminkt ihren Kinderwagen durch die Gegend schiebt, wofür sie auch keine Zeit hätte, wäre sie eine echte Landfrau.
Der Wunderheiler ist natürlich keiner, er kriegt die Frauen auf bewährte Weise schwanger, die auch Bauer Kintrup kennen müsste: durch Insemination. Das Ausgangsmaterial dafür liefern ihm die drei dumpfbackigen Gebrüder Krien, die bräsig am Tresen ihrer Dorfkneipe lehnen, eine der realistischeren Requisiten: ja, so schlimm sind manche Dorfbeizen wirklich. Warum Raffael (welch sprechender Name!) Lembeck im Falle der Milena Kintrup eine Ausnahme macht und seinen eigenen Stoff nimmt, bleibt unklar. Die nächstliegende Weise streitet die tugendhafte Polin ab. Doch dass Raffaels Witwe, die unentwegt und doppelkinnschwer grimassierende Stella (gespielt von Lina Beckmann), den kleinen Kintrup junior irgendwann entführt, ist zwar vorhersehbar, aber deshalb nicht plausibler. Da hilft auch nicht, dass Bauer Kintrups Mutter von altem Adel ist, was den Siegelring erklärt. Und dass sie ein schweres Schicksal hatte. Na klar.
Was also sagt uns die hohe Einschaltquote, auch bei Menschen zwischen 14 und 49 Jahren? Dass wir es gerne immer blöder, immer dümmer, immer witzischer hätten? Dass kein gutes Buch im Haus war? Dass wir nach dem Formel 1-Finale einfach an der Glotze hängen geblieben sind? Oder dass uns nicht nach Rosamund Pilcher war (zeitgleich im ZDF)?
Ein Zyniker vermutet, dass die Fans von Thiel und Boerne die Vorschussverrisse gelesen haben und nun selbst dabei sein wollten, während ihre Helden scheiterten. Mag sein. Aber die ARD wird im Zweifel den falschen Schluss daraus ziehen, bauernschlau wie im Wunder von Wolbeck: Dümmer geht’s ümmer.
Welt Online, 26. 11. 2012, siehe auch bLogisch.