Günter Keil, Gastautor / 31.07.2011 / 21:42 / 0 / Seite ausdrucken

Dreizehn und zwei Energiewende-Märchen – Teil 3

Von Günter Keil

Dies ist eine um zahlreiche Fakten ergänzte und überarbeitete Fassung der „Dreizehn Energiewende-Märchen“, die am 28. Mai 2011 auf achgut.com erschienen sind. Unser Autor Dr. Ing. Günter Keil arbeitete bis zu seiner Pensionierung 2002 in leitender Funktion im Bundesforschungsministerium

Nr. 11: Das Märchen vom Technologiesprung
Es fällt auf, daß nur Politiker auf angeblich sicher kommende Technologiesprünge hinweisen, wenn sie die peinliche Tatsache von für die Energiewende fehlenden Techniken (z.B. effiziente, bezahlbare Stromspeicher) hinwegreden möchten.  Fachleute hüten sich vor solchen Äußerungen.
In Wahrheit verlaufen technische Entwicklungen ohne spektakuläre Sprünge langsam und gleichmäßig, was die langen Zeiträume zwischen erster Idee, Labor- oder Technikumsmuster, Prototypentwicklung, Konstruktion der ersten marktreifen Anlage und dann noch den schwierigen Prozeß der Marktdurchdringung erklärt.
Tatsächlich brauchen technische Entwicklungen – außerhalb der in dieser Hinsicht für schnelle Verbesserungen prinzipiell sehr geeigneten Mikroelektronik - daher bis zu ihrer Markteinführung oft 30 Jahre, nicht selten auch 50 Jahre.
Einige Beispiele:
- die erste Anwendung der Wärmepumpe geschah in den 40er Jahren in der Schweiz;
- die ersten Elektroautos gab es schon vor über 100 Jahren;
- Silizium-Photovoltaik-Solarzellen wurden 1953 erstmals in den Bell Labs produziert;
- mit Brennstoffzellen als Treibstoff-Strom-Wandler bestückte Fahrzeuge gab es in
  Deutschland bereits um 1970;
- der Stirlingmotor, der jetzt als Mini-Kraft-Wärme-Einheit (Motor plus Stromgenerator)
  für Häuser angeboten wird, wurde 1816 von dem Geistlichen Robert Stirling erfunden.
  Er diente bislang nur seit 1996 als Antrieb schwedischer U-Boote der Gotland-Klasse.
- Die erste Windmühle als Stromerzeuger baute der Schotte James Blyth 1887.

Wer von kommenden Technologiesprüngen redet, zeigt damit nur, daß er keine Sachargumente hat, statt dessen aber meint, technologische Entwicklungen durch politische Sonntagsreden beschleunigen zu können.
Siehe hierzu:
o Das Märchen von der Sonne, die keine Rechnung schickt
o Das Märchen von den neuen Stromspeichern
o Das Elektroauto-Märchen
o Das Geothermie-Strom-Märchen.

Der Kardinalfehler der letzten drei Regierungen in ihrer Energiepolitik war “die Festlegung auf einen bestimmten Energiemix. Die staatliche Aufgabe besteht eher in der Setzung eines fairen Rahmens als im Vorschreiben konkreter Technologien.” (IW Köln, 16.6.10).

Anstatt ideologisch bevorzugte, unakzeptabel teure Techniken ohne deren bitter nötige Weiterentwicklung mit Milliardensubventionen in den Markt zu drücken, wäre mehr Forschung und Entwicklung erforderlich.
“Doch der Bund hat seine Ausgaben für die Energieforschung in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgefahren.  Waren diese Mittel   bis 1982 auf fast 1,5 Milliarden Euro gestiegen, bewegen sie sich aktuell auf einem Niveau von ca. 500 Millionen Euro.” (IW Köln, 16.9.2010).

Vielleicht hätte man dazu die 1,4 Milliarden Euro gebraucht, die die Kraftwerksbetreiber eigentlich im Zuge der jetzt wieder abgeblasenen KKW-Laufzeitverlängerung allein 2016 in einen “Energie- und Klimafonds” zahlen sollten….

Nr. 12: Das Märchen vom Segen der Dezentralisierung
Schon lange wird als ein Gegenmodell zur stets bösen Großtechnologie – gemeint sind vor allem normale Kraftwerke – die Vision von unzähligen kleinen Stromerzeugern in den Häusern als die ideale Stromversorgungs-Struktur für unser Land propagiert.  Die technische Lösung sieht immer gleich aus: Ein Gas- oder Dieselmotor treibt einen kleinen Stromgenerator an; die Abwärme kann in den Wintermonaten der Hausheizung zugeführt werden.
Wegen der vielen Erzeuger ist die Versorgungssicherheit in einem derart dezentralisierten Netz ähnlich hoch wie bei der Nutzung unseres Verbundnetzes, an dem ebenfalls viele Kraftwerke – allerdings zumeist Großkraftwerke – hängen.

Würde man in einem Land mit maroder Infrastruktur leben, dessen Stromversorgung durch ständige Blackouts gekennzeichnet ist, dann wäre ein solches dezentralisiertes System unverzichtbar. Im Grunde müßte jeder Betrieb und fast jedes Haus so eine eigene kleine Stromerzeugungsanlage besitzen, wie wir sie nur als Notstromversorgung in extrem stromabhängigen Nutzern kennen: Kliniken, Rechenzentren, Flugplätze, Telefonzentren, Polizei, Feuerwehr.
In einem solchen maroden Land leben wir aber glücklicherweise nicht. Deshalb sticht das Argument der Versorgungssicherheit eines dezentralen Systems nicht – und das ist dessen einziger positiver Aspekt.

Betrachtet man seine Nachteile,  dann kommt einiges zusammen:
? Ein durch viele Kleinerzeuger aufgebautes Stromversorgungsnetz benötigt zu
100 Prozent chemische Energieträger: Erdgas (auch veredeltes Biogas), Benzin oder Diesel (ebenfalls ggf. mit Biosprit-Anteilen). In der Realität wäre Erdgas mit Abstand der häufigste Brennstoff. Damit ist der Betrieb dieser Kleinanlagen von den Mineralöl- und Erdgaspreisen bestimmt – und zu mindestens 95% von Importen abhängig. Die Preise bestimmen dann der Öl-Spotmarkt und Gazprom.
? Dieses weit überwiegend mit fossilen Energieträgern betriebene System erzeugt weitaus mehr CO2 als das System der CO2-freien Kernkraftwerke, der modernen Kohle- und Gaskraftwerke (GuD) mit ihren den Gas- und Dieselmotoren deutlich überlegenen höheren Wirkungsgraden. Für das dezentrale Stromnetz bedeutet das einen wesentlich höheren CO2-Ausstoß als beim Verbundnetz.
? Neben den hohen Brennstoffkosten spielen auch die erheblich höheren Investitionskosten bei den Kleinanlagen– gemessen in Euro pro erzeugter elektrischer Leistung in Euro / Kilowatt – eine Rolle.

Für den Ersatz eines 1000-MW-Kohlenkraftwerks wären ca. 330.000 Kleinanlagen á
3 KW erforderlich. Eine solche Kleinanlage kostet 8.000 – 22.000 Euro; das sind
3.700 – 7.500 Euro / kW.
(Mikro-BHKW-Vergleich, http://www.sanevo.de/ )

Zum Vergleich: Die Investitionskosten eines Kohlekraftwerks führen zu Kosten von
1.140 – 1.480 Euro / kW. 

Zusammengefaßt:
?  Gegenüber einem durch Kohlenkraftwerke versorgten Verbundnetz wäre ein   durch Kleinanlagen dominiertes Versorgungsnetz wesentlich teurer, wozu noch der Netzausbau im Mittelspannungs- und Niederspannungsnetz hinzu käme..
?  Die benötigten Import-Brennstoffe sind wesentlich teurer als heimische Braunkohle. oder Uran (Beispiel: Die anteiligen Urankosten einer Kernkraft-Kilowattstunde betragen 27% bei abgeschriebener Anlage,  8,1% bei KKW-Neubau; der Erdgaskosten-Anteil bei GuD-Gaskraftwerken beträgt 74%).
?  Deshalb würde der Strom im dezentralen Netz deutlich mehr kosten.
?    Der CO2-Ausstoß würde sich deutlich erhöhen.
? Die dezentrale Stromerzeugung hätte gegenüber dem jetzigen System keinen Vorteil bezüglich der Versorgungssicherheit.

Das dezentrale Stromversorgungssystem besitzt also keinen Vorteil, hat aber mehrere erhebliche Nachteile.

Nr. 13: Das Jobwunder-Märchen: “Erneuerbare” Energien schaffen viele Arbeitsplätze”
Dieses Argument wird ständig gebracht, aber exakt das Gegenteil dieser Behauptung stimmt: Jeder Arbeitsplatz, der durch Subventionen geschaffen wird, führt zur Vernichtung von mindestens 2,2 Arbeitsplätzen in der übrigen Wirtschaft.  Bei der besonders teuren Photovoltaik werden sogar doppelt so viele Arbeitsplätze pro geschaffenem subventionierten Öko-Arbeitsplatz vernichtet.
Der Mechanismus dieses Zerstörungsvorgangs, der übrigens für alle Subventionen gilt, ist simpel: Subventionen für Unternehmen oder deren Produkte, die am freien Markt keine Chance hätten, entziehen den Bürgern und der Wirtschaft Geld, das diese ansonsten für Konsum, Investitionen, Dienstleistungen etc. ausgeben würden. Das vernichtet Arbeitsplätze in diesen Branchen.
Hinzu kommt, daß die so künstlich geschaffenen Arbeitsplätze in der “grünen Industrie” zum weitaus größeren Teil nicht dauerhaft sind (siehe auch unten, IW Köln).
Diese Erkenntnisse sind in der internationalen Wirtschaftswissenschaft mehrfach bestätigt worden.
(s. Gabriel C. Alvarez et al, Universität Rey Carlos de Madrid, März 2009).

Das Institut der deutschen Wirtschaft IW Köln vergleicht die Beschäftigungswirkungen der erneuerbaren Energien mit Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen aus dem Kinderbuch über Jim Knopf und Lukas, den Lokomotivführer, der von weitem riesig wirkt, aber beim Näherkommen auf Normalmaß zusammenschrumpft.
Nach Angaben der Erneuerbaren-Branche arbeiteten dort über 300.000 Menschen.
“Wenn man genauer hinschaut, bleibt von diesem Jobwunder wenig übrig,” stellt das IW Köln fest (1.9.2010).  Nach einer BMU-Studie arbeitet weit mehr als die Hälfte dieser 300.000 – nämlich 184.000 Personen - nur dank laufender Investitionen in diesem Sektor. Ohne diesen Aufbaueffekt sehe es bei Sonne, Wind, Wasser, Biogas und Biomasse längst nicht so positiv aus: Nur etwa 53.000 Personen betreiben und warten die Anlagen, die Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen.  Insgesamt kommt die Energieversorgung in Deutschland auf 239.000 Beschäftigte.
Der Beschäftigung bei den Erneuerbaren steht zudem ein Abbau an anderer Stelle – bei den Industrieunternehmen, die unter den erhöhten Energiekosten leiden - entgegen.
“Betrachte man den Beschäftigungsaufbau in der Erzeugung von erneuerbaren Energien auf der einen und die negativen Effekte in den übrigen Energiesparten auf der anderen Seite, sind keine positiven Wirkungen für den Arbeitsmarkt zu erkennen.”
“Gemessen an allen 27,5 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Deutschland ist die Zahl der Arbeitsplätze (bei den Erneuerbaren) alles andere als beeindruckend: Nu 0,2% aller Arbeitnehmer kümmern sich um den laufenden Betrieb von Anlagen, die grünen Strom produzieren.”
(Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, 1.9.2010).

Deutsche Unternehmen exportieren erfolgreich Anlagen für Umweltschutz-Zwecke. Aber die Hoffnungen von den “Erneuerbaren” als Exportschlager für die Industrie sind längst geplatzt. 2006 fanden sich unter den zehn weltgrößten Windkraftanlagen-Herstellern noch vier deutsche. 2010 standen nur noch zwei Namen auf der Liste – wohl aber vier chinesische. Deutschland exportierte 2010 Solarstromanlagen für 138 Millionen Euro nach China; China exportierte im Gegenzug solche Anlagen im Wert von 5,9 Milliarden Euro nach Deutschland.

Nr. 14: Das Märchen vom Ökostrom
Viele Deutsche meinen es gut und geben Geld aus, um die Welt ein bißchen besser zu machen. Das ist natürlich anzuerkennen. Aber freigiebig locker gemachtes Geld lockt gewisse Leute an, die es gerne hätten, ohne die damit verbundenen Wünsche ernst zu nehmen. Schon länger fließt etliches Geld aus Deutschland über den Atlantik, um dort zum Beispiel eine Patenschaft für eine Fledermaus in Nicaragua, einen Ara in Brasilien oder ein paar Quadratmeter Regenwald in Costa Rica zu finanzieren. Manches davon mag seriös sein, aber seit längerem hat sich in Übersee für das treuherzige, unkritische Finanzieren gut gemeinter Projekte der böse Begriff “Stupid German Money” (Deutsches Idiotengeld) eingebürgert.

Auch in Deutschland selbst kann man zum Beispiel durch seine Stromrechnung die Heimat angeblich etwas grüner machen, vorausgesetzt, man kauft bei einem der zahlreichen Anbieter “Ökostrom”. Als Techniker ist man von diesen Vorgängen zunächst verwirrt, denn eins ist absolut klar: Aus der Steckdose eines jeden Kunden kommt überall der gleiche Strom, über dessen Quellen man sich erst am Jahresende ein Bild machen kann, wenn bilanziert wird, welche Erzeuger wieviel Strom eingespeist haben.
Für 2010 sah dieser Strommix folgendermaßen aus:
Kernenergie 22%, Erdgas 14%, Braunkohle 24%, Steinkohle 19%, Wind 6,2%, Wasserkraft 3,2%, Biomasse 5,6%, Photovoltaik 2%, Sonstige (Müll, Öl, Grubengas, Klärgas) 5%.
Die im EEG genannten “Regenerativen” (s.u.) haben also zusammen knapp 20%.

Wie sehen nun die Ökostrom-Angebote aus ?  Und was steckt tatsächlich dahinter ?

Variante A ist das Angebot, Wasserkraftstrom aus Deutschland zu liefern. Das bieten mehrere Stromversorger an. Einer dieser Anbieter schreibt: “In jedem Fall erhalten Sie ohne CO2-Emissionen produzierten Strom aus 100% Wasserkraft mit TÜV Nord-Zertifikat. Sie bestimmen, welcher Strom für Sie persönlich produziert wird. Aber nicht nur das: Sie sorgen dafür, daß der Anteil von Ökostrom im gesamten Netz immer größer wird.”
Bewertung: Die beiden ersten Sätze sind irreführend und haben mit der Realität nichts zu tun. Der dritte Satz würde nur dann eine Winzigkeit Wahrheit enthalten, wenn sich dieser Anbieter verpflichtet hätte, seine Gewinne selbst in neue Anlagen der regenerativen Energieerzeugung zu investieren. (Siehe Variante D). Davon ist aber in seiner Werbung nicht die Rede.
Daß der Kunde den vom Anbieter gekauften Wasserkraftstrom komplett erhält, ist schon physikalisch unmöglich. Ebenfalls unmöglich ist aber sogar, daß durch diesen Kauf der gläubige Ökostromkunde oder auch irgendein anderer Stromkunde auch nur eine Winzigkeit mehr regenerativen Strom an seiner Steckdose ankommen sieht.
Das verhindert nämlich das Erneuerbare Energie-Gesetz (EEG). Es bestimmt, daß die öffentlichen Netzbetreiber verpflichtet sind, sämtliche von den im EEG genannten Erzeugern (Wasserkraftwerke; Biomassekraftwerke; Geothermiekraftwerke; Windkraftanlagen; Photovoltaikanlagen; Stromerzeuger mit Deponiegas, Klärgas und Grubengas) produzierten Strommengen vorrangig – und das heißt restlos – gegen die gesetzlich festgelegte Vergütung anzukaufen. Anschließend müssen sie diesen Strom an einer Strombörse vermarkten.
Das bedeutet: Sämtlicher in Deutschland erzeugter regenerativer Strom wird qua Gesetz den Produzenten abgekauft – nichts bleibt an ungenutzten Kapazitäten übrig, deren Strom man noch extra als Ökostrom ankaufen und weiterverkaufen könnte.
Ebenso unmöglich ist es, daß der Ökostromkunde “selbst bestimmt, welcher Strom für ihn persönlich produziert wird.” Er bekommt wie alle anderen Verbraucher, die nichts extra bezahlen, z.Zt. knapp 20% Ökostrom – und kein bißchen mehr.

Variante B:  Wenn der Ökostrom nicht aus Wasserkraft, sondern angeblich aus anderen im EEG genannten regenerativen Quellen in Deutschland kommt, gilt das oben Gesagte genau so.

Variante C:  Ein Anbieter schreibt: “Es ist garantiert kein Atomstrom.” Und: “Unser Strom aus erneuerbaren Energiequellen in Norwegen wird aus Wasserkraft gewonnen. Aus 100% Wasserkraft.”
Bewertung:  Abermals gilt das oben zu der Unmöglichkeit der Beeinflussung des Strommixes an der Steckdose des Ökostromkunden Gesagte. Selbstverständlich erhält auch dieser Kunde seine ca. 20% regenerativ erzeugten Strom – und Wasserkraft hat daran (s.o.) ihre 3,2%. Deutsche Wasserkraft, selbstverständlich.
Das EEG-Argument gilt in diesem Falle nicht, denn es wird ja in Norwegen Strom eingekauft. Das klingt zwar besser, ist es aber auch wieder nicht. Norwegen hat viel Wasserkraft, aber nicht genug davon. Das hat zwei Konsequenzen: Zum einen brauchen und verbrauchen die Norweger ihren Wasserkraftstrom selbst. Und weil das nicht reicht, importieren sie Strom aus Schweden – und zwar Kernkraftstrom.
Kaufen Ausländer wie der deutsche Ökostromanbieter den norwegischen Wasserkraftwerken Strom ab, fehlt dieser im dortigen Netz. Weil die Wasserkraftwerke wegen des deutschen Käufers auch nicht mehr als ohne ihn produzieren, ist der Umweltnutzen dieses Geschäfts Null.  Es muß nur mehr Kernkraftstrom in gleicher Menge importiert werden. Und weil man im norwegischen Netz genau wie im deutschen einen Strommix hat – in diesem Falle Wasserkraftstrom und schwedischen Kernkraftstrom - , ist auch in dem nach Deutschland gelieferten Ökostrom doch zusätzlicher Atomstrom dabei – der sich dann im deutschen Netz mit dem deutschen Atomstrom vereinigen würde, wenn das bei Strom überhaupt ginge. An der Steckdose des Kunden ist wieder “garantiert” 22% weitgehend deutscher Atomstrom entnehmbar.
Ob der deutsche Ökostrom-Aufkäufer die Norweger zu einem weiteren Ausbau ihrer Wasserkraft veranlassen kann, ist eine gute Frage. Aber nur wenn genau das der Fall wäre, hätte es einen Einfluß auf den Strommix im norwegischen und deutschen Netz.

Variante D: Der Ökostromanbieter erklärt verbindlich, daß er seine Gewinne in neue Anlagen der regenerativen Energieerzeugung investieren wird. Dies finden die Umweltverbände gut, denen die anderen Varianten verständlicherweise wohl weniger überzeugend vorkommen.
Aber auch hierbei scheint der Umweltnutzen nur marginal zu sein: Es sind ja nicht die vom Kunden überwiesenen Ökostromkosten gemeint – der Löwenanteil davon geht an die vom EEG begünstigten Einspeiser, dann gibt es noch Verteilungskosten etc. – sondern nur die Gewinne, sofern sie anfallen. Außerdem befinden sich die Ökostromanbieter dann auf einem durch das EEG (d.h. durch die Zwangsabgaben der Verbraucher) recht lukrativ gewordenen Markt, in dem sich kapitalkräftige Investmentgesellschaften, EVU´s, Kommunen und andere Geldgeber tummeln.  Der Einfluß der Ökostromanbieter, hier noch Zusatzkapazitäten zu errichten, die man überhaupt quantitativ bemerkt, dürfte überschaubar sein.

Auch der Atomausstieg wird die vermeintlichen Ökostrombezieher nicht von dem 65-Prozent-Atomstrom-Kohlestrom-Alptraum aus ihrer Steckdose befreien, denn zum einen wird ja der deutsche Kernkraftstrom weitestgehend durch Atomstromimporte aus Frankreich und Tschechien ersetzt; zum anderen wird sich mittelfristig der Kohlestrom-Anteil erhöhen. Nur der weitere Ausbau von Wind- und Solarstrom kann diese 65% etwas absenken, aber der Preis dafür wird hoch (siehe das Märchen von den geringen Kosten der “Energiewende”).

Dennoch haben die Ökostromkunden in unserem Wirtschaftssystem eine Wirkung, wenn auch eine nicht von ihnen beabsichtigte:
Ihre Nachfrage nach regenerativ erzeugtem Strom bewirkt an den Strombörsen, an denen der Übertragungsnetzbetreiber seinen teuren EEG-Strom verkaufen muß, einen Preisanstieg. Den Netzbetreiber, der diesen Strom ursprünglich bei den Wasserkraftwerken und den anderen EEG-begünstigten Erzeugern ankaufen mußte,  freut das, denn er zahlt beim Ökostrom immer kräftig zu, weil der Strompreis-Erlös an den Börsen viel niedriger liegt als der gesetzlich festgelegte Ankaufspreis. Jetzt bekommt er also etwas mehr Geld an der Börse und seine Verluste, die er auf alle Stromkunden umlegen darf, sinken etwas.
Das Ökostromgeschäft führt somit zwar nicht zu mehr Ökostrom, - weder bei der Erzeugung noch beim Verbraucher - entlastet aber RWE, E.ON & Co. finanziell. Solche Wege nimmt die Entwicklung, wenn gutgemeinte Fördermechanismen auf Marktwirklichkeit stoßen.
“Eine Täuschung des Verbrauchers”, stellte dazu bereits 2008 Uwe Leprich von der Hochschule des Saarlandes fest. “Tatsächlich landet sein Geld größtenteils beim Atom- oder Kohlekraftwerksbetreiber.” (“Mogelpackung Ökostrom”, DER SPIEGEL, 7.1.2008).
Eigentlich müßte nun gemäß der Marktlogik auch der Endverbraucher-Strompreis etwas sinken. Aber mächtige Kräfte wirken in die entgegengesetzte Richtung: Die Stillegung preisgünstiger Grundlast-Kernkraftwerke, der Ersatz ihrer Strommengen durch teureren Importstrom, die Errichtung teuer produzierender schneller Gaskraftwerke für den Ausgleich der Solar- und Windkraft-Schwankungen, der riesenhaft geplante Ausbau des Höchstspannungsnetzes, der weiter gehende gewollte Ausbau der „Erneuerbaren“, deren Strom teuer angekauft und ins Netz eingespeist werden muß...

Wenn man es freundlich ausdrücken will, dann ist die deutsche Ökostrom-Liebe eine sympathische Liebhaberei. Diese Bezeichnung ist genau so gemeint, wie es die Finanzämter auch meinen, wenn sie das Tun der Steuerzahler einschätzen.

Nr.15: Das Märchen von der wirklich ergebnisoffenen Suche nach einem Endlager-Standort

Nach dem Willen der Regierung wird jetzt die lange vorbereitete Wahl des Atommüll-Endlagers Gorleben zur Seite geschoben und eine neue landesweite Suche angekündigt. Die Ministerpräsidenten der Länder wurden damit schauspielerisch hart gefordert, denn sie mußten große Freude darstellen, während sie sich die Reaktion ihrer Bürger vorstellten, falls das absolut endgültige Suchergebnis in ihr Land fallen würde. Dabei kam eine besondere Begabung der Spitzenpolitiker in der Disziplin des gehobenen politischen Ausdruckstanzes zum Einsatz: Der Eiertanz.
An der bayerischen Landesregierung konnte man das besonders schön sehen: Der urplötzlich ergrünte Ministerpräsident Seehofer spielte eine schwierige Doppelrolle, indem er die Pläne der Kanzlerin, jetzt überall nach geeigneten Atommüll-Endlagerstätten zu suchen, wärmstens befürwortete, aber zugleich durchblicken ließ, daß doch wohl Bayern nicht gemeint sein könne. Auch andere Ministerpräsidenten bezeugten zähneknirschend ihre Freude über das Kuckucksei.

Weshalb ist dies alles ein Märchen ?
Die Antwort lieferte am 17.6.2011 Dr. Klaus Tägder in einem “Aufgabe erfüllt” getitelten Leserbrief an den Bonner Generalanzeiger.
Zitat: “Diverse Politiker haben die Debatte um einen Endlagerstandort wieder angestoßen. Alle geologischen Aspekte müssten auf den Prüfstand, Deutschland müsse erst mal ausgeleuchtet werden. Ihnen sei gesagt – und eigentlich sollten sie es wissen: Diese Aufgabe hat das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe bereits vor Jahren erfüllt. In seinem im August 2006 vorgelegten Bericht fasst das Amt die Forschungsergebnisse über Regionen mit den in Deutschland potenziell geeigneten Gesteinsformationen Steinsalz, Kristallin und Tongestein zusammen. Als Grundlage der Bearbeitung dienten alle verfügbaren Daten aus Karten, Archivmaterial und Bohrungen, heißt es in dem Bericht. Fernerhin: “Für die Auswahl von potenziellen Wirtsgesteinen für die Endlagerung ....in tiefen geologischen Formationen in Deutschland wurden international anerkannte geowissenschaftliche Auswahlkriterien und Mindestanforderungen sowie zusätzliche aus geowissenschaftlicher Sicht als maßgeblich zu betrachtende Kriterien herangezogen.”
Die Eigenschaften potenzieller Wirtsgesteine wurden vergleichend bewertet. In einer Karte sind die untersuchungswürdigen Regionen mit Steinsalz- und Tonformationen zusammengestellt. Kristallgestein (zum Beispiel Granit) wurde wegen eindeutiger Nachteile gegenüber Steinsalz- und Tonformationen in der Karte nicht mit aufgenommen.”

Für diesen Artikel hat Klaus Tägder nun weitere, ausführlichere Informationen über die bald unendliche deutsche Endlagergeschichte beigesteuert:
“Die bereits in den frühen 60er Jahren getroffene Empfehlung für Salz als Wirtsgestein für die Endlagerung basiert vorrangig auf der Undurchlässigkeit und der Kriecheigenschaft (Konvergenz) des Steinsalzes und somit auf dem vollständigen Einschluß der Abfälle, ferner auf der guten Wärme(ab)leitfähigkeit – eine für hochradioaktive und daher wärmeentwickelnde Abfälle wesentliche Eigenschaft.
Überdies sind die Kenntnisse über Steinsalzvorkommen in Deutschland im Vergleich zum Kenntnisstand über Tongesteins- und Kristallinvorkommen (z.B. Granit) nach Aussage des Bundesamtes BGR wesentlich größer.
Erinnert sei auch an die Erklärung der Bundesregierung zur Salzstockerkundung in Gorleben, die sie im Rahmen der Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen vom 14.06.2000 abgab. Darin heißt es (Zitat): “Die bisherigen Erkenntnisse über ein dichtes Gebirge und damit die Barrierefunktion des Salzes wurden positiv bestätigt. Somit stehen die bisher gewonnenen geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit (Nutzung des Salzstocks für den vorgesehenen Zweck) des Salzstocks Gorleben ....nicht entgegen.” Gleichwohl erließ die Regierung ein mindestens dreijähriges, höchstens zehnjähriges Moratorium (d.h. Untätigkeit) in der Salzstockerkundung zur zwischenzeitlichen Klärung sicherheitstechnischer Fragen. Diese Klärung lieferte im Ergebnis keine neuen Erkenntnisse. Dieses Moratorium war somit ein politischer Schachzug, um das Argument der fehlenden Endlagerung so lange wie möglich aufrecht erhalten zu können.

Wieso war die Wahl auf Gorleben gefallen ?
Die Standortsuche, die bereits 1964 einsetzte, war ein 12-jähriger mehrstufiger Prozess, an dessen Ende von ursprünglich 166 in Augenschein genommenen Standorten nach zuvor festgelegten, breit gefächerten Auswahl- und Ausschlusskriterien nur zwei gleichwertige Standorte, beide in Niedersachsen, übrig blieben. Einer davon war der Standort Gorleben, für den sich die Niedersächsische Landesregierung 1976 entschied. Die Entscheidung fiel im Konsens zwischen Bund, Land, Standortregion und –gemeinde ! Über Einzelheiten des Entscheidungsprozesses gibt die vom Niedersächsischen Umweltministerium 2010 vorgelegte Expertise zur Standortauswahl ausführlich Auskunft.
Sind sich die Politiker, die Deutschland auf weitere Standorte hin “durchleuchten” lassen wollen, eigentlich darüber im Klaren, daß sie eine Kette von Untersuchungen fordern, von denen jede einzelne auf die Erarbeitung des umfassenden Kenntnisstandes hinausläuft, den man gegenwärtig über den Salzstock Gorleben hat ? Nur so ließe sich ein wirklicher Vergleich durchführen. Ein derartiger Vergleich bedeutet nichts anderes als die vielfache Anwendung der gleichen Untersuchungstiefe, die nach Absolvierung der Standort-Vorauswahl schließlich bei Gorleben angewendet wurde. Und das würde sehr teuer werden:
Die Kosten allein der Salzstockerkundung in Gorleben belaufen sich bisher auf ca. 1,6 Milliarden Euro, die nach dem Verursacherprinzip fast vollständig von den Abfallverursachern bereits aufgebracht werden mußten. Angesichts der von der Bundesregierung bestätigten positiven Untersuchungsergebnisse zum Salzstock Gorleben hätten sie nun wohl gute Aussichten, sich gerichtlich gegen die erneute Kostenübernahme von alternativen Standort-Intensivuntersuchungen zu wehren, die in jedem Einzelfall abermals um eine Milliarde kosten können.
Eine intensive Suche nach anderen Standorten könnte unter Umständen dazu führen, daß man einen findet, der gewisse Vorteile gegenüber Gorleben hat, aber ebenso auch wieder Nachteile. Auf jeden Fall würde viel Zeit vergehen und sehr viel Geld verbraucht werden.

Wie müßte die Regierung vorgehen, um möglichst rasch und mit dem geringsten Geldaufwand
zu einer Entscheidung über ein Endlager zu kommen ? Sehr einfach: Die Prüfung von Gorleben zu Ende bringen. Eine endgültige Entscheidung über die Eignung dieses Standortes ist in Kürze möglich und würde ca. eine weitere Milliarde Euro kosten. Bei einem “ja” wäre die Hängepartie zu Ende.
Nur bei einem “nein” müßte man eine Suche nach alternativen Standorten beginnen.

Aber bei diesem Vorgehen hätte man in absehbarer Zeit mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, die sich aus den bisherigen gründlichen Vorarbeiten ergibt, das geeignete Endlager gefunden: Gorleben. Es wäre der Abschied von dem Dauerargument der ungelösten Endlager-Frage und es sieht nicht danach aus, daß jemand ehrlich eine Antwort wünscht.

Schlußwort
Die deutsche Angstpolitik ist nun Wirklichkeit. Für eine Hoffnung auf eine Rückkehr zu einer realistischen Politik besteht für mehrere Jahre kein Anlaß. Erst nachdem massive Schäden eingetreten sind, die sich politisch auszuwirken beginnen, könnte es zu einer Rückbesinnung kommen, allerdings wohl nicht innerhalb der zur Zeit im Bundestag vertretenen Parteien. 
Daß sich ein führendes Industrieland ohne real existierende Probleme nur aus Angst selbst wirtschaftlich ruiniert, ist in der Geschichte einzigartig.

Der Autor hat nicht die Hoffnung, mit seinen Zeilen noch irgend etwas an diesem Prozeß aufzuhalten; das wäre realitätsfern. Das mußte nur einfach aufgeschrieben werden, damit es jemand liest. Tatsächlich ist es kein Artikel , sondern ein Nachruf.

Siehe auch Teil 1 und 2

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Günter Keil, Gastautor / 06.10.2017 / 10:57 / 15

Elektrisch um die Ecke biegen: Gas – die bessere Alternative (9)

Von Günter Keil. Die politische Verblendung, Autos unbedingt elektrisch antreiben zu wollen, ignoriert eine schon lange eingeführte und bewährte Technik, die unter Umweltgesichtspunkten weitaus besser…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 05.10.2017 / 10:57 / 2

Elektrisch um die Ecke biegen: Die Physik gibt keinen Idiotenrabatt (8)

Von Günter Keil. Die Physik gibt keinen Idiotenrabatt Viele Medien haben beschlossen, den von den Autokäufern weitgehend boykottierten Durchbruch der Elektroautos, den sie ständig beschwören,…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 04.10.2017 / 10:00 / 0

Elektrisch um die Ecke biegen: Bringen es neue Batterien?  (7)

Von Günter Keil. Bringen Batterie-Neuentwicklungen den Durchbruch ? Die zahlreichen in der Presse erwähnten neuen Batterieentwicklungen sollte man also vor dem Hintergrund der trotz ihrer…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 03.10.2017 / 10:42 / 0

Elektrisch um die Ecke biegen: U-Boote zeigen die Grenzen (6)

Von Günter Keil. Einen zwar indirekten, aber sehr klaren Beweis dafür, dass es bisher keine dem Blei-Säure-Akku in jeder Hinsicht überlegene Batterietechnik für Antriebszwecke gibt,…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 02.10.2017 / 10:00 / 0

Elektrisch um die Ecke biegen: Batterien als Umweltkiller (5)

Von Günter Keil. Die Batterieproduktion ist alles andere als umweltfreundlich. Bei allen Energie konsumierenden Geräten und Anlagen sollte man sich auch deren energetische Entstehungsgeschichte näher…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 01.10.2017 / 11:30 / 0

Elektrisch um die Ecke biegen: Ein 136 Jahre altes Dilemma (4)

Von Günter Keil. Das Bündel schwerwiegender Nachteile des Elektroautos hat eine 136 Jahre alte Ursache: Die Batterien. Die Angebote der Industrie an E-Autos überzeugten bisher…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 30.09.2017 / 06:05 / 0

Elektrisch um die Ecke biegen: Alte Idee, neues Etikett (3)

Von Günter Keil. Der nächste Versuch, das tote Pferd Elektromobilität wiederzubeleben, erfolgte durch das Kabinett Merkel I im August 2009, also gerade einmal zwei Monate…/ mehr

Günter Keil, Gastautor / 29.09.2017 / 12:35 / 4

Elektrisch um die Ecke biegen: Die Liebe der Politiker (2)

Von Günter Keil. Politiker, die gemeinhin von Technik wenig verstehen, zeigten stets ein großes Faible für Elektroautos. Es waren wohl dessen positive Eigenschaften, die einen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com