Peter Grimm / 27.02.2018 / 06:28 / Foto: Pixabay / 42 / Seite ausdrucken

Drei Prozent Hoffnung

Je weniger man die Realität ausblendet, desto surrealer wirken die Ergebnisse des CDU-Parteitages. Vor allem angesichts dessen, was zur Abstimmung stand, nämlich ein Koalitionsvertrag, der allen kunstvollen Formulierungen zum Trotz, durch weitgehende Selbstaufgabe der CDU-Inhalte und Ministerämter zustande gekommen ist. Gut, es ist natürlich eine Frage der Maßstäbe. Misst man den Vertrag am eigentlich noch gültigen Grundsatzprogramm, dann muss es sich bei der Partei, die nun so überwältigend zugestimmt hat, um eine andere Vereinigung gleichen Namens handeln, wenn deren Parteitagsdelegierte wirklich glauben, ihre Inhalte im Koalitionsvertrag wiederfinden zu können.

Nun hat die CDU ihrer Kanzlerin immerhin keine hundert Prozent a la Martin Schulz beschert, aber diese 97 Prozent für den Koalitionsvertrag wirken mindestens so surreal wie die Einstimmigkeit, die die Genossen im letzten Jahr noch ihrem Hoffnungsträger bescherten. Eigentlich ist es ja etwas billig, wenn man, geprägt durch ein paar Lebensjahrzehnte im SED-Staat, bei jedem Abstimmungsergebnis jenseits der 95-Prozent-Marke immer an die vorbestimmten DDR-Wahlergebnisse denken muss.

Das ist natürlich ein unzulässiger Vergleich, denn unter hundert Prozent gab es in der DDR zwar bei den „Wahlen“, zu denen die Bevölkerung an die Urne genötigt wurde, jedoch SED-Parteitage waren ohne Einstimmigkeit unvorstellbar. Aber lassen wir diesen kleinkrämerischen Blick. Ich hätte den sich aufdrängenden und daher recht angestaubten Vergleich auch nicht aus der Schublade gezogen, wenn mich nicht schon die Rede der Bundeskanzlerin und der drehbuchgerechte lang anhaltende Beifall an die Wirklichkeitsnähe von SED-Parteitagen in der DDR-Endzeit erinnert hätte.

Während die Gesellschaft mehr und mehr zerrissen wird, ein normaler Diskurs über so existenzielle Fragen wie die Massenzuwanderung, die Gefahr durch islamistischen Terror, die Schulden- und Währungskrisen oder der desaströse Zustand der Europäischen Union immer unmöglicher wird und sich die Menschen an Sprechverbote und Vorformen der Zensur gewöhnen, hält die Hauptverantwortliche für die entstandene Lage eine Rede, als lebten wir inmitten blühender Landschaften voll betörender Buntheit.

Die CDU hat schließlich so viele Wahlen gewonnen in Merkels Amtszeit, jetzt nach harter Arbeit eine Regierungsbildung fast vollendet, erneuert sich und ist vom Wähler mit einem Regierungsauftrag ausgestattet. Die Wirtschaft floriert, die Einnahmen steigen und allen geht es gut. Ach ja und diese Zuwanderung habe man ja auch im Griff. Steht doch schließlich im Koalitionsvertrag. Offenbar ist eine jährliche Großstadt Zuzug aus Arabien und Afrika, zusätzlich zum Millionenheer, das in den letzten zwei Jahren schon zugewandert ist, eine Situation, die unseren Regierenden als beherrschbar gilt und das gute Leben im Land nicht beeinträchtigt.

Würdigung des Kanzlerinnenwerks

Eine Stadt nach der anderen verhängt bzw. verlangt wegen Überforderung Zuzugssperren für Asylbewerber, das Vertrauen in den Staat erodiert, die Infrastruktur in weiten Teilen Deutschlands zerbröselt, weil im Lande der schwarzen Null zwar für diverse Ausgaben Milliarden zu mobilisieren waren, nur nicht für hinreichende Investitionen in Straßen, Bahnen sowie Energie- und Kommunikationsnetze. Und wovon ist bei der Kanzlerin die Rede? Von Erfolgen, Erfolgen und nochmals Erfolgen.

Allenfalls in Nebensätzen dürfen Probleme aufscheinen. Auch bei den Parteitagsrednern gab es nur ganz wenige, die klare Kritik übten, ohne sie in eine grundsätzliche Würdigung des Kanzlerinnenwerks oder ihre generelle Zustimmung zum Koalitionsvertrag einzubetten. Sollte jemand gehofft haben, es gäbe mehr Mutige in der CDU, die einen Politikwechsel hin zu den früheren Programminhalten fordern würden, und lautstark den Anspruch erheben, die Partei möge sich endlich den unangenehmen, den schweren, aber die Bevölkerung zuvörderst beschäftigenden Themen zuwenden, der wurde enttäuscht. Aber hatte das jemand gehofft?

Vielleicht war eine ernstzunehmende Hoffnung wirklich nicht weit verbreitet, doch es gab sicher so manches CDU-Mitglied und bestimmt auch etliche Wähler, die ein Signal erwartet haben. Ein Signal, ob sich ihre Partei weiter von ihnen abwendet und sie sich deshalb auch von der Partei abwenden. Viele dieser (einstigen?) Parteigänger haben wahrscheinlich auf ein kleines Signal der Hinwendung gehofft.

Nun, da es ausgeblieben ist und wenn es auch weiter ausbleibt, wird sich das in den Wahlergebnissen niederschlagen. Die Beobachter werden vom Niedergang der Volksparteien fabulieren. Dabei ist das kein Naturgesetz, aber seit die Volksparteien immer stärker versuchen, das Volk zu erziehen, statt sich um dessen elementare Interessen zu kümmern, verabschieden sich die umerziehungsunwilligen Wähler.

Die Entfernung der Partei von der Wirklichkeit mag manchen Funktionären zwar gut ins Weltbild passen, aber es rächt sich früher oder später immer. Die Wirklichkeit ist am Ende einfach stärker. Doch 97 Prozent haben sich zum Parteitagsschluss lieber für das koalitionstaugliche Weltbild entschieden. Wer also Hoffnungen in eine erneuerte CDU setzen möchte, kann – sollten Parteitagsdelegierte repräsentativ sein – zunächst nur auf drei Prozent setzen. Ein schwaches Fundament. Ein vorheriger Ausflug der Delegierten an die Essener Tafel hätte vielleicht geholfen, die drängendsten Fragen nicht außer Acht zu lassen.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Bettina Federlein / 27.02.2018

97 % haben somit für den Niedergang dieser „Volkspartei“ gestimmt. Sie haben sich nicht nur für eine Politik des „weiter so“ sondern des „noch mehr davon“entschieden. 97 % haben es somit mit überwältigender Mehrheit befürwortet, Schlüsselministerien der völlig desolaten SPD zu opfern, um ihrer Kanzlerin den Machterhalt zu sichern. Diese Partei hat den Niedergang verdient und „ich freue mich drauf“. Bleibt für die BTW 2021 zu hoffen: „In jedem Ende liegt ein neuer Anfang“ (Miguel de Unamuno y Yugo).

Michael Fasse / 27.02.2018

Dieser Parteitag ist ein wunderschönes Beispiel für Dekadenz! Ein Merkmal von Dekadenz ist das völlige Verkennen der Wirklichkeit. Man lebt wohlig und warm in seiner Wohlstandsblase und verliert den Blick für das Geschehen „da draußen“.

Wolfgang Lang / 27.02.2018

Auch die CDU geht den Weg der SPD. Es gilt nun Dantes Satz: “Die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren.“

Liane Handke / 27.02.2018

Über die angeblich angegriffene, geistige Gesundheit von Trump wird seit ca. zwei Jahren von vielen deutschen Medien intensiv spekuliert. Über die vielen Versprecher, die Konzentrationsmängel, die unsachlichen und sich widersprechenden Aussagen und das immer öfter merkwürdig entrückte Gesicht der Kanzlerin wird dagegen nie berichtet.

Gabriele Schulze / 27.02.2018

“Die Wirklichkeit ist am Ende stärker” - Ihr Wort in Gottes oder wessen auch immer Gehörgang! Hoffentlich erlebe ich dieses Ende noch. Die andauernde Zustimmung der CDU-Parteitagsmitglieder erinnert im übrigen an die AA-Regel, derzufolge man nur an die nächsten 24 Stunden denken soll, Hauptsache immer irgendwie weiter. Oder: Augen zu und durch…

Werner Arning / 27.02.2018

Mut, Widerstand, eigene Meinung, Aufmüpfigkeit, das sind wohl Dinge, die nicht so recht zu einem CDU-Parlamentarier passen (Ausnahmen gibt es). Doch allgemein charakterisiert “den CDUler“ doch wohl eher eine angepasste Bravheit. Unterordnung fällt ihm nicht schwer. Und zwar Unterordnung gegenüber einem Chef oder einer Chefin, egal was diese will, egal was diese sagt. Repräsentiert der typische CDUler den typischen Untertan? Der, der in jedem Regime gut zurecht kommt? Ist ihm eine eigene Meinung gar nicht wichtig, hat er wenig persönlichen Stolz? Geht es ihm nur um seine Karriere, um sein berufliches Weiterkommen? Man könnte es vermuten, ansonsten wären die 97% schwer zu erklären und das intensive Klatschen genauso wenig.

Heiko Stadler / 27.02.2018

Es geht den 97% der CDU-Abgeordneten nicht um Inhalte, sondern um Umfragewerte. Merkel hätte auch den Beipackzettel eines Medikaments vorlesen können. Sie hätte den selben Applaus bekommen, solange die Umfragewerte noch über 30% liegen. Die Merkel-Klatscher übersehen aber, dass Massen an CDU-Wählern zur AfD abwandern. Dieser Verlust wird aber durch die Abwanderung der SPD-Wähler zur CDU hin ausgeglichen. Sobald aber die SPD-Auflösung abgeschlossen ist, bekommt die CDU die Umfragewerte, die sie wirklich verdient hat.

Andreas Rochow / 27.02.2018

Spalier und Applaus für die mächtigste Frau der Welt, die sich auf dem CDU-Parteitag wie eine Lichtgestalt feiern lässt und nun mit altem Schwung ihre Große Transformation ihres Landes (Merkel: “Mein Land”, in dem sie sich nicht entschuldigen muss für ein freundliches Gesicht) planmäßig fortführen kann! Als ob es nicht dringend etwas zu richten gäbe. Viel Zeit bleibt nicht mehr für einen Untersuchungsausschuss Merkel. Dass sie ihren neuer Hofstaat in Stellung gebracht hat, sollte das Parlament nicht daran hindern. Schließlich stammte der Applaus von Parteitagsdelegierten und nicht vom Parlament. Diese kalte Machtdemonstration wirbt nicht um den letzten Groko-Skeptiker; sie macht angst und bange! Und oh Witz: Entscheidend war am Ende, dass ARD, ZDF und Deutschlandfunk - ihr täglicher Huldigungsapparat - geschlossen für sie und die große Koalition geworben haben. Das sind Zeiten. Zu irre um wahr zu sein!

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