Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 06.03.2008 / 20:02 / 0 / Seite ausdrucken

Dr. Darnstädt, Professor Herzog und die deutsche Demokratie

In der Süddeutschen Zeitung macht sich Altbundespräsident Roman Herzog Gedanken darüber, ob die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung in Hessen Anlass zu einer Überdenkung des Wahlrechts sein sollten. Ob man ihm in seinen Gedankengängen folgen mag oder nicht: Herzogs Überlegungen sollte man ernsthaft diskutieren. Das gebietet nicht nur der Respekt vor dem früheren Präsidenten, sondern auch vor seiner Erfahrung als Staatsrechtler und ehemaliger Verfassungsrichter.

Was Thomas Darnstädt bei SPIEGEL online schreibt, ist gerade deshalb ärgerlich. Er reduziert Herzog nämlich auf einen weltfremden Wissenschaftler, der zur Senilität neigt. Zitat:

“Vom ehemaligen Bundespräsidenten und ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Professor Doktor Roman Herzog lernen wir nun, dass es auch einfacher geht: durch Änderung des Wahlrechts. Dies legt ein Aufsatz des greisen Staatsrechtlers der deutschen Demokratie ans Herz ...”

Wenn akademische Titel in Artikeln ausgeschrieben werden, dann ist die Aussage klar. Es handelt sich bei dem Kritisierten um den Bewohner eines Elfenbeinturms. Ungute Erinnerungen an den wahlkämpfenden Kanzler Schröder mit seinen Bemerkungen über “diesen Professor aus Heidelberg” werden wach. Dabei wundert man sich bei Thomas Darnstädt, pardon: Dr. Thomas Darnstädt, umso mehr, ist er doch selbst promovierter Jurist - wie man dem Klappentext seines (übrigens hervorragenden) Buchs “Die Konsens-Falle” entnehmen kann mit Schwerpunkt Staatsrecht. Im Grunde also ein Streit unter Kollegen: auf der einen Seite der Mitautor eines hochangesehenen Grundgesetzkommentars Prof. Dr. Herzog, auf der anderen der SPIEGEL-Redakteur Dr. Darnstädt. Kollegiale Meinungsverschiedenheiten ließen sich allerdings auch anders formulieren, gerade unter Juristen.

Ist der Bezug auf die Titel Roman Herzogs nur unangebracht, so ist das Adjektiv “greise” aber gelinde gesagt eine Frechheit. Was Darnstädt damit zum Ausdruck bringen will, bedarf wohl kaum einer Interpretation. Wenn es Darnstädt jedoch um Herzogs Thesen geht, warum greift er dann die Person Roman Herzog an?

Vergleichsweise abstrus wird es jedoch am Ende von Darnstädts Kommentar. Dort kann man lesen, dass wir uns die deutsche Demokratie der letzten 40 Jahre nur eingebildet haben:

“In einem Augenblick, da Deutschlands blockierter Parteien-Staat zum ersten Mal seit 1968 so etwas wie demokratische Politik zulässt - zulassen muss -, kommt Roman Herzog und erklärt uns allen, dies sei hoch gefährlich. Herr Professor, reden wir vom selben Grundgesetz?”

Über die Zeit von 1968 bis 2008 kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein, aber dass es sich dabei nicht um demokratische Politik gehandelt habe, darauf muss man erst einmal kommen. Dabei braucht man noch nicht einmal an die großen Regierungswechsel auf Bundesebene denken. Auch auf Landes- und Kommunalebene ist an Bündnissen inzwischen fast alles durchgespielt worden, was rechnerisch möglich war. Und nun kommt Herr Darnstädt, um seinen erstaunten Lesern zu erklären, dass erst das Auftauchen der postkommunistischen Linken die Demokratie ermöglicht hat - und erklärt gleichzeitig, dass ausgerechnet Roman Herzogs Gedankenspiele eine Gefahr für die Demokratie sind. Welch eine Verdrehung der politischen Realitäten.

Herzogs Vorschläge sind weder neu noch originell. Überlegungen zu einem anderen Wahlrecht hat es in der Vergangenheit immer wieder einmal gegeben. Aber sie derart polemisch und auf die Person zielend zurückzuweisen, tut weder der Diskussion gut, noch spricht es für den Kommentator.

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