Der Tag im Januar 2005, den Hillary Clinton wahrscheinlich gerne aus ihrem Gedächtnis streichen würde, liess sich locker an für die frühere First Lady der Vereinigten Staaten. «Bo, ich liebe Sie», rief Clinton Bo Dietl zu, einem Kommentator des konservativen TV-Senders Fox News. Der wunderte sich, politisch lag man ja über Kreuz, doch egal: Schliesslich war man hier, in Palm Beach, Florida, zusammengekommen, um die «Hochzeit aller Hochzeiten» (Dietl) zu feiern, die Vermählung Donald Trumps, des New Yorker Immobilien-Tycoons, mit seiner dritten Ehefrau Melanija Knavs, einem 24 Jahre jüngeren slowenischen Ex-Model.
Zehn Jahre später sind Clinton und Trump potenzielle Rivalen: Sie bewirbt sich um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten, er um die der Republikaner. Seither liebt es die Weltpresse, sich von ihm schockieren zu lassen. Und Trump spielt gerne mit: Erst beleidigte er mexikanische Einwanderer («Das sind Vergewaltiger»). Dann liess er seinen Parteikollegen John McCain, der im Vietnamkrieg gefoltert worden war, wissen, ihm seien Soldaten lieber, die sich nicht gefangen nehmen liessen. Schliesslich behauptete er, sein Mitbewerber Lindsey Graham würde in der freien Wirtschaft nirgends einen Job finden, und gab dessen angebliche Handynummer heraus.
Selbstironie kann man Trump nicht absprechen: «Wir brauchen einen Anführer, der ‹Die Kunst des Verhandelns› geschrieben hat», sagte er unter Bezugnahme auf sein eigenes literarisches Werk. Aber sein Humor hat auch eine bösartige Seite: Nachdem ihn der konservative Kolumnist Charles Krauthammer einen «Rodeo-Clown» genannt hatte, maulte Trump, er müsse sich doch nicht von einem Kerl beleidigen lassen, der sich nicht einmal eine Hose kaufen könne. Krauthammer ist seit einem Unfall querschnittgelähmt.
Donald Trump hält den Berufspolitikern aus beiden Parteien den Spiegel vor: ein reicher Mann, der seine Mitbewerber dafür verachtet, dass sie sich von seinesgleichen kaufen lassen. «Mein einziges Sonderinteresse sind die Vereinigten Staaten von Amerika», sagt er. Seine Gegner hingegen seien käuflich. Nachdem fünf seiner republikanischen Konkurrenten dieser Tage nach Kalifornien gefahren waren, um an einer Spenderkonferenz der Koch-Brüder teilzunehmen, zweier schwerreicher Industrieller, höhnte Trump am Sonntag auf Twitter: «Ich wünsche allen Republikanern, die in Kalifornien um Geld betteln, viel Erfolg. Marionetten?»
Damals, an jenem Dezembertag in Florida, changierte die Gästeschar zwischen illuster und halbseiden. Dabei waren, unter anderem: Oprah Winfrey (Talkshow-Kaiserin), Anna Wintour (Chefredaktorin der US-«Vogue»), Sylvester Stallone («Rocky»), Chris Matthews (Moderator MSNBC, politisch weit links) und Shaquille O’Neal (Basketball-Profi). Wollte man eine politische Einordnung vornehmen, man müsste konstatieren, dass Trumps Gäste tendenziell eher dem linksliberalen Lager angehörten. Aus heutiger Sicht mag das verwunderlich wirken, doch ist es das eigentlich nicht, schliesslich ist Trump aus
New York: Dort dominieren die Demokraten, was bei der Verteilung von Spendengeldern zu berücksichtigen ist.
Wer Geld von Trump genommen hat, ist auch heute noch leicht zu erkennen: Durch seine Verstösse gegen die politische Korrektheit mag er sich für manche unmöglich gemacht haben, doch andere halten ihm die Stange: «Ich mag Donald. Er ist ein guter Typ», sagt Chris Christie, der republikanische Gouverneur von New Jersey. Hillary Clintons Ehemann Bill, der demokratische Ex-Präsident, hat erst vor Kurzem noch treuherzig darauf hingewiesen, zu Hillary und ihm sei Trump «immer sehr nett» gewesen.
Donald Trump ist ein Geschöpf New Yorks: ein Prahler mit der sentimentalistischen Grosskotzigkeit eines Frank-Sinatra-Songs. «Larger than life», grösser als das Leben, wie sie hier sagen: «Ich habe ein Vermögen gemacht, ein grosses Vermögen, ein grösseres, als sich die Leute überhaupt vorstellen können», sagt er. «Die Leute lieben mich. Jeder liebt mich.»
Geboren wurde er 1946 in Queens, dem östlichsten Bezirk New Yorks. Trump ist kein Getto-Kid, er entstammt der Mittelschicht, doch war es ein eher raues Umfeld, in dem er aufwuchs: Gelegentlich musste man den besseren Spruch auf den Lippen haben oder wenigstens schneller zuschlagen, um auf Dauer obenauf zu schwimmen. Mit 13 wurde er der Highschool verwiesen, angeblich, nachdem er seinen Musiklehrer niedergestreckt hatte, worauf Frederick Christ Trump seinen Sohn auf die New York Military Academy schickte, ein Militärinternat.
Auch wenn manche ihn nun als Idioten darstellen wollen, dumm ist Donald Trump nicht. Seine weitere Ausbildung absolvierte er an der University of Pennsylvania, einer Elitehochschule. Ausschlaggebend dafür waren eher pragmatische Überlegungen als intellektuelle Neugier: Es gab damals nur eine einzige Hochschule, die den Studiengang Immobilienwirtschaft anbot.
Frederick Trump, der Begründer des Trumpschen Immobilien-Imperiums, residierte damals noch an der Avenue Z, dort, wo Brooklyn bis heute proletarisch ist, wo statt trendiger Cafés russische Delikatessenläden und Nagelstudios ihre Kundschaft finden.
Über dem nahen Rummelplatz von Coney Island, in dem das Volk das grosse Vergnügen zum kleinen Preis suchte, liess Frederick Trump bunte Luftballons aufsteigen, an denen Gutscheine über 50 Dollar hingen, die beim Kauf eines Trump-Apartments eingelöst werden konnten. Der Genius Loci der Gegend wird womöglich am besten an jedem 4. Juli fassbar, dem Unabhängigkeitstag, wenn sich bei Nathan’s Famous simple Gemüter zum grossen Hot-dog-Wettessen einfinden (Rekordhalter 2015: Matt Stonie, 62 Hotdogs; bei den Frauen Miki Sudo, 38).
Ein Leben im Geist eines Hot-dog-Wettessens führt auch Donald Trump: höher, schneller, weiter. Anfang der Siebzigerjahre zog er auf die andere Seite des East River, nach Manhattan, wo es um ganz andere Summen ging als in Brooklyn oder Queens: Zehn Milliarden Dollar besitzt Trump gemäss eigenen Angaben, auf 4,3 Milliarden schätzt das Wirtschaftsmagazin «Forbes» sein Vermögen. Selbst die Höhe der Schulden, die er in den Neunzigerjahren hatte, übertrieb er, um das eigene Comeback umso glanzvoller aussehen zu lassen. «Neun Milliarden oder 3,6, was spielt das für das Publikum schon für eine Rolle?», fragte er später, was nur konsequent war, denn schliesslich ist das Leben des Donald Trump vor allem eines, nämlich eine Show.
Als Unternehmer ist Trump ein blindwütiger Expansionist, der die eigene Marke auf geradezu manische Weise auf immer weitere Branchen ausdehnt: Wodka, Glace, ein Magazin, Brettspiele, Golfplätze, eine Fluglinie, sogar eine sogenannte Universität, all das gab oder gibt es unter dem Label TRUMP. 2004 erfand er «The Apprentice», eine TV-Show, die das kapitalistische Erfolgsrennen zum Unterhaltungsformat machte. Hauptpreis war eine Stellung in einer der Trumpschen Unternehmungen, in jeder Folge wurde einer der Kandidaten vom Patron mit den Worten «You’re fired!» abserviert.
Das Format verkaufte sich in alle Welt, unter anderem auch in die Schweiz, wo Trump im Unternehmer Jürg Marquard einen Nachahmer fand, der ihm in Physiognomie und Statur durchaus ähnlich war. Ende Juni, nach Trumps anti-mexikanischem Ausfall, beendete der Fernsehsender NBC die Zusammenarbeit.
Vieles, was Trump gründete, ging wieder ein, doch darauf reagierte er mit der ihm eigenen Dreistigkeit: Als in Florida Anfang der Nullerjahre eines seiner Bauprojekte scheiterte und einige Investoren viel Geld verloren, meinte er Jahre später, die Geschädigten sollten froh sein um die Pleite, hätten sie sonst doch durch die Finanzkrise von 2008 noch mehr verloren.
Woran glaubt Donald Trump? Kommentatoren sehen ihn als offiziösen Kandidaten der Tea Party, jener libertär-konservativen Bürgerbewegung, die den Staat möglichst kurzhalten will und Establishment-Politikern, auch und gerade republikanischen, mit äusserstem Misstrauen begegnet. Eine Sichtweise, die es ermöglicht, zwei Feindbilder miteinander zu verbinden. Was das Milieu betrifft, aus dem Trumps Anhänger stammen, gibt es in der Tat Überschneidungen: Seine Bewunderer findet er eher in der unteren Mittelschicht als unter College-Absolventen. Doch ganz so einfach ist es nicht: Seinem Konkurrenten Scott Walker, dem Gouverneur von Wisconsin, einem Helden der Tea Party, warf Trump vor, auf Steuererhöhungen verzichtet und die Infrastruktur vernachlässigt zu haben.
Tatsächlich ist Trump so ideologisch wie ein Wiesel: Ideen interessieren ihn nicht, er ist allein der eigenen Eitelkeit verpflichtet: «Mein Gefühl für die Welt kann sich rasend schnell ändern, von einem Tag auf den andern», sagt er.
Sein wahrscheinlich mächtigster Kritiker ist ein Konservativer, der australisch-amerikanische Medienunternehmer Rupert Murdoch. Für ihn ist das Aufkommen Trumps eine Folge der Politik Barack Obamas: Warum seien Trump und Bernie Sanders, der sozialistische Aussenseiter, der sich um die Kandidatur der Demokraten bewirbt, so populär, fragte Murdoch Ende Juli auf Twitter, um sich selbst zu antworten: «Ganz einfach. Das reale Medianeinkommen arbeitender Amerikaner ist heute niedriger als vor zehn Jahren.»
Gleichzeitig hat Murdoch Trump gefördert wie nur wenige, wenn auch ohne es zu wollen. Auf der «Page Six» der «New York Post», der Celebrity-Seite von Murdochs amerikanischer Boulevardzeitung, gehört Trump allein schon seiner diversen Ehen wegen zu den Dauergästen. Politisch ein Einwanderungskritiker, setzt er privat auf Osteuropäerinnen. Seine erste Ehefrau, Ivana, geborene Zelnickova, eine tschechoslowakische Skiläuferin, hinterliess ihm den Spitznamen «The Donald».
Bereits während seiner Ehe mit Ivana unterhielt Trump eine Affäre mit Marla Maples, einer früheren Schönheitskönigin aus Georgia. 1991 soll es im Nobelskiort Aspen, Colorado, zu einem Rencontre beider Damen auf der Skipiste gekommen sein; es folgte ein wüster Scheidungskrieg, der im Ergebnis darauf hinauslief, dass Trump Geld und Immobilien im Gesamtwert von beinahe 50 Millionen Dollar abgeben musste. Die darauffolgende Ehe mit Miss Maples (17 Jahre jünger) dauerte sechs Jahre, bis ihr Melanija Knavs 1999 endgültig den Rang abgelaufen hatte. «Wissen Sie, es ist doch egal, was die Leute denken, solange Sie ein junges, schönes Stück Arsch haben», kommentierte Trump seine Beziehungsbiografie im Magazin «Esquire».
Dass Trump in der ersten TV-Debatte der zehn führenden republikanischen Kandidaten dabei sein würde, hätte vor einem Jahr wohl nicht einmal er selbst geglaubt. Für das republikanische Establishment ist sein plötzliches Auftauchen unter den Favoriten eine mittlere Katastrophe: Nach acht Jahren Obama schien der Gewinn der Präsidentschaft in Reichweite zu liegen, nun droht der Nominierungsprozess der Parteiführung zu entgleiten.
Dabei hat sich die Partei den politischen Aufstieg des Unternehmers auch selbst zuzuschreiben: Trump kalkulierte kühl und besetzte eine Marktlücke, die ihm das republikanische Establishment hinterlassen hatte: Jetzt, da die Republikaner um die Hispanics buhlen, will ausser ihm keiner mehr die undankbare Rolle des Einwanderungskritikers übernehmen.
Derzeit führt Trump in den Umfragen. Wahrscheinlich ist, dass ihn am Ende noch ein Establishment-Kandidat wie Jeb Bush abfangen wird, doch auch in diesem Fall könnte sich der Mann mit der blonden Haartolle noch als Albtraum der Republikaner erweisen: Sollte er als Unabhängiger antreten, hätte der Kandidat der Republikaner kaum noch eine Chance.
So könnte sich die Geschichte wiederholen: 1992 trat Ross Perot, ein texanischer Computerhändler, als dritter Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen an. George Bush den Älteren kostete der Rechtsausleger die entscheidenden Stimmen. Profiteur war damals der demokratische Kandidat Bill Clinton. Nun könnte es dessen Ehefrau sein.
Donald Trumps grösste Spende an die Clintons steht womöglich noch aus.
Erschienen in der Basler Zeitung hier.