Carlos A. Gebauer, Gastautor / 20.01.2010 / 13:38 / 0 / Seite ausdrucken

Dient die Weltklimapolitik einer naturreligiösen Staatslegitimation?

Von Carlos A. Gebauer

Ein geistesgeschichtlicher Blick auf universale Herrschaftsansprüche

Die Frage nach dem Schutz – und nach der Rettung – des Weltklimas erfährt eine vergleichsweise einzigartige öffentliche Aufmerksamkeit. Warum ist das so? Vieles spricht dafür, dass die besondere Attraktivität des Themas auf seiner bemerkenswerten Eignung beruht, zum Zwecke der staatlichen Herrschaftslegitimation eine Vielzahl von derzeit populären Denkmustern gleichzeitig anzusprechen. Das Weltwetter mag für Klimaforscher interessant sein; eine politisch-geistesgeschichtliche Analyse seiner Diskussion ist jedoch – ganz unabhängig von naturwissenschaftlichen Streitfragen – ungleich faszinierender. Sie gibt tiefe Einblicke in unser gegenwärtiges Verständnis von politischer Herrschaft.

Der Klimawandel spricht – erstens – menschliche Existenzängste an. Kommen Fluten oder Dürren, müssen wir sterben. Also sind wir in diesen unsicheren Zeiten bereit, zu handeln und zu zahlen, obwohl wir doch eigentlich wissen, dass uns die finanziellen Mittel hierzu weltweit fehlen. Selbst wenn es uns nicht persönlich treffen sollte, sondern beispielsweise nur ein paar Südsee-Inseln untergingen, bleibt das Weltklima – zweitens – gleichwohl noch immer für den gesellschaftlichen Diskurs attraktiv. In diesem Falle nämlich können wir uneigennützig gut sein und für andere Opfer bringen. Das beruhigt ungemein und schmückt das eigene Gewissen. Da wir zudem – drittens – in unserem Westen nicht mehr unter den handlungsleitenden Drohungen eines mahnenden Gottes leben, sind unsere allgemeinen Sanktionserwartungen ohnehin wieder in die Kategorien des Naturreligiösen zurückgefallen: Nicht der Herrgott wird uns für unsere ökologischen Vergehen strafen, sondern die Allnatur selbst. Lebten wir also fortan sündig, fiele uns zuletzt der Himmel auf den Kopf. Dem gilt es selbstverständlich zu begegnen. Am besten – viertens – mit massiven technischen Anstrengungen, die ihrerseits, selbstredend, wieder gehöriger staatlicher Organisation bedürfen. Ordnung soll schließlich sein, denn wir wollen im Zeitalter der allumfassenden menschlichen Beherrschbarkeiten schließlich nichts dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Hierhinein fügt sich dann – fünftens – die Überzeugung, dass wir unserer Einen Welt auch die Demokratie als maßgebliches politisches Herrschaftsinstrument nahebringen wollen: Und weil das Weltklima uns alle angeht, kann und darf bei dieser grenzenlos existentiellen Frage niemand auf dem Globus mehr abseits stehen. Anders gewendet: Wer Zweifel gegen die anthropogen steuerbare Beeinflussung des Weltklimas erhebt, der marginalisiert sich unmittelbar selbst. Hier treffen die Panikarchitektur von Welthunger, Weltarmut, Weltterror und Weltklima aufeinander: Jeder Kritiker ergriffener Maßnahmen wird unter den Verdacht gestellt, den Hunger zu akzeptieren, Armut zu banalisieren, Terroropfer hinzunehmen oder schlicht Flutkatastrophen kleinzureden. Alle aber sind sich einig: Das geht gar nicht.

Hinter dieser politisch-medialen Großdiskussion über das Weltklima und seiner fünfteiligen Melange aus Angst, Güte, Glauben, Fortschrittswillen und der Suche nach der absolutesten aller demokratischen Mehrheiten steckt indes der kaum mehr verbrämte, allumfassende politische Wille zur unbedingten, grenzenlosen Staatsmacht. Denn weder ein einzelner Mensch, noch auch nur ein Staat allein wollen sich der proklamierten, globalen Problemlösung widmen. Im Falle des Weltklimas sieht sich gleich die ganze Weltstaatengemeinschaft insgesamt aufgerufen, die Furcht der Menschheit durch den Glauben an den Kampf um eine bessere Zukunft zu beherrschen – und zu zerstreuen.

Der Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard hat die absehbar zwangsläufigen Mechanismen einer solchen staatlichen Interventionsfreudigkeit bereits vor rund zehn Jahren in ihrer bitteren Konsequenz wie folgt beschrieben: „Hatte der bürgerliche Rechtsstaat des 19. Jahrhunderts nicht ohne Erfolg seine innenpolitische Zuständigkeit auf innere Sicherheit zu beschränken versucht, so bedeutet der moderne soziale Interventionsstaat eine Rückkehr zum früheren obrigkeitlichen Policeystaat, der sich auch schon in alles eingemischt hatte. Die bewaffnete Vollzugspolizei … sollte ursprünglich nur die gesellschaftliche Freiheit durch Gefahrenabwehr sichern. Nicht ihre weitere Aufrüstung schafft einen neuen Polizeistaat, sondern die Ersetzung ihrer Repressionsaufgabe durch einen beliebig ausdehnbaren Präventionsanspruch im Rahmen staatlicher Sozial- und Kontrolltechnologie … Der liberale bürgerliche Nationalstaat, das goldene Zeitalter laut Hannah Arendt, wurde in einigen Fällen vom totalitären Staat abgelöst, in der Regel vom sozialen Interventionsstaat … Damit wird der säkulare Prozess der ‚totalen Mobilmachung‘ möglich, die auch im Frieden das ganze Volk erfasst … Neben formalisierte bürokratische Verwaltung tritt die befehlsförmige … Der Anspruch des Staates ist ein totaler. Wer sein persönliches Geschick nicht dem nationalen restlos unterordnet, wird zur Rechenschaft gezogen.“ Und weiter: „Totaler Staat als totaler Krieg braucht den totalen Feind. Wenn er ihn nicht mitbringt, wie der Nationalsozialismus den Juden, muß er ihn erfinden, wie es in der Sowjetunion und in China mit der Produktion von immer neuen Klassenfeinden und Verschwörern erfolgreich geschah. Das ist mit der Formel von der ‚permanenten Revolution‘ gemeint, die bereits für den Terror der Jakobiner 1792-94 geschaffen wurde. In Russland und China lagen oft überhaupt keine ‚realen‘ Vergehen vor … Aber auf den fiktiven Charakter der Beschuldigung, der Tätern wie Opfern gleichermaßen klar gewesen sein dürfte, kam es dabei nicht an, … sondern schlicht um die Konstruktion des totalen Feindes.“

Übertragen und erweitert auf den jetzt in Rede stehenden Anspruch der Weltstaatengemeinschaft, nicht mehr nur einen Krieg gegen die Armut und den Hunger auf der Welt zu führen zu wollen, sondern gleich den Kampf um die Rettung des gesamten Weltklimas, erweist sich Erstaunliches. Denn der moderne Staatsbegriff umfasst inzwischen in vieler Augen tatsächlich die Vorstellung von der absoluten staatlichen Allzuständigkeit. Es gibt praktisch nichts, was der Kompetenz eines Staates noch unzugänglich wäre. Von der Stammzelle bis zur Patientenverfügung, von Raumfahrtprojekten bis zum Bergwerksgesetz – alles und jedes beschäftigt den Staat. Nicht nur am Hindukusch werden seine Werte daher gewaltsam und robust durchgesetzt. Vom Rauchersalon der Dorfgaststätte bis in die hintersten Winkel des indirekten Dopingbeweises marschieren seine hochgerüsteten Tugendwächter. Im öffentlichen Interesse der Allgemeinheit sichern sie die überragenden Gemeinschaftsgüter ihrer biometrisch erfassten Mitbürger permanent gegen allerlei Gefahr. Was aber kann zuletzt noch das Bindeglied zwischen all diesen auskragenden staatlichen Aktivitäten sein? Wie rechtfertigt sich ein derartiges, universelles Staatshandeln gegen den Vorwurf, sich längst in einer selbstvergessenen und selbstbezogenen, bunten Kasuistik des prinzipienlosen Aktivismus verloren zu haben?

Bei ihrer Suche nach dem obersten denkbaren Begriff stießen mittelalterliche Philosophen bekanntlich auf „REVBAU“ als einen Ausdruck für die höchste denkbare Transzendentalie. Der alles Vorstellbare übersteigende Begriff war demnach – res, ens, verum, bonum, aeternam und unum – gegenständlich, seiend, wahr, gut, ewig und einzig. Doch ungeachtet dieser Art von Überrealität sind es gerade die Inhalte jenes Begriffes, die zugleich auch alles Seiende durchdringen. Nichts kann also ohne REVBAU gedacht werden und ohne REVBAU ist alles nichts.

Unter diesem Blickwinkel erscheint die allumfassende Bedeutung des gegebenen, existierenden, wahren, guten, ewigen und einzigen Weltklimas für den Menschen an sich als wiederum das höchste denkbare Prinzip, das zuletzt auch alles staatliche Handeln treiben und legitimieren darf. Wo in der christlichen Vorstellung noch alles, was Odem hat, den Herrn loben sollte, da fällt es nun – nach dem Tode Gottes – in den modernen staatlichen Aufgabenbereich, die Bedingung der Möglichkeit von Odem überhaupt erst zu schaffen und zu erhalten.

Die bisweilen hoch emotionale Verbissenheit, mit der um die Zweifel am anthropogenen Einfluss auf das Klima gerungen wird, erinnert indes fatal an den Niedergang just jener Institution, die sich weiland ebenfalls gleich der Vollgewalt über das ganze Universum berühmt hatte. Die „potestas plena“ des Papstes endete bekanntlich im Schisma und mündete in die Reformation. Anders als die seinerzeit aktiven und heilsvermittelnden Kleriker beschränken sich die heutigen Sachwalter des ökologischen Allgemeininteresses zum Erhalt ihrer eigenen Positionen jedoch nicht mehr nur auf die Schilderung eines uns bloß im Jenseits drohenden Unheils. Denn dann bliebe jedem einzelnen noch die gleichsam reformatorische Möglichkeit, durch unmittelbar eigene individuelle Müll- und Abgasvermeidung am Apparat vorbei unsere Umwelt sachgerecht vor Schaden zu bewahren. Der stattdessen etablierte Ablasshandel mit Verschmutzungsrechten schneidet diese Möglichkeiten jedoch schon präventiv und ganz erdverbunden ab. Wer also die Emissionssünde begeht, vergeht sich nicht nur an seinem eigenen ewigen Seelenheil, sondern gleich an der greifbar realen und strafrechtlich geschützten Wirklichkeit für die gesamte Mensch-, Tier- und Pflanzenheit.

Damit aber ist das Werk der „Konstruktion eines totalen Feindes“ in bemerkenswerter Weise vollendet: Alles Handeln, das von nun an staatlicherseits als An- und Eingriff in die schiere und simple Realität definiert wird, kann zum vorwerfbaren Verbrechen gegen das staatlich geschützte Allgemeininteresse geraten. Der schon präventiv intervenierende staatliche Befehl, sich anders zu verhalten, ist damit unbedingt legitimiert. Wer gegen diese Wirklichkeiten sündigt, kann unmittelbar behördlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Das hierin liegende Herrschaftskonstrukt ist nicht nur voll funktionsfähig, sondern zudem bereits gegen alle herkömmlichen Kritikrisiken immunisiert. Die Ökologische Kirche hat nach ihren Klimatischen Konzilen in Rio und Kyoto sogar aus dem Fehler der Katholischen Kirche gelernt, ihre Vertreter gar nicht erst als unfehlbar zu definieren. Denn wer gerade erst die flächendeckende Einführung von Pkw-Katalysatoren gefordert hatte, um gefährliche Abgase in ungefährliches Kohlendioxid zu verwandeln, der hätte unter dieser Prämisse bei dessen anschließender Proklamation als Klimakiller augenscheinlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Durch die Aufforderung an ihre Kritiker, die pfiffig negativ formulierten Hypothesen doch bitte erst einmal zu falsifizieren, verschanzt diese neue Kirche ihr eigenes Nichtwissen inzwischen hinter der sicheren Asymptote der wissenschaftstheoretischen Restunsicherheit. Und sie verlagert – für die friedlich-kooperative Lösung der anstehenden Fragen weit gefährlicher – den Kern der Auseinandersetzung aus dem Bereich des Wissenskönnens in den des Glaubenssollens, mithin in den der politisch stets so fruchtbaren Emotionen.

Sollte nach allem der Standpunkt des Deismus zutreffen, wonach Gott die Welt zwar schuf, dann aber sich selbst überließ, so wäre jetzt vielleicht der Zeitpunkt, an dem der Allwissende seine Assistenten zur Beobachtung an das Universums-Reagenzglas treten lassen könnte, um zu zeigen: Nachdem die Menschen wieder einmal all ihr Handeln auf einen einzigen Gesichtspunkt reduziert haben, wird ihnen auch dieses Konstrukt in Kürze zerfallen. Betrachten wir gespannt, was sich als Nächstes ergibt und hoffen wir inständig, dass uns ein Glaubenskrieg des Weltstaates gegen die totalen Feinde der von ihm definierten realen Natur erspart bleibt.

Carlos A Gebauer ist Richter am Anwaltsgericht Düsseldorf und lehrt Sozialrecht im Fachbereich Gesundheitsökonomie der Hochschule Fresenius in Köln

www.make-love-not-law.com

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