Thomas Rietzschel / 08.04.2018 / 14:01 / Foto: EPP / 27 / Seite ausdrucken

Die zwei Taktiken der Angela Merkel

Angela Merkel weiß, was zu tun ist. Sie hat ihren Lenin gelesen. Seine Schrift „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ stand auf dem Lehrplan des marxistisch-leninistischen Grundlagenstudiums, das jeder Studierende in der DDR zu absolvieren hatte, gleich, ob er Turnlehrer, Arzt, Germanist oder Physiker werden wollte. Der 1905 verfasste Text zählt zu den Gründungsdokumenten des Bolschewismus, damals noch organisiert in der radikalen Fraktion der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands.

Lenin entwickelt darin eine Doppelstrategie, die schnell zur Richtschnur für den Machtkampf der kommunistischen Parteifunktionäre wurde. Zuerst galt es danach, die bürgerliche Gesellschaft durch eine Teilhabe an der parlamentarischen Demokratie zu unterwandern. So sollten nicht nur jene Kräfte eingebunden werden, die ohnehin schon linke Positionen vertraten, sondern mehr noch deren Gegner. Mit taktischem Kalkül wurden Themen verfolgt, die, losgelöst von der Ideologie, auch dem kritischer gesinnten Bürgertum am Herzen lagen.

Beispielhaft hierfür ist der Kampf um das Frauenwahlrecht. Indem sie sich rhetorisch zu Vorkämpfern der Emanzipation aufschwangen, wollten die Kommunisten Teile des bürgerlichen Lagers auf ihre Seite ziehen. Das gelang in diesem wie in anderen Fällen nicht immer, war aber auch nicht ganz erfolglos. Lenin hatte durchaus auf das richtige Pferd gesetzt, wenn er zunächst verlangte, die bürgerlichen Parteien durch partielle Aneignung ihrer Anliegen so weit zu spalten und zu schwächen, dass sie in einem zweiten taktischen Schritt an den Rand gedrängt werden können, der Weg frei ist für Politiker mit autokratischem Machtanspruch.

Raus aus der Mitte!

Dazu die Probe aufs Exempel zu machen, ist Angela Merkel beinah gelungen. Mit der von ihr betriebenen Öffnung der CDU zur Mitte hin, hat sie die Partei aus eben dieser Mitte, ihrem angestammten Platz, von Anfang an nach links geführt. Alles, was ihr zuzuschreiben ist, die Energiewende, die Grenzöffnung, die Kampagne für das Elektroauto, die Haftung Deutschlands für die europäische Schuldenpolitik, die klammheimliche Einführung der Zensur durch das „Netzwerkdurchsetzunggesetz“, diente diesem Linksschwenk.

Freilich war es auch nicht sonderlich schwer, das Bürgertum bis zur Selbstverleugnung einzuwickeln. Weil dessen politische Vertreter sich nie ernsthaft für die Strategien des Kommunismus interessierten, zum Beispiel keinen blassen Schimmer von Lenins Lehre der „Zwei Taktiken“ hatten, sie nicht kannten, weil sie es im Bewusstsein ihrer wirtschaftlichen Überlegenheit nicht für nötig erachteten, sich damit zu beschäftigen, waren sie leicht zu übertölpeln.

Ein armseliges Schauspiel

Ohne es zu merken, tappten sie in die Falle ihres Hochmuts, bis sie geradezu begierig schienen, gegen ihre eigenen Interessen und vor allem gegen die der bürgerlichen Gesellschaft zu handeln. Ein armseliges Schauspiel, genauso inszeniert, wie es sich Lenin vorgestellt hatte. Noch ein knappes Jahrhundert nach seinem Tod wäre die Rechnung aufgegangen, hätte Angela Merkel nicht zu früh geglaubt, alles schon im Griff zu haben, hätte sie den Bogen nicht mit der selbstherrlich verfügten Grenzöffnung überspannt.

Deren Folgen haben viele wach gerüttelt. Zusehends wächst die Zahl derer, die mehr oder weniger überrascht erkennen, dass es unter Merkel schon lange an das Eingemachte der bürgerlichen Gesellschaft geht. Selbst in der hasenfüßigen CDU bilden sich Gruppierungen, die ihre Kanzlerin endlich vom Hof jagen möchten, so zum Beispiel die neu gegründete „WerteUnion“.

Kein Zufall aber auch, dass es die Ostdeutschen waren, die ihrer Landsmännin zuerst auf die Schliche kamen. Mussten sie doch durch die selbe Schule wie die marxistisch-leninistisch ausgebildete Angela Merkel gehen. 

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Hjalmar Kreutzer / 08.04.2018

Ich verstehe die Taktik, aber nicht die strategische Zielsetzung. Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft, ja, aber, um was zu errichten? Eine neue sozialistische Diktatur, die schon einmal wirtschaftlich und politisch krachend gescheitert ist? Merkel ist alles Mögliche, aber nicht dumm. Auch weiß sie als gelernte Ossi den Unterschied im materiellen Wohlstand zwischen ehemaliger DDR und alter BRD wohl zu schätzen. Geht es uns zu gut? Nehmen wir nach fast 30 Jahren Vereinigung zu viel als selbstverständlich hin?

H.-J.Pöschl / 08.04.2018

Sehr geehrter Herr Rietzschel, Sie haben genau das ausgesprochen, was ich seit Jahren vermutet habe. Auch ich musste während der Berufsausbildung und später im Studium Marx, Engels und Lenin bis zum Erbrechen pauken. Jede Belegarbeit, die u.a. passende Zitate von Lenin enthielt, wurde wohlwollend honoriert. Lenins Schriften enthielten keine Lehren für die real exestierende DDR - wie sollten sie auch? Der “Sozialistische Frühling” (60’ Jahre) war vollbracht und wir bewegten uns danach mitten im “Aufbau des Sozialismus”. Die Lenin’sche Lehre richtete sich zweifelsfrei gegen den Kapitalismus und Imperialismus und zielte auf deren Beseitigung. Dass die Politik der Bundesregierung und des links-liberalen Spektrums in den letzten 10 Jahren nach diesem Lenin’schen Muster verfährt, ist absolut nicht zu übersehen. Außer der von Ihnen, Herr Rietzschel, genannten Schrift empfehle ich auch noch die Lektüre von “Was tun?” Ich bin mir sicher, Frau Merkel hat die Klassiker des Marxismus/Leninismus exzellent verinnerlicht. Viele Bürger aus dem Osten der Bundesrepublik haben weder ihr Erinnerungs- noch ihr Denkvermögen verloren. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die immer stärker werdende Protestbewegung (siehe z.B. “Erklärung 2018”) gerade aus dieser Richtung kommt.

Dr. H. Böttger / 08.04.2018

Chapeau. Merkels Treiben, schon bei meinem Austritt aus der CDU vor fünf Jahren formuliert: - Merkel verrät das Bürgertum, dessen Grundhaltung: Leistungsorientierung und Profitstreben als Antrieb positiver wirtschaftlicher Entwicklung, unabdingbare Vorraussetzung der sozialen Marktwirtschaft. - Merkel verrät die Nation, durch Aufgabe der Souveränität, Missachtung nationaler Interessen bei der Europäisierung und dreisten Griff in das nationale Vermögen zugunsten fremder Menschen und Mächte. -  Merkel verrät den sittlichen und politischen Wertekanon des Bürgertums: Preisgabe von Traditionen, z.B. (jetzt) Ehe für alle, Knebelung der Meinungsfreiheit , Schleifung der demokratischen Pluralität zugunsten eines autoritären sozialistischen Parteien- und Vorfeldapparats., Medien-und Bildungsapparats. Sie hat die Katze aber schon am Wahlabend des 22.9.2013 aus dem Sack gelassen: Eine bekannte TV-Aufnahme zeigt: Gröhe überreicht ihr eine deutsche Fahne. Merkel befördert diese mit verächtlicher Miene beiseite und schüttelt über Gröhes Einfalt indigniert den Kopf. Sie glaubte sich schon am Ziel. Glücklicherweise hat sie es doch noch nicht ganz geschafft.

Werner Arning / 08.04.2018

Ja, es lohnt sich, sich die theoretische Vorgehensweise des Kommunismus vor Augen zu führen. Eine Übertölpeln bürgerlicher und gemäßigt linker Kräfte gehört zum Programm. Scheinbare Übereinstimmung der Ziele, bis die Phase der gewalttätigen Übernahme der dann offen undemokratischen Kräfte, die zuvor scheinbar demokratische Phase beendet. Hilfreich dafür ist ein zuvor gestiftetes Chaos, welches den Einsatz autoritärer Maßnahmen als gerechtfertigt erscheinen lässt. Es muss Menschen geben, die es interessieren würde, ob das alles reine Theorie ist, oder ob es sich umsetzen lässt. Sicher ein spannendes Experiment.

Ernst-Fr. Siebert / 08.04.2018

Herr Rietzschel: ... das jeder Studierende in der DDR zu absolvieren hatte… In der DDR wurde Deutsch gesprochen, da gab es nur Studenten! Aber, wem sage ich das. (Der ideologische Unsinn wurde in Deutsch verbreitet. Übrigens musste beispielsweise eine Marmeladenfabrik die Etiketten zur Freigabe zum Deutschgutachten geben, bevor sie gedruckt werden durften und es wurden Vornamen genehmigt, wenn sie geschrieben, wie gesprochen wurden. So wurde eben aus einem Mike ein Maik. Mustafa oder Ali wären nicht genehmigungsfähig gewesen. Die herrschende Partei hieß SED > PDS > DIE LINKE.) “Es war nicht alles schlecht ...” ;-)

Dieter Biermann / 08.04.2018

Danke für diesen kurzen aber prägnanten Beitrag sehr geehrter Herr Rietzschel . Ich muss gestehen, dass ich zu denen gehöre , die diese Schriften von Lenin nicht kannten. Da ich den Kommunismus / Sozialismus für grandios gescheitert glaubte, hielt ich es für überflüssig sich damit im Nachhinein zu beschäftigen. Nun vor dem Hintergrund dessen, was Sie anführen, muss ich meine Vermutung ,die ich bereits im Herbst 2015 im engsten Bekanntenkreis vertrat als weitgehend bestätigt erkennen. Nämlich die Handlungsweise von AM ergibt nur Sinn aus strategischer Sicht der SED FDJ oder was auch immer. AM, als das letzte Aufgebot von Markus Wolf, der Schläfer, der oder die das System von innern zersetzt. Was Günter Guillaume für die SPD war, ist AM für die CDU, nein noch viel, viel schlimmer und auch erfolgreicher. Leider!

Leo Lepin / 08.04.2018

Das wäre mal eine schlüssige Erklärung für Merkels Vorgehen, das mir schon lange Rätsel aufgibt.

Rainer Nicolaisen / 08.04.2018

Na, mit der “Werte-Union” kanns ja nicht weit her sein, wenn ich an letzthin ausgeübte Zustimmung zu Merkel denke…

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