Gastautor / 06.10.2016 / 06:00 / Foto: Tim Maxeiner / 1 / Seite ausdrucken

Die wohlfeile Gleichsetzung von Amok und Terror

Von Heike Karen Runge.

Mit einigen Wochen Abstand lässt sich sagen: Der Amoklauf von München war eine Zäsur. Seit der Schütze David Ali S. in zeitlicher Nähe zu zwei islamistischen Attacken ein Blutbad anrichtete, werden Amok und Terror in den deutschsprachigen Medien in einem Atemzug genannt. Psychotische und politisch-religiöse Gewalt werden zusammengedacht, Selbstmordattentate mit sogenannten School Shootings verglichen. Im Handumdrehen hat sich ein Narrativ etabliert, dessen Akzeptanz folgenreich sowohl für die Beurteilung als auch für den medialen Umgang mit dem islamistischen Terror ist.

Stundenlang lang hatte der Teenager am Olympia-Einkaufszentrum in München um sich geschossen. Die Behörden hatten zunächst einen Terrorakt vermutet; ein Zusammenhang mit dem vom IS beauftragten Anschlag auf einen Regionalzug kurz zuvor schien möglich. Die Vermutung hat sich bekanntlich als falsch erwiesen. Das Massaker hat jedoch gezeigt, dass sich terroristische und psychotische Gewaltakte zum Verwechseln ähnlich sehen können. Nicht zuletzt deshalb, weil die Täter gewisse Gemeinsamkeiten haben. Sie sind jung, männlich, desintegriert und oftmals internet-affin. Nicht nur das: Der deutsch-iranische Teenager, der offenbar psychisch gestört, aber auch rechtsextremistisch und antimuslimisch eingestellt war, ist wie der norwegische Massenmörder Anders Breivik ein Grenzgänger: ein Amokläufer mit Krankenakte und Radikalisierungsgeschichte.

Sein Fall offenbart, dass es durchaus sinnvoll sein kann, zwei exponierte Gewaltphänomene der Gegenwart in analytischer Absicht miteinander zu vergleichen. Daran ist nichts verkehrt, sofern neben den entdeckten Gemeinsamkeiten auch das offenkundig Trennende zwischen den Taten deutlich benannt  wird. Geschieht das aber noch, wenn Angstforscher und Medienpädagogen im Namen der Gewaltprävention die Deutungshoheit über den globalisierten Terror übernehmen?

Schaut man sich die Argumente derjenigen genauer an, die Schulamokläufe und Jihadismus miteinander vergleichen, fällt auf, dass sie das angeblich animierende Potenzial der Berichterstattung über den Terrorismus plakativ herausstellen, seine ideologischen und organisatorischen Befehlsstrukturen jedoch klammheimlich unter den Tisch fallen lassen. Das schöne neue Narrativ von Amok und Terror überschreibt das ideologische Motiv, das die terroristische Tat so grundlegend von einem Schulmassaker und anderen Verbrechen unterscheidet und schafft lauter radikalisierte Einzeltäter. So kann am Ende die Gleichung von Amok und Terrorismus, Krankheit und Ideologie auch halbwegs stimmig erscheinen. 

Die ansteckende Wirkung der medialen Darstellung als Ursache von Gewalttaten?

Nun war es keineswegs eine spontane Erkenntnis, die die Berichterstatter angesichts der sich in wenigen Tagen häufenden spektakulären Gewalttaten in einem einzelnen Bundesland überkam. Die Woche der Gewalt in Bayern mit dem IS-gesteuerten Axt-Angriff, dem islamistischen Selbstmordanschlag auf ein Festival und dem Amoklauf in der Einkaufsmeile schien aber jenen Medienpädagogen recht zu geben, die die ansteckende Wirkung der medialen Darstellung als Ursache beider Gewaltphänomen betonen. Es ist ein Ansatz, den Teile der US-amerikanischen Medienwissenschaften seit längerem verfolgen.

Zwei in ihrer Art jeweils monumentale Verbrechen - das Massaker an der Columbine High School von 1999 und der Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 -  erschütterten die USA zur Jahrtausendwende und forderten auch die Mediengesellschaft heraus. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse wurden Amok und Terror in den USA oftmals gemeinsam diskutiert, obgleich niemand so weit gehen würde, einen kausalen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen zu behaupten. Gefahndet wurde jedoch nach den medialen Ansteckungseffekten, der Wirkung, die die Berichterstattung auf potenzielle Nachahmungstäter haben kann, und nach Strategien zur Gewaltprävention im Journalismus.

Als Schirmherr des neuen vorsichtigen Journalismus darf US-Präsident Obama gelten, der zu Beginn seiner Amtszeit in einem Interview mit dem arabischen Sender Al-Arabiay vor der Trigger-Wirkung bestimmter  Begriffe wie "Islamistischer Terror" warnte und das inkriminierte Wort 2010 in der National Security Strategy offiziell durch die Umschreibung "gewalttätiger Extremismus" ersetzen ließ. "The language we use matters", hatte Obama gegenüber dem Sender erklärt. Das Ergebnis dieser rhetorischen Befriedungsstrategie ist bekanntlich dürftig.

In den deutschsprachigen Medienwisschaften findet der Ansatz indes viel Zuspruch. Auch die daraus abgeleiteten Forderungen wie die der "Don't-Name-It"-Kampagne nach einer anonymisierten Berichterstattung, in der Täter keine Namen, keine Gesichter, keine Herkunft und Religion mehr haben sollen, treffen auf Zustimmung. Die nach München ergangene Empfehlung an die Medien, zukünftig keine Täterfotos mehr zu publizieren, um den Copycat-Effekt, also die Nachahmungswirkung, zu blockieren und keine Märtyrer zu schaffen, kommt aus dieser Ecke.

"Behutsamer" Journalismus ausgerechnet für deutsche Rentner?

Den Stand der Debatte, insbesondere in den deutschsprachigen Medienwissenschaften spiegelt der von Frank J. Robertz und Robert Kahr herausgegebene Band "Die mediale Inszenierung von Amok und Terror. Zur medienpsychologischen Wirkung des Journalismus bei exzessiver Gewalt". Der Tenor der Aufsätze ist folgender: Schulamokläufer und Attentäter strebten durch die Ausübung exzessiver Gewalt in die Schlagzeilen. Sie folgten damit einer ebenso menschenverachtenden wie durchschaubaren Kommunikationsstrategie. Die Aufgabe der Medien sei es, diese zu durchkreuzen. Durch eine schonende Berichterstattung sollen keine destruktiven Botschaften weitergegeben und die Gefahr von Nachahmungstaten verringert werden.

Insgesamt erstaunt an diesem Ansatz die Fokussierung auf den Westen und seine klassischen Medien. Ganz so, als gäbe es in anderen Teilen der Welt keine Zeitungen und Fernsehsender; als gäbe es keine Satellitenschüsseln, mit denen Migranten ihre Heimatsender empfangen; als gäbe es keine Chats zur Rekrutierung neuer Kämpfer, keine radikalsalafistische Internet-Propaganda oder Videobotschaften des "Islamischen Staats". Ausgerechnet das Publikum von Tagesschau und Co. würde in den zweifelhaften Genuss des behutsamen Journalismus kommen, um vor den vermuteten negativen Folgen schlechter Nachrichten geschützt zu werden!

Erstaunlich ist: Während der Fingerzeig auf Computerspiele wie Counterstrike als Inspiration und Trainingscamp potenzieller Amokschützen gemeinhin als populistisch oder reaktionär gilt, steht die ganz ähnlich gestrickte These, derzufolge Amok und Terror medial stimulierte Gewalt sind, im Ruf, besonders fortschrittlich zu sein. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um diejenigen, die in Wort und Schrift zur Gewalt aufrufen, angeleitet und gemaßregelt werden diejenigen, die in kritischer Absicht darüber berichten, also die Journalisten. Aus Sicht jener Medienpsychologen ist es ohnehin nachrangig, ob ein Vertreter der IS-Terrormiliz oder ein kritischer Berichterstatter zum Publikum sprechen. Es geht immer um die vermutete Ansteckungsgefahr, weniger um die je grundverschiedene Intention von Medien und terroristischen Gruppierungen.

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner berichtet darüber: Der Nahe und Mittlere Osten als der eigentliche Schauplatz des Terrorismus kommt in der medienpsychologischen Betrachtung gleich gar nicht vor. Der Terror vor Ort passt auch schlecht zu der Annahme, dass die Gewaltexzesse beim Konsum westlicher Medien angetriggert werden. Den Terrorismus als Kommunikationsstrategie zu deuten, heißt eben auch, von den Toten und der jihadistischen Vernichtungsabsicht gegenüber den zu Feinden erklärten Juden, Christen, Atheisten und moderaten Muslime zu abstrahieren. Um ein Beispiel zu nennen: Zu den im Westen wenig beachteten Gewalttaten islamistischer Gruppen gehört der Terror gegen die orientalischen Christen. Die ausbleibende Medienresonanz hat allerdings bisher keinen Islamisten in seinem Tun entmutigt. Der Jihadismus sucht die Bühne der westlichen Medien, ist aber nicht (oder nicht mehr) auf sie angewiesen. Eine Kirche in der Provinz, ein belebter Marktplatz in Bagdad tun es auch. 

Die Forderung nach einer anonymisierten Berichterstattung geht entschieden zu weit

Der pädagogische Theorieansatz der Gewaltprävention drängt darauf, die angeblichen handwerklichen Schwächen des Journalismus beheben zu wollen. Dazu wartet er mit einem umfangreichen Katalog von Handlungsempfehlungen auf, die zum Teil den bekannten Vorgaben des Pressekodex folgen (wie etwa die Regeln zum Schutz Minderjähriger) oder journalistisches Allgemeingut darstellen ("Quellen besonders sorgsam prüfen"). Medienethische Grundsätze in Erinnerung zu rufen, kann in diesem Zusammenhang nicht falsch sein. 

Das Buch nennt denn auch zahlreiche Negativbeispiele eines zweifelhaften medialen Umgangs mit dem Terror. Etwa beim rechten US-Privatsender Fox, der in einer triumphalen Endlosschleife das IS-Video von dem grausamen Ertränken eines jordanischen Piloten in einem Käfig zeigte. Auch werden eine Reihe von plausiblen Beispielen genannt, wie der jihadistischen Propaganda begegnet wurde, etwa die Internetkampagne, die gegen die vollständige Veröffentlichung des IS-Videos auf Youtube protestierte, das den enthaupteten US-Journalisten James Foley präsentiert.

Entschieden zu weit geht aber die Forderung nach einer anonymisierten Berichterstattung, wie sie beispielsweise der Leiter des Darmstädter Instituts für "Psychologie & Bedrohungsmanagement" Jens Hoffmann vorbringt. "Anführer" nennt er unverbindlicherweise das Terrorkommando vom 11. September und warnt vor einer "Ikonisierung der Täter" durch den Abdruck von Namen und Fotos oder die Nennung terrorististischer Gruppierungen, die nach Bekanntheit strebten. In Wien, so Hoffmann, habe man mit einer Aufklärungskampagne gegenüber Journalisten positive Erfahrungen gemacht. Nachdem die Presse in den Achtzigern aufgefordert wurde, nicht mehr über Selbstmorde in der U-Bahn zu schreiben, soll die Rate der Gleissuizide hier deutlich zurückgegangen sein. Maßnahmen, die im Hinblick auf die Prävention von Suizid aus medienethischer Sicht sinnvoll erscheinen wie das Stillschweigen der Presse über Selbstmorde oder das nur lückenhafte Berichten über private Schicksale, werden so umstandslos auf den islamistischen Terrorismus übertragen.

Heike Karen Runge lebt in Berlin. Sie ist freie Journalistin und arbeitet als Redakteurin im Feuilleton der Wochenzeitung Jungle World.

Foto: Tim Maxeiner

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M. Hartmann / 06.10.2016

Vielen Dank für diese treffende Analyse. Es wird uns im- nennen wir es mal so- dekadenten Westen nicht viel helfen, uns mit einer Umetikettierung terroristischer Taten wegzuducken. Es hilft gegen arabische Heißsporne nicht, wenn man sich wie ein Pudding verhält. Diese Haltung wird dort nicht als Vernunft und Einladung zum konstruktiven Lösungsweg sondern als Schwäche verstanden. Auf lange Sicht werden wir uns zum Thema Islam und der Lebensweise im nahen Osten klar positionieren müssen. Hat sich eigentlich schon einmal jemand Gedanken gemacht, was in Saudi-Arabien passiert, wenn dort entweder kein Erdöl mehr sprudelt oder wir es nicht mehr kaufen, weil uns vielleicht doch die Energiewende gelingt? Dort wird nichts geschaffen, erfunden oder geforscht. Es gibt dort nichts zu exportieren als Öl. Wovon sollen die Leute dort ihren hohen Lebensstandard aufrechterhalten? Was tun sie, wenn ihnen dies bewußt wird? Einfach wieder auf die Kamele steigen und in ihr früheres Beduinenleben zurückgehen? Wir können dann froh sein, wenn nur versucht wird, im Westen AGs aufzukaufen. Ich denke aber nicht, daß es sich auf derart friedliche Handlungen beschränken wird. Die Unterwanderung unserer Gesellschaften im Wege der Religion Islam hat bisher durch die Saudis schon ganz gut funktioniert (Moscheenfinanzierung usw.). Ich neige übrigens nicht zu Verschwörungstheorien. Ich kenne nur den arabischen Raum und ich beobachte die politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, mehr ist nicht erforderlich.

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