Thomas Rietzschel / 22.01.2015 / 15:20 / 9 / Seite ausdrucken

Die Wölfe haben Kreide gefressen

Manchmal gibt es noch Meldungen, die es in sich haben, obwohl sie nicht reißerisch aufgemacht, eher schlicht formuliert sind. So kann man heute, am 22. 01. 2015, unter der Überschrift „Politik sucht Austausch mit Pegida-Bewegung“ bei FOCUS Online lesen: „Was bringt die Menschen dazu, sich den Pegida-Protesten anzuschließen? Diese Frage bewegt auch die deutsche Politik.“

Wer hätte das gedacht! Da gibt seit Monaten Kundgebungen, die das Land in Atem halten, da gehen Woche für Woche Zehntausende auf die Straße, um sich Gehör zu verschaffen, und nun erfahren wir, dass das „auch“ die deutschen Politiker „bewegt“, dass sie sich fragen, was „die Menschen“ dazu bringt.

Nicht, dass den Kollegen des FOCUS hier irgendein ein Vorwurf zu machen wäre, weil sie bisher verschlafen hätten, was sich von selbst verstehen sollte. Ganz im Gegenteil haben sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn tatsächlich scheint es unterdessen bemerkenswert zu sein, dass sich „auch“ die politische Klasse hierzulande für das interessiert, was größere Teile des Volkes bewegt. Wie weiland in der abgesoffenen DDR, wenn Honecker zu den „Menschen“ ging, wird heute wieder vermeldet, wenn Sigmar Gabriel (SPD), Gregor Gysi (PDS) und Stanislaw Tillich (CDU) oder sogar Thomas de Maizière (ebenfalls CDU) sich bereit finden, mit den Bürgern zu sprechen.

Der Nachrichtenwert solcher Ereignisse steht umso mehr außer Frage, als die Demonstranten doch eben erst noch als „Rassisten in Nadelstreifen“ diffamiert wurden, der Bundesjustizminister Heiko Mass dekretierte Pegida sei „eine Schande für Deutschland“. Alles Unflätigkeiten einer politischen Klasse, die sich daran gewöhnt hat, die Demokratie zum Vorteil ihrer Parteien zu plündern. Ihre Selbstgefälligkeit hat längst potentatenhafte Züge angenommen. So wie sie den Protest zunächst mit Verleumdung zu ersticken suchte, versucht sie ihn nun mit „Verständnis für die Probleme der Menschen“ zu unterlaufen. Die Wölfe haben Kreide gefressen.

Obwohl wir mittlerweile - dank einer Studie der TU Dresden - wissen, dass es der Mehrheit der Demonstranten keineswegs vorrangig um den Protest gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ geht, befeuert das politische Establishment dieses Thema unverdrossen. Mit dieser Fokussierung lässt sich die außerparlamentarische Opposition, die bürgerliche APO, trefflich spalten, der Westen gegen den Osten ausspielen.

Diese Fixierung verrät aber auch, wie es um das Kartell der Parteien bestellt ist: Es steht mit dem Rücken zur Wand. In den Augen vieler Bürger bilden die Parteien einen Block, der um seiner selbst willen existiert. „Parteien gute Nacht. Bürger an die Macht“ war auf einem Plakat zu lesen, das die Demonstranten in dieser Woche hoch hielten.

In dem Maße, in dem die Parteien den politischen Betrieb kommerzialisiert haben, haben sie abgewirtschaftet. Aus den Volksvertreten sind Berufspolitiker geworden, die existentiell auf den Machterhalt und das Wachstum ihres jeweiligen Unternehmens, dieser oder jener Partei angewiesen sind. Wie die Banker, denen wir die Finanzkrise verdanken, leben sie in ihrer eigenen Welt - äußerlich und mehr noch innerlich abgeschottet, nicht aus Bosheit, sondern weil es die Verhältnisse so mit sich bringen.

Wie der Adel am Ausgang des 18. Jahrhunderts, kurz vor der französischen Revolution, sind sie nur mehr mit dem Selbsterhalt ihrer Kaste beschäftigt. Dem Bürger, dessen Interessen sie nicht mehr wahrnehmen, liegen sie als teure Kostgänger auf der Tasche.

Anders als ihre Vorgänger in der Frühzeit der Demokratie handeln sie weitgehend ohne politisch moralische Legitimation. Bei der ständig steigenden Zahl der Nichtwähler, die das Kartell der Parteien mit ihrer Verweigerung in toto ablehnen, können sie sich erstens nur auf Minderheiten berufen. Und zweitens verfügen sie nicht über die fachlichen Qualifikationen, derer es zu Führung der modernen Gesellschaften bedürfte. Wer im Parteibetrieb angelernt wurde, ist eben schlichtweg überfordert, wenn es etwa um die Organisation stabiler Währungssysteme geht. Die Euro-Krise lässt grüßen.

Was den Politikern an Vertrauen und Kompetenz fehlt, müssen sie als Dogmatiker dieser oder jener Ideologie auszugleichen versuchen. So war es im Kommunismus, und wenig anders verhält es sich heute im Euro-vereinigten Europa. Das ist es, was den Bürgern Angst macht, das bringt sie dazu, sich Pegida anzuschließen. „Auch“ die Politiker könnten dahinter kommen, wenn sie sich wieder an die Gesetze halten und dem Volk, das sie aushält, den nötigen Respekt erweisen würden.

Zu rechnen ist damit so wenig wie in der Vergangenheit. Die Protestbewegungen werden zunehmen. So schnell lassen sich die Bürger nicht wieder von der Straße vertreiben, auch nicht von Angela Merkel, die den Ländern schon die Hilfe des Bundes für die Herstellung von Ruhe und Ordnung angeboten hat.

 

 

 

 

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Leserpost

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Christian Raabe / 23.01.2015

Hallo, danke für die präzise Analyse. Irgendwie fühle ich mich an die Zeit vor 25 Jahren und die Gespräche der “Gruppe der 20” in Dresden erinnert. Chris

Thomas Klingelhöfer / 22.01.2015

Wir sind im neuen Feudalismus angekommen. Der letzte Rest an Demokratie wird gerade via EZB entsorgt, Parlamente verfügen nicht mehr über Budgethoheit. Merkel, Schäuble und andere sind fast am Ziel, ein europäischer Staat ohne lästige Einmischungen der Bürger nimmt Gestalt an. Danke für die präzise Analyse der aktuellen Verhältnisse.

Lara Berger / 22.01.2015

Man hat sicher an vielen “Fronten” den Eindruck, dass sich Politiker nicht um den Willen der Mehrheit der Bürger kümmern, sondern vielmehr auf ihren eigenen nächsten Wahlerfolg schielen und ihre Arbeit an vier Jahren Legislaturperiode ausrichten. Ich habe mich selbst ein paar Jahre lang in einer der etablierten Parteien engagiert und gleich am Beginn meiner poltischen Arbeit feststellen müssen, dass sich in der Partei (SPD) “der Mief der 80er Jahre” bis heute gehalten hat. Das Weltbild der damaligen Zeit, Ost-West-Konfrontation, Atom- und Umweltproblematiken, die Überzeugung, alle Menschen seien gleich (nicht zu verwechseln mit gleich-viel-wert!), und es ginge ihnen allen gleich gut, wenn man überall gleichviel Wohlstand schafft. Von Hausbesetzungen bis alternativen Wohnprojekten, Schutz des “gelbbäuchigen Uhus”, Aufarbeitung der Vergangenheit im 3. Reich, Kampf gegen Rechts usw usw. Doch die Welt hat sich seither sehr verändert, aber das ist bei vielen Genossen nicht angekommen. Hin und wieder reibt man sich dort verwundert die Augen, wenn ein Junggenosse von seinen Erlebnissen bei Israelbesuchen berichtet, oder ein Afgane Deutschland laut und deutlich für dessen Engagement im seiner Heimat dankt und die Wichtigkeit des Schutzes der Zivilbevölkerung gegen die Taliban betont. Ich denke, die Ursache dafür sind die gewachsenen “Biotope” in den Parteien. Die Neueintritte in den Parteien heben die Parteiverluste durch Tod der Mitglieder schon lange nicht mehr auf, die Basis schrumpft Jahr für Jahr. Die Mitglieder setzen sich aus Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, plus einiger kleiner Selbstständiger zusammen, das Durchschnittsalter liegt bei geschätzten 53 Jahren. Das ist kein repräsentativer Durchschnitt der Bevölkerung. Junge Biodeutsche, die aus eigenem Antrieb und ohne familiäre Parteibezüge eintreten, habe ich in all den Jahren keinen einzigen gesehen, geschweige denn einen Russen z.B.. Allein die eingetretenen Moslems bringen frischen Wind, aber leider auch eine andere Politik, die sich nicht mehr für die Belange der Mehrheiten interessiert, sondern für die der jeweiligen Ursprungsnation, bzw. pauschal für die Umsetzung islamischer Bedürfnisse einsetzt. Das sie das tun, ist ihr gutes Recht, damit hätte ich kein Problem, aber dass jede Kritik daran als Ausländerfeindlichkeit diffamiert und unterbunden wird, das ist problematisch. So bleiben ganze Themengebiete außen vor. Selbstverständlich soll jeder, der in eine Partei eintritt, sich und seine Forderungen und Ideen einbringen. Damit sie dort diskutiert, angenommen, verworfen oder verändert werden. So habe ich es aber nicht erlebt. Stramme Genossen, die sich nicht scheuten den Kampf mit jedem großindustriellen Kapitalisten aufzunehmen, wurden sehr kleinlaut wenn Forderungen und Ideen aus der moslemischen Ecke laut wurden. Dann wurde eine seltsame ehrerbietende Unterwürfigkeit spürbar, die mir manchmal die Sprache verschlug. Um ja nicht den Anschein des Eindruck von Ausländerfeindlichkeit zu erwecken, wurde so die abstrusesten Beschlüsse gefaßt und bis nach oben durchgeboxt, denn offenbar herrscht diese vorauseilende Unterwürfigkeit auf allen Stufen der Parteien. Deswegen haben wir heute Gebetsräume in Schulen, obwohl das staatliche Einrichtungen sind und die Trennung von Staat und Kirche grundgesetzlich verankert ist. Ich halte das für keine gute Entwicklung und ich wünschte mir einen konstruktiven Streit mit Moslems, ohne Einsatz der Rassimuswaffe!

Michael Wolf / 22.01.2015

Ein hervorragender Text zur stetig wachsenden Politikverdrossenheit mit treffenden Einsichten zur Kommerzialisierung des Politikbetriebs, dessen fehlende Kompetenz und dem verleumderischen Umgang mit Kritikern wie Pegida. Nicht zu vergessen unsere mehrheitlich dem verkommenen Politbetrieb angeglichenen Medien, die bei Hetze und Manipulation der Bürger tatkräftig mithelfen. Wir alle sind als Zeugen dieser Taten live dabei. Ob man gegen diese Politik und Medien aufsteht und protestiert muss jeder selbst entscheiden. Heute sind es die stets friedlich aufgetretenen Protestler von Pegida, die durch Lüge und Hetze plattgemacht werden sollen und morgen vielleicht schon eine Demonstration bei der man selber Opfer der Hetze wird, weil die Meinung der Politik nicht genehm ist. Jeder mit Sinn für Fairness, Anstand und Demokratie kann den Umgang mit Pegida, egal was er von den 19 Positionen halten mag, nur als schändlich verurteilen. Bedauerlicherweise gibt es in Deutschland kein Quorum für die Bundestagswahl, also eine Mindestanzahl von zu erreichenden Wählerstimmen, sonst würde sich dieses ganze System auf Grund der Masse an Nichtwählern bald selbst erledigen. Aber zumindest gibt es mit der AFD eine Alternative zu dem stinkenden Einheitsbrei, von der man nur hoffen kann, dass diese nicht über kurz oder lang vom Politbetrieb assimiliert wird.

Günter Thiele / 22.01.2015

Hut ab, Herr Rietzschel. Treffender ist der derzeitige Zustand in Deutschland nicht beschreibbar. Passend dazu ließen sich am Mittwoch im Dresdner Kongresszentrum sächsische Politiker dazu herab, sich mit Bürgern im Dresdner Kongresszentrum zu einem Speed- Dating zu treffen. An 8er- Tischen, jeweils mit einem Politiker und zugelosten Bürgern besetzt, wurden moderierte Gespräche geführt. Nebst einem Foto wusste die Sächsische Zeitung heute davon wie folgt zu berichten: „Speed-Dating mit der Regierung Angesichts der Pegida- Demonstrationen in Dresden mit zuletzt 25 000 Teilnehmern lud die sächsische Landesregierung gestern zum ersten Dialogforum unter dem Motto „Miteinander in Sachsen“. Rund 300 vorher ausgeloste Bürger bekamen die Möglichkeit, im Dresdner Kongresszentrum mit Ministerpräsident Stanialaw Tillich (CDU), Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) und anderen Politikern über die Themen Asyl, Integration und Zuwanderung zu sprechen. Zunächst wurden an kleinen Tischen moderierte Gespräche geführt. Daran schloss sich eine offene Diskussionsrunde an.“ Dieser Aktionismus ruft nicht nur, wie Sie es zielgenau beschreiben, Assoziationen zu französischen Revolution hervor, er erinnert auch allzu deutlich an den Herbst 1989. 

Hartmut Laun / 22.01.2015

Bravo, Sie sind meine Stimme. Das was ich als Wutgefühl im Magen mit mir herumtrage, das haben sie mit ihrem Verstand in Wörter gekleidet. MfG H. Laun

Wolfgang Schmid / 22.01.2015

Da passt es auch gut dazu, dass die GroKo in stiller Einmütigkeit mit Arbeitgebern und DGB-Gewerkschaften das Tarifrecht ändern will: Kleine oder neue Gewerkschaften, die mit dem Kurs der sterbenden DGB-Riesen unzufrieden sind, dürfen nicht mehr streiken. Jetzt heißt es Tarifeinheit. früher hieß es Arbeitsfront. Das ist zwar schlicht verfassungswidrig - und das wissen die Politiker auch - aber es ist ihnen egal: Es bringt erst mal Ruhe an der Streikfront.

Dr. Benedikt Robers / 22.01.2015

Perfekte Analyse, präzise und prägnat dargestellt und formuliert! Mit anderen Worten: Den Nagel auf den Kopf getroffen.

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