Claudio Casula / 23.12.2012 / 16:03 / 0 / Seite ausdrucken

Die Welt hat ein schlechtes Gedächtnis

?Er war im Schaufenster eines Antiquariats ausgestellt: DER SPIEGEL vom 12. Juni 1967; unmittelbar zuvor war der Sechstagekrieg mit einem ebenso unerwarteten wie überwältigenden Sieg Israels zu Ende gegangen. Der Titel, „Israels Blitzkrieg“ (!), forderte zum unverzüglichen Erwerb auf. Ich betrat die Buchhandlung, entrichtete 10 Euro (ca. 20 D-Mark) für das Heft, das seinerzeit 1,50 DM gekostet hatte, und las die Titelgeschichte noch am selben Abend durch, ebenso wie den erquickenden Kommentar „Israel soll leben“ aus der Feder Rudolf Augsteins, eines der schönsten zionistischen Dokumente seit der israelischen Unabhängigkeitserklärung. Anschließend schrieb ich eine detaillierte Rezension.

http://spiritofentebbe.wordpress.com/2010/03/31/vor-dem-liebesentzug-2/

Um es kurz zu machen: Das Heft war jeden Cent wert. Ich schaue es mir immer wieder gern an, wenn ich in diesen Tagen – nicht nur im SPIEGEL, sondern überall – vom „palästinensischen Westjordanland“ und vom „palästinensischen Ostjerusalem“ lese. Denn weder in der siebenseitigen Coverstory noch in Augsteins flammendem Appell an Deutschland und den Westen, an der Seite Israels zu stehen und jedem, der „dem Staat Israel die Existenz bestreitet“, die Entwicklungshilfe zu streichen, tauchen die Begriffe „Palästinenser“ oder „palästinensisch“ auch nur ein einziges Mal auf, obwohl die PLO damals bereits seit drei Jahren ihr terroristisches Unwesen trieb, also „Palästina befreien“ wollte, ohne dass Gazastreifen und Westbank israelisch besetzt gewesen wären.

Besetzt waren diese Gebiete gleichwohl – Gaza von Ägypten, die Westbank und Ostjerusalem von Jordanien. Entsprechend ist im SPIEGEL anno 1967 von „Westjordanien“ (heute: “palästinensisches Land”) die Rede, wird die militärische Entwicklung des jüngsten Waffengangs analysiert und auch die unselige Rolle der Supermacht Sowjetunion angesprochen, über „Palästina“ jedoch, wie gesagt, kein Wort verloren.

Heute allerdings ist alle Welt – mit Ausnahme der Amerikaner, der Tschechen und einiger sympathischer Südseeinsulaner – davon überzeugt, dass die Palästinenser einen legitimen Anspruch auf jeden Quadratmeter der Westbank inklusive Ostjerusalems haben, und eine israelische Bebauung karstiger Hügel zwischen Jerusalem und Ma´ale Adumim wird als „tödlicher Schlag für den Friedensprozess“ gewertet, während die Hamas weiter fröhlich zur Vernichtung Israels aufruft, palästinensische Kinder zum Hass auf Israel erzogen werden und selbst die sogenannten „moderaten“ Vertreter der Fatah, sofern sie zu ihren eigenen Leuten sprechen und nicht westlichen Reportern die Hucke voll lügen, keinen Hehl daraus machen, weiterhin Ansprüche auf „ganz Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer“ aufrechtzuerhalten, ganz so, wie es schon vor 1967 war.

Aber um „Landraub“ beklagen zu können, muss einem das, was angeblich gestohlen wurde, erst einmal gehört haben. Dies ist eindeutig nicht der Fall, da auf das britische Mandat die Eroberung und die (international nicht anerkannte) Annexion durch Transjordanien gefolgt waren. Insofern handelt es sich in der Tat um „umstrittene“, nicht um „besetzte“ Gebiete, und daher ist der Ausbau von Siedlungen, die ohnehin bei Israel verbleiben werden, auch keineswegs ein „illegaler Akt“.

DER SPIEGEL Nr. 25/1967 weiß dementsprechend nichts von einer „Besetzung palästinensischen Landes“ zu berichten; wohl aber vom Versuch dreier arabischer Staaten, Israel den Garaus zu machen. Nun sei den Aggressoren aber gründlich „aufs Haupt geschlagen“ worden, die Israelis, so Augstein, „nur dank ihrer Bravour einer Katastrophe entgangen“. Daran seien jene erinnert, die heute von „widerrechtlich besetztem palästinensischen Land“ schwadronieren.

Warum die offiziell verkündeten, rückwirkenden Ansprüche der Palästinenser – übrigens exakt dieselbe „Verhandlungs“-Position wie vor fünf, zehn, fünfzehn, ja zwanzig Jahren bei der Aufnahme des sogenannten „Friedensprozesses“ – sakrosankt seien sollten, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht. Natürlich darf Mahmoud Abbas die ganze Westbank, Ostjerusalem und das „Rückkehrrecht“ fordern, so wie er auch 100 Milliarden Dollar in kleinen Scheinen oder die erdabgewandte Seite des Mondes fordern darf; nur verdienen diese Forderungen eben keine Unterstützung. Wobei man über den Mond vielleicht mal sprechen sollte.

Was 1967 galt, gilt auch heute noch: Israel ist von Nachbarn umzingelt, die den jüdischen Staat von der Landkarte radiert sehen wollen. Wäre es so, wie allgemein behauptet wird, nämlich dass Israel wirklich den Frieden gewönne, wenn es denn nur alle Gebiete räumte, ließe sich ja über weitere Konzessionen reden; allein: Nach allen Erfahrungen, die Israel mit bisherigen Rückzügen gemacht hat, vom Südlibanon über Teile Judäas & Samarias, dem Gazastreifen und neuerdings auch dem Sinai, kann man allerdings nicht ernsthaft erwarten, dass es auch noch seine Hauptstadt an Fatah und Hamas abtritt. Unmittelbar nach einer Räumung würde in der Altstadt der große Sieg der Araber über Israel gefeiert werden, und keine 24 Stunden später geriete das erste Viertel der Neustadt unter Mörserbeschuss. Daran kann kein Zweifel bestehen; wer das Gegenteil behauptet, hat sich weder mit derCharta der Hamas beschäftigt noch mit offiziellen Verlautbarungen der ach so moderaten Fatah.

Die weltweite Empörung über den geplanten Bau von Häusern in E 1 wäre nur dann zu verstehen, wenn man davon ausgeht, dass Ostjerusalem eines Tages tatsächlich an die palästinensischen Terrorbanden fällt. Dies wird nicht geschehen, selbst zwei Drittel der Anhänger der israelischen Arbeitspartei sind dagegen. Aus gutem Grund. Alles spricht dafür, dass es Hamas und Fatah genau so arg, wenn nicht schlimmer treiben würden als Jordanien zwischen 1948 und 1967; damals waren alle Juden getötet oder vertrieben, Dutzende Synagogen zerstört, der Friedhof auf dem Ölberg geschändet worden; der Zugang zu ihren heiligen Stätten blieb den Juden verwehrt. Auch heue noch wird jeder jüdische Bezug zu Jerusalem von arabischer Seite geleugnet, das ist bestens dokumentiert. Die Vergangenheit, so viel ist sicher, würde sich wiederholen, nicht nur in Jerusalem, sondern überall an den äußerst verwundbaren Grenzen (O-Ton SPIEGEL: “Ein Land mit so ungünstiger Militärgeographie läßt sich nicht defensiv, sondern nur offensiv schützen”). Nur ein Narr kann glauben, dass die Israelis sich das antun.

1967 machte man sich da noch keine Illusionen. Aber die Welt hat ein verdammt schlechtes Gedächtnis.

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